Vom Bahnstreik bis Afghanistan - der Sommer des Unfriedens geht weiter

Vom Bahnstreik bis Afghanistan - der Sommer des Unfriedens geht weiter
Copyright Khwaja Tawfiq Sediqi/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.
Von Stefan Grobe
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Unser europäischer Wochenrückblick - Streit, Zank, Unfrieden wohin man schaut. Der Sommer lässt weiter keine Zeit für Entspannung und Erholung.

WERBUNG

Der September ist gekommen, der Urlaub ist für die meisten vorbei. Doch dieser Sommer der Unzufriedenheit bot kaum Entspannung und Erholung.

Allein in dieser Woche begann in Deutschland ein weiterer Bahnstreik; in Griechenland gab es Zusammenstöße zwischen Polizei und Teilnehmern von Protesten gegen den Impfpass; in Polen verschärfte sich der Widerstand gegen die umstrittene Justizreform.

Und dann war da natürlich noch Afghanistan.

Nach Tagen des Chaos am Flughafen in Kabul verließen die letzten US-Soldaten das Land - den Friedhof für Weltreiche, wie Historiker Afghanistan Land genannt haben. In einer kämpferischen Rede an die Nation rechtfertigte US-Präsident Joe Biden seine Entscheidung. Er habe die Wahl gehabt zwischen totalem Rückzug und Eskalierung.

Der US-Abzug hatte auch Konsequenzen für die Europäer. Schließlich wollte keiner der Allierten allein in Afghanistan zurückbleiben.

Doch die Krise löste sofort eine Diskussion über die tatsächlichen militärischen Fähigkeiten der Europäer aus, die beim Abzug aus Afghnanistan Hilfe von den US-Truppen brauchten. Selbst EU-Spitzen räumen nun ein, dass hier noch viel Arbeit zu tun ist.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell: “Ich denke, es ist klar, dass wir mehr für die europäische Verteidigung tun müssen, das hat Afghanistan offenbart. Wir haben die militärischen Kapazitäten, aber wir haben sie nie aktiviert. Wir müssen also die Operationsfähigkeit stärken."

Das klingt nicht so, als erwarte Brüssel nun eine Ära des Friedens und der Harmonie. Das Gegenteil trifft wohl zu - Zeichen des Unfriedens gibt es überall.

Dazu das folgende mit Mark Leonard, Direktor der Europäischen Gesellschaft für Auswärtige Beziehungen und Autor von "Das Zeitalter des Unfriedens - wie die Venetzung Konflikte verursacht", das in dieser Woche erschienen ist.

Euronews Sprechen wir über Ihr neues Buch. Sie sagen, dass die heutige enge Vernetzung der Menschen die Welt auseinandertreibt. Dabei haben wir doch immer gedacht, sie würde uns mehr zusammenführen. Was ist da schief gelaufen?

Leonard: Es ist schon eine Tragödie. Während der vergangenen Jahrzehnte sind Handelsschranken gefallen, und die Welt ist dank des Internets zusammengerückt. Da war die Hoffnung auf Frieden und Harmonie. Doch tatsächlich wurden die Menschen weiter gespalten. Es gab Neid, Hass, Machthunger und die Wahl von Politikern wie Donald Trump. Am schlimmsten ist, dass manche heute die Vernetzung als Waffe gegen Andersdenkende benutzen.

Euronews: Gehen wir mal ins Detail. Wir sehen Spannungen über Impfungen, Immigration, Technologie und Wissenschaft, globale Lieferketten und das Finanzsystem - alles intensiviert über das Internet. Wie kommen wir da wieder heraus?

Leonard: Wir müssen begreifen, dass, wenn man zwei Länderzusammenbringt, diese nicht unbedingt Freunde werden. Wenn wir Impfstoffe aus China bekommen, können diese genutzt werden, uns zu erpressen. Im globalen Finanzsystem könnten die USA dieses nutzen, um uns zu ihrer Iran-Politik zu zwingen. Durch das Internet werden Cyber-Angriffe möglich, die unsere Wahlen sabotieren sollen. Wir müssen also begreifen, dass diese Verbindungen nicht nur mit positiven Ergebnissen kommen, sondern auch mit negativen. Wir müssen also nun die Vernetzungen abrüsten, damit sie kein neues Schlachtfeld werden.

Euronews: Wer sind die Akteure in diesem neuen Krieg und wie verhält sich Europa?

Leonard: Es ist sehr kompliziert, den jeder der Akteure verfolgt eine andere Philosophie. In den USA will man Portale ins Internet schaffen und Nutzer des Finanzsystems entweder herein- oder herauslassen. Die Chinesen wollen die Verbidung zwischen ihnen und dem Rest der Welt kontrollieren. Europa will vor allem Regeln schaffen - alles also sehr verschiedene Philosophien. Der europäischen Ansatz hat gut funktioniert beim Schutz der Privatsphäre, viele sind uns darin gefolgt. Wir sehen aber verstärkt, dass die Vernetzung nicht nur Wohlstand und Verbraucherrechte berührt, sondern schlichte Macht. Das ist ein Weckruf für Europa.

Euronews: Wohin führt uns das letztlich? Wo sehen Sie die Welt in fünf Jahren?

Ich glaube, wenn wir keine neuen Möglichkeiten finden, die Vernetzung sicher zu machen, das Ganze außer Kontrolle geraten könnte. Wir haben schon beim Klimawandel und der Pandemie gesehen, wie unser globalisiertes Leben vergiftet werden kann - und es könnte noch schlimmer kommen, wenn Menschen diese Vergiftung absichtlich betreiben. Wir müssen uns dem Problem stellen und sinnvolle Regeln schaffen. Wir müssen uns selbst schützen und versuchen, diese Vorgänge zu kontrollieren. Und wir müssen diejenigen unterstützen, die sich in der Globalisierung als verloren betrachten, so dass sie nicht das ganze System zerstören wollen und Politiker wie Donald Trump wählen.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Verhandeln mit den Taliban: Der Preis der Macht

Gesucht: eine neue Verteidigungsstrategie für Europa

US-Präsident Biden verteidigt Abzug: „Endlosen Krieg nicht verlängern“