Arm, isoliert, vergessen: Das ist bittere Realität für Millionen Menschen in Deutschland

Armut und soziale Isolation nehmen in Deutschland zu.
Armut und soziale Isolation nehmen in Deutschland zu. Copyright Geert Vanden Wijngaert/AP
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Von Olivia Stroud
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Eigentlich sollte Weihnachten das Fest der Freude sein, doch für manche Familien ist es das Fest der Sorge, denn immer mehr leiden unter Armut. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten belasten die Menschen, die bereits vorher jeden Cent umdrehen mussten, stark.

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Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat errechnet, dass 2022 mehr als jede fünfte Person in Deutschland von Armut betroffen ist oder droht in sie abzurutschen. Jeder Fünfte, das bedeutet 20,9 Prozent der Bevölkerung Deutschlands, das sind mehr als 17 Millionen Menschen, fast so viele, wie in ganz Nordrhein-Westfalen leben. Und doch wird kaum darüber berichtet. Für die Organisationen, die den betroffenen Menschen täglich helfen, sind diese Zahlen nichts Neues. Der Bedarf an Hilfe ist also größer denn je. Und gleichzeitig mussten NGOs dieses Jahr feststellen, dass die Spenden zurückgehen.

Millionen Kinder und Jugendliche von Armut bedroht

Die Organisation Die Arche versorgt bedürftige Familien mit Lebensmitteln und unterstützt Kinder. Als Die Arche vor fast 30 Jahren gegründet wurde, gab es in Deutschland 1,2 Millionen Kinder in finanzieller Armut. Trotz eines Rückgangs der Geburten hat sich die Kinderarmut auf über 3 Millionen verdreifacht.

Antje Fürstenau, Mutter von vier Kindern, weiß nicht, ob sie dieses Jahr genug Geld haben wird, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, insbesonders da ihre Miete gerade gestiegen ist. Zuden Geldsorgen kommen auch noch Gesundheitsprobleme. 

"Gerade ist es für mich schwer, ich habe vor zwei Monaten eine Krebsdiagnose bekommen und da habe ich meinen Job nicht mehr ausüben können," sagte sie. Sie besucht die Arche fast jeden Tag mit ihren Kindern während der Mittagszeit.

Fürstenau sorgt sich auch um steigende Benzinpreise und fragt sich, was am Ende übrig bleibt, wenn sie arbeitet. Sie ist Pflegerin, muss mit dem Auto zu ihren Patienten und Patientinnen fahren, und bei zu hohen Benzinpreisen, rechnet sich das Ganze nicht mehr. Für viele ist es quasi unmöglich aus dem Armutszyklus auszubrechen, u.a. weil das Geld nur zum überleben reicht und nichts auf die hohe Kante gelegt werden kann. 

Der Gründer der Arche, Bernd Siggelkow, sagt: "Armut ist nicht nur finanziell, sondern auch emotional." Menschen, die arm sind, fehlt es nicht nur an Geld, sondern eine der Folgen ist auch, dass sie am Rande der Gesellschaft leben. Siggelow sagte Euronews, dass viele, der von der Arche unterstützten Menschen, alleinerziehende Mütter sind.

Kinder laufen Gefahr, isoliert zu werden, wenn Eltern es sich nicht leisten können, ihre Kinder an Aktivitäten teilnehmen zu lassen. Keine Mitgliedschaft in einem Sportverein, kein Musikunterricht  und nicht einmal ein Kino- oder Zoobesuch mit Freunden oder Klassenkameraden. Dieser Zusammenhang ist auch durch Studien belegt.

Armut im Kindesalter kann die Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder beeinträchtigen und gilt als Risikofaktor für Armut und soziale Ausgrenzung im späteren Lebensverlauf.
Bundesamt für Statisik 2016

Einige Kinder werden auch gemobbt, weil sie arm sind. Die anderen machen sich etwa über ihre Kleidung lustig. Die Folge ist oft, dass diese Jugendlichen aufgeben, und sie keine andere Zukunft für sich sehen, als sich auch, wie ihre Eltern, als  Sozialhilfeempfänger mehr schlecht als recht durchzuschlagen. Siggelkow sagt, die Regierung müsse mehr in diese Kinder investieren, um ihnen eine Zukunft zu geben.

Die Zahl der Obdachlosen ist gestiegen

Armut ist auch auf den Straßen immer sichtbarer. In diesem Jahr stieg die Zahl der obdachlosen Menschen in ganz Deutschland laut offiziellen Zahlen signifikant an.

Der Kältebus in Berlin bringt obdachlose Menschen zu Unterkünften und versorgt sie mit warmem Essen und Schlafsäcken. Die Freiwilligen, die für die Organisation arbeiten, sind mit einem zusätzlichen Problem konfrontiert. Die Anzahl der Obdachlosen im Rollstuhl nimmt zu, aber in Berlin gibt es nur ein paar Busse, die die Kapazität haben, die Bedürftigen an einen wärmeren Ort zu bringen.

Der Freiwillige Mathias Förster sagt, der Bus könne die ganze Nacht hindurch arbeiten, während die Temperaturen sinken, und fordert die Menschen auf, diejenigen auf der Straße nicht zu ignorieren. Viele der Übernachtungsunterkünfte sind innerhalb weniger Stunden voll ausgelastet. "Es gibt viel zu wenige Plätze in Berlin," sagte Förster Euronews.

Regierungsstatistiken besagen, dass 57% der obdachlosen Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft auf die Straße gedrängt wurden, nachdem ihre Mietverträge gekündigt wurden. Etwa 25% der Obdachlosen sind Frauen.

Der 51-jährige Steffen schläft unter einer Brücke im Osten von Berlin. Er war 31 Jahre lang Dachdecker.  Er teilt sich den Platz unter der Brücke mit dem 61-jährigen Horst. Er war 20 Jahre lang bei der Polizei. Steffen erzählt, er werde immer öfter belästigt, Jugendliche  klatschen und werfen Feuerwerkskörper auf ihn, wenn er versucht zu schlafen. Sein Rucksack und seine Habseligkeiten wurden ihm gestohlen. 

Die Politik müsste mehr tun

In dieser Woche packte die Tafel über 10.000 Taschen für Bedürftige über die Weihnachtszeit. Aber sie sagen, die Regierung müsse mehr tun, um zu helfen. Tafel-Gründerin Sabine Werth erklärt: "Wir hatten 16 Jahre lang die eine Regierung und jetzt 2 Jahre eine andere. Wir stellen einfach fest, der Unterschied ist nicht besonders groß, zumindest nicht in Bezug auf von Armut betroffene Menschen. Die Versuche sind da, aber die Umsetzung ist noch sehr schwach."

Experten glauben, dass die deutsche Regierung es nicht schaffen wird, ihr Versprechen zu halten, die Obdachlosigkeit in Berlin bis 2030 zu beenden.

So können Sie helfen:

Wenn Sie dieses Weihnachten oder im neuen Jahr spenden möchten, hier sind einige Organisationen, die sich in Deutschland engagieren:

Arche: https://www.kinderprojekt-arche.de/helfen-sie/geldspende

Kältebus: https://www.berliner-stadtmission.de/kaeltehilfe#c2021

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Tafel: https://www.tafel.de/spenden/jetzt-spenden

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