Portugal trägt seit zwei Jahren das Sparkorsett

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Zwei Jahre nachdem Lissabon das von der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds geschnürte Rettungspaket und damit drastische Sparmaßnahmen akzeptierte, werden bei vielen Portugiesen Erinnerungen an die Diktatur und an die Nelkenrevolution wach. Sie wollen nicht mehr sparen. Joaquim Pinto da Silva, der seit fast drei Jahrzehnten in Belgien lebt, sieht das anders. Die Bürokratie in seinem Heimatland müsse abgebaut werden, meint er. Es gebe Bereiche, in denen die Kosten reduziert werden können, ohne Entlassungen vorzunehmen. Bereiche, die für die Wirtschaft Portugals eine Last seien. Das Rettungspaket im Umfang von insgesamt 78 Milliarden Euro gewährt dem Krisenland bis Mitte 2014 Hilfen, doch erholt hat sich Portugal bisher nicht. Im Gegenteil:
Die Arbeitslosigkeit stieg auf mehr als 18 Prozent, das Defizit stieg ebenfalls und der Schuldenberg wuchs auf 123 Prozent. Hunderttausende haben auf der Suche nach Arbeit das Land verlassen und manche, so auch Sara Poeta, die in Brüssel arbeitet, fragen sich, ob Portugal in der Eurozone bleiben sollte: “Der Vorteile der EU-Mitgliedschaft bin ich mir durchaus bewusst, denn ich bekam den Job ohne bürokratische Hürden überwinden zu müssen. Doch ich weiß nicht, ob Portugal in der Eurozone bleiben sollte, denn wir müssen an diejenigen denken, denen es schlecht geht, denen es an Geld für die Gesundheitsfürsorge mangelt. Ist es gut für die Menschen, in der Eurozone zu bleiben?” Portugiesische Europaabgeordnete sind davon überzeugt, dass ihr Land mehr Zeit zur wirtschaftlichen Erholung braucht. “Wir können unsere Produkte nicht verkaufen”, so Diogo Feio von den Konservativen, “doch unsere Wirtschaft muss wachsen. Einerseits muss der öffentliche Haushalt konsolidiert werden, andererseits ist Wachstum notwendig. Was zur Zeit fehlt, ist ein Gleichgewicht dazwischen.” Im linken politischen Spektrum hingegen werden Neuverhandlungen mit der Troika und vorgezogene Wahlen gefordert. “Jeder weiß, dass die derzeitige Regierung in Lissabon ihre Legitimität verloren hat. Zwar ist sie demokratisch legitimiert, sonst aber nicht”, meint Marisa Matias von der europäischen Linken. “Die Regierung hat keines ihrer Ziele erreicht, die Menschen protestieren gegen alles, was sie tut.” Zu Beginn der Woche wurden die Laufzeiten der Hilfskredite verlängert. Damit kann Portugal in den kommenden Jahren entlastet werden.

Über die Lage im Land und die Aussichten sprach Euronews mit
Ricardo Costa, dem Chefredakteur der portugiesischen Wochenschrift Expresso.

Euronews:
Wird Portugal ähnlich wie Irland seine Verpflichtungen in den vereinbarten Fristen erfüllen oder wird es wie Griechenland einen Schuldenschnitt verlangen?

Ricardo Costa:
Aus finanzieller Sicht, aus der Sicht der Märkte und was die öffentlichen Schulden betrifft, folgt Portugal dem Beispiel Irlands, mit einigen Wochen Verzögerung zwar, doch es holt auf. Die Zinsen für Staatsanleihen sind so stark gesunken, wie das vor Monaten niemand hätte voraussagen können. Was als finanzieller Erfolg gelten kann, ist jedoch nicht auch ein wirtschaftlicher, was den Haushalt und die sogenannte Realwirtschaft anbelangt. Das gilt vor allem für das Wachstum, das sich bis auf weiteres nicht einstellen wird, und es gilt für die Arbeitslosigkeit, die in Portugal alarmierend hoch ist.

Euronews:
Man spricht inzwischen von sozialer Müdigkeit. Die Regierung hat beispielsweise im Zusammenhang mit neuen Sparmaßnahmen entschieden, Rentner zu besteuern. Warum werden stattdessen nicht Immobilienfonds, große Unternehmen oder Stiftungen besteuert?

Ricardo Costa:
Weil die Wirtschaft bereits schwach ist, würde eine Besteuerung von Unternehmen, wirtschaftlichen Transaktionen oder von Investitionen die portugiesische Wirtschaft weiter schwächen. Weil die Regierung das zu vermeiden versucht, stellt sich die Frage, in welchem Bereich Gelder eingenommen werden können. Es geht somit um die Renten sowie um Reformen.

Euronews:
Welche Auswirkungen haben die Entlassung von 30 000 Beamten, Kürzungen des Budgets der Ministerien? Wirkt sich das nicht auf die Qualität der Leistungen im Gesundheitswesen und in der Erziehung aus? Wie wird die Öffentlichkeit darauf reagieren?

Ricardo Costa:
Das könnte schlimme Folgen haben, insbesondere wenn die Reformen mit heißer Nadel gestrickt werden. Es gibt Mythen, was die Größe der portugiesischen Verwalwaltung anbelangt. Es stimmt nämlich nicht, dass in der Verwaltung mehr Menschen tätig sind als im europäischen Durchschnitt. Noch stimmt es, dass die Qualität der Dienstleistungen schlecht ist. Es gibt Bereiche, in denen Reformen zu einem höheren technologischen Niveau und zu mehr Effizienz geführt haben, in denen das Personal reduziert wurde. Doch es gibt andere Bereiche, die darauf nicht vorbereitet sind und zum Erliegen kommen werden.

Euronews:
Einige Oppositionsparteien fordern den Rücktritt der Regierung und es gibt Spannungen zwischen den Koalitionsparteien. Wird die politische Krise herbeigeredet oder sind vorgezogene Wahlen wirklich möglich? Welche Auswirkungen hätte das auf das Sparprogramm?

Ricardo Costa:
Die politische Krise in der Regierungskoalition ist nicht zu leugnen, auch ist die Unterstützung für die Regierung kleiner geworden, als sie es zu Beginn war. Die beiden Koalitionsparteien und der Landespräsident sind sich darüber im klaren. Eine ernsthafte politische Krise würde sich zusammen mit der Wirtschaft- und Finanzkrise auf die Anpassungspläne und die finanzielle Hilfe äußerst negativ auswirken.

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