Oscar-Kandidat "Leviathan": International gefeiert, in Russland umstritten

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Von Euronews
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"Leviathan" gehört zu den Anwärtern auf den Auslandsoscar. Doch in Russland stößt der Film auf wenig Gegenliebe.

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“Leviathan” von Andrej Swjaginzew, eine Satire über das Leben in der russischen Provinz, gehört zu den diesjährigen Anwärtern auf den Auslandsoscar. Den Golden Globe hat der Film bereits, in Cannes gab es den Preis für das beste Drehbuch. Doch in Russland stößt "Leviathan" auf wenig Gegenliebe.

Warum, und was der Oscar daran ändern könnte, darüber sprechen wir mit dem russischen Produzenten des Films Alexander Rodnyansky.

Elena Karaeva, euronews: “‘Leviathan’ ist bereits Ihre zweite Zusammenarbeit mit Andrej Swjaginzew nach ‘Elena’ und wurde für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. International gab es großes Lob, aber in Russland ist die Meinung gespalten. Manche halten ihn für geniale Kinokunst, andere für russlandfeindliche Kritik. Von einer ‘ekelhaften Parodie der russischen Moral’ ist gar die Rede. Was sagen Sie dazu?”

Alexander Rodnyansky: “Ich glaube, es geht in dieser Diskussion nicht so sehr um den Film und seine künstlerischen Qualitäten , sondern um ganz allgemeine Fragen wie: Was bedeutet Russland heute? In welche Richtung steuert es? Warum?

Für mich und den Regisseur steht der Film in direkter Nachfolge der klassischen russischen Kultur und Literatur, des unnachahmlichem sozialen Realismus. Andrej Swjaginzew und seine Arbeit ruhen quasi auf den Schultern der russischen Literaturgiganten.

Ein Film hat meiner Meinung nach kaum etwas mit dem Ort, an dem er gedreht wurde zu tun, noch mit der Zeit, in der er spielt. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum ‘Leviathan’ überall auf der Welt gefeiert wurde, in allen Ländern, in denen er zu sehen war, Südkorea, Indien, den arabischen Staaten, den USA, Frankreich oder Großbritannien.

euronews: “Existieren die allgemeinen europäischen Werte noch in Russland? Werden sie von den Filmemachern, dem gesamten russischen Kino geteilt?”

Alexander Rodnyansky: “Ich glaube, dass das russische Kino ein Teil der europäischen Kultur war und nach wie vor ist. Wir haben eine Reihe von Filmautoren, Alexander Sokurow, Andrej Swjaginzew, Pawel Lungin, Alexei Utschitel. Sie sind alle europäische Autoren, sie teilen nicht nur dieselben Werte, wie ihre europäischen Kollegen auf spiritueller Ebene. Sie sind Teil desselben Produktionsprozesses, sie drehen in denselben Studios.”

euronews: “Gibt es offizielle Tabus in Russland bei der Auswahl der Themen oder herrscht so etwas wie Selbstzensur?

Alexander Rodnyansky: “Nein, ich glaube nicht, dass es offizielle Tabus in Russland gibt. Dafür Selbstzensur, aber dieses Phänomen lässt sich zum Teil erklären. Das Kino wird in Russland immer kommerzieller, die Filmkunst verdorrt. In den großen Kinoketten dominieren Blockbuster die Leinwände. Filme mit künstlerischem Anspruch und Autorenfilme sind verschwunden.
Die selbst auferlegte Zensur ist in dem Wunsch der Regisseure begründet, ihre Filme nicht nur einer Handvoll Zuschauern, sondern einem breiten Publikum zu zeigen. Ich würde sogar sagen, dass dem Autorenkino das Schlimmste noch bevorsteht. Und die einzige Möglichkeit, es zu retten, ist die Verbreitung im Internet.”

euronews: “Manche sagen, dass “Leviathan” ohne Ihre Erlaubnis ins Internet gestellt wurde. Trifft das zu?”

Alexander Rodnyansky: “Um es gelinde auszudrücken, unsere Fähigkeiten in diesem Bereich werden maßlos überschätzt.”

euronews: “Sollte ‘Leviathan’ den Oscar bekommen, wäre das für Sie persönlich der Höhepunkt Ihres Erfolgs oder erst der Startschuss?

Alexander Rodnyansky: “Mal von der professionellen Anerkennung durch die Filmbranche abgesehen, was immer sehr angenehm und schmeichelhaft ist, beschert es dem Film neues Leben. Es sorgt für Wellen und erregt die Aufmerksamkeit derer, für die wir den Film gemacht haben, die Kinogänger, vor allem die, die in Russland leben.”

euronews: “Vielen Dank Herr Rodnyansky, und viel Glück!”

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