BioNTech-Gründerpaar: Nützlich sein und zu etwas Größerem beitragen

BioNTech-Gründerpaar: Nützlich sein und zu etwas Größerem beitragen
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Von Tokunbo SalakoSabine Sans
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Man kennt vielleicht nicht ihre Namen, aber bestimmt ihre Arbeit: Die BioNTech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci sprechen in The Global Conversation über ihren Erfolg, die Bildung von wissenschaftlichen Supergruppen und ihre Pläne für die Zukunft.

Die BioNTech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci haben den weltweit ersten wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt. Jetzt haben sie die höchste spanische Auszeichnung, den Prinzessin-von-Asturien-Preis, für ihre Verdienste um Wissenschaft und Technologie erhalten. Euronews sprach mit dem Paar über ihren Erfolg, die Bildung von "wissenschaftlichen Supergruppen" und darüber, was sie planen, um die Welt zu verbessern.

Euronews-Reporter Tokunbo Salako:

Zunächst einmal möchte ich Ihnen zu dieser Auszeichnung gratulieren. Wie fühlen Sie sich damit?

Özlem Türeci:

Wir sind sehr bewegt, wir fühlen uns geehrt und sind überglücklich, Toks, denn es sind sehr angesehene Preise und was noch wichtiger ist, sie würdigen Beiträge, die der Menschheit dienen.

Euronews:

Was sagen Sie Leuten, die noch zögern, sich impfen zu lassen?

Uğur Şahin:

Einerseits müssen wir auf die Bedenken eingehen, denn es werden viele falsche Informationen verbreitet. Die Menschen sind besorgt, weil sie nicht wissen, wem sie vertrauen können. Deshalb ist es unsere Aufgabe, zu informieren. Und es ist die Aufgabe der Gesellschaft und aller Mitglieder der Gesellschaft, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Es ist wirklich wichtig, dass jeder, der den Impfstoff erhalten und ihn vertragen hat, das kommuniziert, darüber spricht. Wir müssen als Gesellschaft zusammenhalten und vermeiden, dass wir in unterschiedlichen Blasen mit unterschiedlichen Realitäten landen.

Impfstoff-Entwicklung in Rekordzeit

Euronews:

Anfangs vor mehr als einem Jahr hieß es, dass es unmöglich sei, einen Impfstoff in einer solchen Rekordzeit herzustellen, und doch haben Sie es geschafft. Verstehen Sie die Ängste und die Zurückhaltung der Menschen?

Özlem Türeci:

Ja, natürlich verstehen wir das. Und das hat nicht nur etwas mit diesem Impfstoff zu tun. Es ist eine allgemeine und sehr natürliche Reaktion, dass man erst einmal verstehen will, was vor sich geht. Und weil es so viele Informationen gibt, ist es noch schwieriger, sie einzuordnen. Wir sind ausgebildete Ärzte. Wir haben unter anderem Krebspatienten behandelt, und bei jedem einzelnen Fall, wurden uns die gleichen Fragen gestellt: Was bedeutet diese Behandlung für mich? Tut es weh? Die Menschen wollen darüber informiert werden, was mit ihnen und ihrem Körper passieren wird. Das ist also ganz natürlich.

Uğur Şahin:

Man muss auch wissen, dass der Impfstoff nicht in einem Jahr entwickelt wurde. Er wurde in drei Jahrzehnten der Forschung entwickelt. Das ist wie bei einem Sprinter, der sein Leben lang für diesen Wettkampf trainiert hat: Er ist voll trainiert und vorbereitet, um in kürzester Zeit das Rennen gegen diese Pandemie zu gewinnen. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass die Wissenschaft, die hinter dem Impfstoff steht, uns 30 Jahre gekostet hat.

Technologie mit großem Potenzial

Euronews:

Lassen Sie uns etwas ausführlicher über die Messenger-RNA (mRNA) sprechen, an der Sie arbeiten. Wofür kann man die Technik einsetzen?

Özlem Türeci:

Die Messenger-RNA-Technik hat großesPotenzial. mRNA ist sozusagen die älteste "Informationstechnologie", die von der Natur erfunden wurde. Man kann damit Informationen in Zellen transportieren. Man kann verschiedenen Zellen im Körper sagen, was sie tun sollen, das heißt, man kann sie im Prinzip universell einsetzen. Das ist ein Werkzeugkasten, aus dem man sich das zusammenstellen kann, was man für eine bestimmte Krankheit oder für einen bestimmten Mechanismus braucht. Die einzige Einschränkung besteht darin, die Krankheit zu verstehen und zu wissen, welche Art von Informationen wir vermitteln wollen. Wenn man das weiß, kann man mRNA gegen Krebs, Autoimmunerkrankungen, Allergien sowie gegen das Altern einsetzen, und wir arbeiten an all diesen Themen und darüber hinaus.

Euronews:

Was haben Sie als Nächstes im Visier? Vielleicht ein Heilmittel für Malaria, oder vielleicht für Krebs?

Uğur Şahin:

Wir haben jetzt die Möglichkeit, an verschiedenen Krankheiten zu arbeiten. Einerseits möchten wir unsere mRNA-Technologie zur Bekämpfung von Krankheiten einsetzen, die seit mehr als Hundert Jahren eine Bedrohung für die Menschheit sind, wie Tuberkulose und Malaria. Aber auch Krankheiten wie HIV, für die es kein Heilmittel gibt. Das ist also ein Feld, und wir haben bereits Programme zur Entwicklung von Impfstoffen dagegen gestartet. Und auf der anderen Seite arbeiten wir weiter an der Entwicklung von Krebsimpfstoffen, um das Immunsystem der Patienten zu trainieren, ihren Krebs zu bekämpfen.

Auf dem Boden geblieben

Euronews:

Jetzt, wo Sie vermutlich mehr als Papiermilliardäre sind, wie hat das Ihren Lebensstil verändert?

Özlem Türeci:

Überhaupt nicht. Das hat unseren Lebensstil nicht verändert. Unser Leben wird durch unseren Anspruch bestimmt, zu etwas Größerem beitragen zu wollen und nicht durch das, was wir scheinbar monetär besitzen. Unser Alltag ist gleich geblieben.

Euronews:

Aber es ist jetzt einfacher, morgens aufzustehen und zur Arbeit zu gehen?

Özlem Türeci:

Für unsere Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente, die auf unserer Liste stehen, ist das natürlich ein Turbolader. Es hilft uns, in all die Bereiche zu investieren, von denen wir glauben, dass man die Entwicklung beschleunigen sollte. Wir müssen uns breiter aufstellen. Wir müssen tiefer gehen. Es war also ein Segen, dass unser Beitrag zur Pandemiebekämpfung es uns jetzt ermöglicht, diese Erlöse in andere Bereiche zu übertragen, in denen ein ähnlicher Bedarf besteht.

Euronews:

Welche anderen Bereiche haben Sie jetzt im Blick?

Uğur Şahin:

Wir haben einen breit gefächerten Ansatz. Wir haben mehr als 500 Patente auf verschiedene Technologien. Wir glauben, dass die Zukunft zwei Herausforderungen mit sich bringen wird: Einerseits werden Krankheiten immer individueller. Viele dieser Krankheiten wie Krebs, Autoimmunität, Allergie, aber auch das Altern, sind individuelle Krankheiten mit individuellen Komponenten. Und wir sind davon überzeugt, dass es nicht mehr sinnvoll ist, ein und dasselbe Medikament zu verwenden, nur weil es sich um dieselbe Krankheit handelt. Jeder Mensch hat einen anderen Krankheitsverlauf, und wir wollen individualisierte Behandlungen etablieren. Wir haben Ideen und Technologien entwickelt, um das zu erreichen. Außerdem geht es um Krebs und, wie Özlem bereits sagte, geht es um Autoimmunität, um Entzündungskrankheiten. Und es geht auch um Krankheiten wie beispielsweise einen Herzinfarkt. Man muss wissen, dass unser Immunsystem an all diesen Krankheiten beteiligt ist. Wir sind Immunologen und wissen, wie wir Immunreaktionen vermitteln und das Verhalten des Immunsystems ändern können.

"Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist bereits eine Supergruppe...Und wir vertrauen wirklich darauf, dass sich das noch weiter verbessern wird. Denn diese Zusammenarbeit und der Austausch von Daten wird uns auch in Zukunft in Situationen helfen, in denen eine Krise mit Hilfe der Wissenschaft bewältigt werden kann."
Özlem Türeci

Euronews:

Sie sind hier, um diesen prestigeträchtigen Preis für Wissenschaft und Technologie entgegenzunehmen. Einen Preis, den Sie mit anderen Leuten aus Ihrem Bereich teilen. Besteht die Möglichkeit, dass Sie eine wissenschaftliche "Supergruppe" gründen, um mehr zu erreichen?

Özlem Türeci:

Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist bereits eine Supergruppe. Das war auch das Erstaunliche an der Pandemie, dass jeder sofort seine Beobachtungen, seine Erkenntnisse, die Charakterisierung des Virus, die Charakterisierung neuer Varianten, die Sequenz eines Virus veröffentlicht und zugänglich gemacht hat. Wir sind also schon eine große Gemeinschaft, die jetzt mit der Erfahrung einer Pandemie noch enger zusammengewachsen ist. Und wir vertrauen wirklich darauf, dass sich das noch weiter verbessern wird. Denn diese Zusammenarbeit und der Austausch von Daten wird uns auch in Zukunft in Situationen helfen, in denen eine Krise mithilfe der Wissenschaft bewältigt werden kann.

Neugierde und der Anspruch, nützlich zu sein

Euronews:

Sie beide haben den Ruf, Workaholics zu sein. Man könnte der Meinung sein, dass das im Moment wirklich gut für die Gesellschaft ist. Haben Sie Träume, berufliche Träume, etwas außerhalb der Wissenschaft zu tun?

Özlem Türeci:

Gibt es ein Leben außerhalb der Wissenschaft? Ich verstehe Ihre Frage nicht.

Euronews:

Sie haben jetzt das Geld, den Einfluss, die Macht, Sie haben eindeutig das Wissen... Haben Sie Ideen, das vielleicht für etwas anderes einzusetzen?

Uğur Şahin:

Wir werden von zwei Motivationen angetrieben: Einerseits von Neugierde, wir lieben die Wissenschaft. Und auf der anderen Seite möchten wir nützlich sein. Und ich glaube, man kann auch nützlich sein, ohne Wissenschaft zu betreiben. Wir sind immer mehr daran interessiert zu verstehen, was die größten Herausforderungen der Menschheit sind und welche Faktoren es außerhalb der Wissenschaft gibt, die angegangen werden müssen, damit die Menschen davon profitieren. Wir sind jetzt in Gesprächen mit anderen Menschen, die die gleichen Ideen haben. Wir wollen verstehen, wie und was sie tun und ob wir helfen können. Das ist auch ein motivierender Aspekt.

Befruchtende Diskussionen

Euronews:

Wie funktioniert es zwischen Ihnen beiden? Sie strahlen eine große Einheit aus, sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Basis. In welchen Bereichen sind Sie sich nicht einig?

Uğur Şahin:

Jedes Mal, wenn wir bei bestimmten Themen nicht einer Meinung sind, und wir sind jeden Tag bei vielen Themen anderer Meinung, ist das eine Chance, etwas zu entdecken, was noch besser ist als das, was wir denken. Wir lieben diese wissenschaftliche Debatte. Wenn wir nicht einer Meinung sind, geht es meistens darum, was wir glauben, was die Wissenschaft uns sagt. Und nach dieser Diskussion ist es eine große Genugtuung, Özlems Position zu verstehen. Und zu einem Verständnis zu gelangen, das besser ist als das, das ich vorher hatte. Deshalb sehe ich es immer als eine Chance an, nicht einer Meinung zu sein und diese Diskussion zu führen.

Euronews:

Teilen Sie diese Sichtweise?

Özlem Türeci: Ja, wir arbeiten effizient zusammen, obwohl wir verheiratet sind.

Euronews:
Das klingt nach einem Erfolgsrezept, nicht nur fürs Berufsleben, sondern auch für die Ehe. Ich danke Ihnen beiden, dass Sie sich die Zeit für The Global Conversation genommen haben.

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