Gruß vom kahlen Berg: Ist der Skitourismus noch zu retten?

Schneekanone im  norditalienischen  Susatal
Schneekanone im norditalienischen Susatal Copyright Marco Bertorello / AFP
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Von Anja Bencze
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Grünbraune Pisten, Blechkolonnen, Kunstschnee, Klimawandel - kann man 2023 noch guten Gewissens Ski fahren? Euronews hat sich für Sie umgehört.

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"Fluppen verboten" lautet das neue Gebot im Skiort Les Gets in den französischen Alpen. Das erste Skigebiet in Frankreich und Europa, das das Rauchen, selbst von E-Zigaretten, komplett verbannt hat.  

Das Rauchverbot wurde im vergangenen Dezember eingeführt, weil die Betreiber der Station es leid waren, am Ende der Saison gut 3000 Kippen von den Pisten zu sammeln. Gratis verteilte Taschenaschenbecher hatten zuvor nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. 

Nun ist das Rauchen auf dem Berg tabu. Und die Wintersportler halten sich daran, nicht nur wegen des drohenden Bußgeldes, sondern weil die Botschaft einleuchtet. Eine kleine Geste für den Planeten.  

Wie wäre es mit einer etwas größeren? Denn dass etwas faul ist im Skiparadies, ist nicht zu übersehen in diesem Winter: grünbraune Hügel so weit das Auge reicht, selbst an Nordhängen. Schnee? Von gestern, sprichwörtlich.

Zeit für etwas "Skischam"

Sorglos die Piste hinunter brettern war einmal. Manche packt das schlechte Gewissen. Andere, vor allem jüngere Menschen, können das Skifahren nicht mehr mit ihren ökologischen Ansprüchen vereinbaren und hängen die Bretter an den Nagel. Stichwort: "Skischam"!

Das Unwort in Anlehnung an die viel beschworene "Flugscham" kam ursprünglich vor gut einem Jahr in Österreich auf, als Wintersportler nur noch verschämte "Grüße vom Berg“ schickten, um sich nicht als notorische Skifrevler zu outen.

Inzwischen protestieren auch Klimaktivisten auf dem Berg - nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Anfang des Jahres kam es zu Attacken auf Lift- und Beschneiungsanlagen unter anderem in Skiorten in der Schweiz (Le Verbier), Italien und Frankreich (La Clusaz). Offiziell bekannte sich niemand zu der Sabotage.   

Die Branche reagierte entsetzt und vermutete radikale Klimakämpfer hinter den Aktionen. Klar ist inzwischen aber auch, dass es um mehr geht als nur schlechtes Gewissen. Skifahren in gehabter Form ist schlecht für die Berge, denn es hinterlässt einen miserablen CO2-Fußabdruck.

Problemfaktor: Autokolonnen und Schneekanonen

Größter Verschmutzer ist die motorisierte Anfahrt, die Studien zufolge rund 70 % der CO2-Emissionen von Skigebieten ausmacht. Das zweite, grundlegendere Problem ist der Kunstschnee.

Ohne den geht auf Europas Pisten gar nichts mehr. In Österreich sind bereits mehr als 70 % der Skigebiete mit Schneekanonen ausgestattet. 

In Frankreich sind es 40 % der Pisten, in der Schweiz rund 50 % und in Italien sogar 87 %.

Kunstschnee hat einen großen Energie- und Wasserverbrauch: Ein Hektar künstlich beschneiter Fläche entsprechen 4.000 m3 Wasser. Dafür müssen große künstliche Wasserreservoirs gegraben werden. Diese stören den Wasserkreislauf und das lokale Ökosystem, während der Kunstschnee, der dichter als echter Schnee ist, den Boden durch Sauerstoffentzug beeinträchtigt. 

Dabei gibt es nachhaltige Ansätze, sagt Moritz Nachtschatt von der österreichischen Zweigstelle der NGO Protect Our Winters . "Es gibt Skigebiete, die bereits einen großen Anteil ihrer Energien selbst herstellen bzw. ausschließlich erneuerbare Energien beziehen. Es gibt innovative Rücklaufsysteme, bei denen der geschmolzene Schnee in die Speicherseen zurückfließt. Das größte Problem sind tatsächlich die steigenden Temperaturen. Irgendwann ist es auch für den künstlichen Schnee zu warm."

Langfristig droht der Klimawandel

Forscher warnen: Ohne Klimaschutzmaßnahmen wird die natürliche Schneedecke in den Alpen bis zum Jahr 2100 voraussichtlich um bis zu 70 Prozent abnehmen. Auch die Skisaison könnte bis zu einem Monat später beginnen als heute. Laut Simulationen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos (Schweiz) könnte es dann nur noch "oberhalb von 2500 Metern über dem Meeresspiegel genügend Naturschnee geben, um ein Skigebiet rentabel betreiben zu können".

Kann man 2023 noch guten Gewissens Ski fahren?

"Ja, man darf", meint Moritz Nachtschatt von Protect Our Winters. "Vor allem, wenn man sich anschaut, woher die Emissionen an einem durchschnittlichen Skitag kommen. Das ist einfach zu 70 % die Anreise. Je nachdem, welche Statistik man anschaut, sind es 60 bis 80 %. Und das heißt, ganz viel Verantwortung und viele der verursachten Emissionen liegen beim Endverbraucher.  Und das heißt: Wir alle sind gefragt, Gewohnheiten hinten anzustellen." 

"Wir fordern auf keinen Fall, dass nicht mehr Ski gefahren werden soll", unterstreicht Carmen Grasmick von der NGO Mountain Wilderness in Frankreich. "Viele von unseren Mitgliedern gehen sehr gerne Ski fahren. Das ist überhaupt nicht das Problem. Aber tatsächlich ist die Zeit des 'weißen Goldes', wie man früher sagte, ein wenig vorbei wegen der globalen Klimaerwärmung."

Umdenken in alle Richtungen: Skigebiete müssen flexibler werden

Dass der Wintersport nachhaltiger werden muss, "wissen wir schon seit mindestens zehn Jahren, wenn nicht sogar länger", meint Carmen Grasmick. "Jetzt ist der Moment gekommen, ein neues Kapitel aufzuschlagen und endlich den Weg für einen naturnahen und naturverträglicheren Tourismus zu ebnen. Wenn ein Skilift schließt, bedeutet das nicht gähnende Leere.

Natürlich gibt es einige Stationen, die bereits die Kurve gekriegt und sich dem Vier-Jahreszeiten-Tourismus zugewendet haben. Mountainbike und Schlitten fahren, Schneeschuhwandern, Langlaufen, Skitouren, es gibt viele Arten, den Berg zu genießen.Und das funktioniert sehr gut und führt auch zu langfristigeren, interessanteren, und weniger prekären Arbeitsverhältnissen. Es dauert ein wenig, bis die Auswirkungen wirklich spürbar werden, aber es geht - und ist eine Chance für die Berge."

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"Ja, es muss auf jeden Fall in neue Richtungen gedacht werden", meint auch Moritz Nachtschatt von der internationalen Initiative Protect Our Winters, die versucht, Bergliebhaber und Entscheidungsträger von nachhaltigen Lösungsstrategien zu überzeugen. 

"Skigebiete und Industrie müssen flexibler werden. Zum Beispiel gibt es in Österreich Skigebiete, die im November für Mountainbiker aufmachen."

Umdenken ist eine Überlebensfrage, denn: "Es wird leider sehr viele Skigebiete geben, unterhalb von 1.600 Metern und auch unterhalb von 2.000 Metern, die ab 2050, manche sicher auch schon früher gar nicht mehr befahrbar sein werden. Die Bedeutung der Skigebiete in vielen österreichischen Tälern ist sehr groß und schafft einfach sehr viele Arbeitsplätze. Ohne den Wintertourismus oder vielleicht auch den gesamten Bergsport-Tourismus wären ganze Täler in Österreich mit Sicherheit gar nicht mehr bewohnt."

Ruinen auf dem Berg

Sichtbare Folge des Schneemangels sind sogenannte "Geisterstationen", aufgegebene Skigebiete, die in den Alpen vor sich hindümpeln. Gut 400 ausgediente Anlagen gibt es allein in Frankreich nach Angaben der NGO Moutain Wilderness, die sich seit Anfang der 2000er-Jahre um deren Erfassung und Entsorgung bemüht. Insgesamt könnten es um die 3000 unerwünschte Altlasten sein, nicht nur ehemalige Skilifte, Hotels, Gastgewerbe, auch militärische Anlagen, Zäune und Stacheldraht, zum Teil noch aus dem 2. Weltkrieg.

"Wir wissen, dass es noch viel Reste mehr gibt, die noch nicht gemeldet sind", so Carmen Grasmick. "Deswegen haben wir 2021 eine partizipative Website eingerichtet, um ein genaues Inventar zu erstellen. Wir befragen Wanderer, Touristen, Menschen, die in den Bergen unterwegs sind. Wir haben uns etwas näher mit dieser Problematik befasst und festgestellt, dass sich niemand darum kümmert. Dabei müsste das Verschmutzer-Entsorger-Prinzip gelten."

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Klimabewusstsein erreicht den Spitzensport

Auch Spitzensportler reagieren auf die sicht- und spürbaren Auswirkungen des Klimawandels und haben sich in einem offenen Brief an den internationalen Ski- und Snowboardverband FIS gewendet. Darin gefordert werden eine Nachhaltigkeitsstrategie, ein neuer Rennkalender und umweltschonendere Reiserouten. Zudem sollten alle FIS-Events der bis spätestens 2035 klimaneutral sein.

"Wir kennen die derzeitigen Nachhaltigkeitsbemühungen der FIS und bewerten sie als unzureichend", heißt es in dem Brief. Zu den Initiatoren und Verfassern gehört der 24 Jahre alte Alpin-Skifahrer Julian Schütter, der den Brief am Rande der alpinen Ski-WM in Frankreich vorstellte und als Botschafter mit Protect Our Winters Austria zusammenarbeitet.

"Schütter ist sein circa einem Jahr Athlet bei uns als Teil unserer Athletes Alliance", bestätigt Moritz Nachtschatt. "Der offene Brief entstand aus seiner Eigeninitiative und ist auch nach wie vor sein Projekt. Wir haben ihn auf dem Weg so weit unterstützt wie irgendwie möglich. Und wir hoffen natürlich, dass das Ganze auch zu konkreten Resultaten führt."

Zwei Tage nach der Veröffentlichung trug der offene Brief an die FIS die Unterschriften von mehr als 300 Sportlerinnen und Sportlern aus den Bereichen Ski alpin, Ski nordisch, Freeski, Snowboard, Freeski und Freeride.

Mal konkret: Was tun, damit der Skiurlaub klimafreundlicher wird?

Protect Our Winters versucht, mit positiver Bewusstseinsarbeit zu überzeugen. Zum Beispiel Kampagnen mit einem "positiven Narrativ", die deutlich machen, dass die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nur klimafreundlicher, sondern oft auch ganz einfach viel bequemer ist, als im Stau zu stehen.

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Moritz Nachtschatt schöpft aus eigener Erfahrung. "Oft kommt das Argument: Ja, aber wir haben Kinder, das geht nicht. Ich bin selbst Vater von einem 2-jährigen Kind. Wir hatten früher ein Auto und meine Frau und ich, wir genießen nichts mehr, als mit dem Zug zu fahren."

Die meisten Skigebiete könne man mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Es liege in erster Linie an Tourismusverbänden und Regionalpolitik, die Taktung von Verkehrsmitteln entsprechend zu erhöhen.

Aber: "Natürlich darf man die Skigebiete selbst nicht aus der Pflicht nehmen. Diese Gebiete haben natürlich eine große Verantwortung, viele arbeiten noch daran. Und auch da, denke ich, kann es durchaus an uns Konsumenten liegen, dass wir dann ganz einfach auch die Skigebiete bevorzugen, die in Sachen Nachhaltigkeit schon mehr machen."

Tipps für einen möglichst nachhaltigen Skiurlaub

  • Umweltschonende Anreise: Anstatt zu sagen, es ist mühsam, mit dem Zug zu fahren, weil man seine Ausrüstung schleppen muss, einfach minimalistischer denken, weniger einpacken und dafür die Freizeit im Zug genießen. Viele Skigebiete in den Alpen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar oder bieten kostenlose Skibusse vor Ort an
  • Nachhaltige Skigebiete auswählen: Am besten erkundigt man sich vorher, ob der Ort Erfahrungen in Sachen Nachhaltigkeit vorweist, etwa auf künstliche Beschneiung verzichtet und womöglich eine Art "Ökosiegel" anbietet
  • Zertifizierte Unterkünfte buchen: Auch bei Hotels und Pensionen auf Gütesiegel für ressourcenschonende Unterkünfte achten (z.B.: Viabono , ibex fairstay, das österreichische Umweltzeichen,Blaue Schwalbe...)
  • Nachhaltige Skiausrüstung aussuchen: Am besten ausleihen und wenn schon kaufen, dann dabei auf Produkte achten, die ohne giftige Chemikalien und unter fairen Bedingungen hergestellt wurden.
  • Im Skigebiet auf regionale Produkte achten:  Wenn in der Hütte Sushi mit Lachs aus Alaska auf der Karte steht, ist etwas faul.
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