Geraldino: "Mein Lebenswerk ist gefährdet"

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Von Hans von der Brelie
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Der Kinderliedermacher ist seit der Coronakrise so gut wie arbeitslos, Auftritte brechen weg, der Künstler kämpft ums Überleben.

Euronews hat den deutschen Kinderliedermacher Gerd Grashausser, alias Geraldino, bei sich daheim in Nürnberg besucht und interviewt. Thema, leider immer noch: Covid-19. Welche Auswirkungen hat die Seuche in wirtschaftlicher Hinsicht auf die freischaffende Musik- und Kunstszene in Deutschland? Geraldino hat dazu so einiges zu sagen, redet sich in Rage. Man merkt, der Mann ist empört, wütend auch. Dahinter spürt man die Sorge. Immer wieder flicht er die Frage ein: "Wie soll es weitergehen?"

Doch Emotionen alleine sind noch kein Argument, weshalb Gerd Grashaußer auch seine Kernforderung mehrmals in unterschiedlichen Formulierungen auf den Tisch legt: Kurzarbeitergeld statt Hartz IV. Mit dieser Forderung nach einer Art "Kurzarbeitergeld-Regelung" steht Geraldino nicht alleine da. Seine Auffassung wird geteilt von der großen Mehrheit der freischaffenden Musiker und Künstler in Deutschland. Insofern ist die Lage und Forderung Geraldinos symptomatisch für die Situation unzähliger Artisten, Puppenspieler, Jazzmusiker, Liedermacher, Komponisten, Sänger, Tänzer, Tontechniker und Schauspieler der freien Kunstszene.

Obwohl Geraldino ein im deutschen Sprachraum anerkannter Kinderliedermacher ist und sogar ein eigenes Festival gegründet hat, muss er derzeit jeden Euro zweimal umdrehen. Ja sicher, wegen Covid-19, versteht sich. Auf die Regierung ist er stinksauer. Gerd Grashaußer (Geraldino): "Die Autoindustrie fordert Geld, Adidas, Puma, die Fluggesellschaften werden unterstützt. Aber wenn es um Menschen geht, um Menschen, die wirklich keine Einnahmen mehr haben, die lässt man einfach so im Regen stehen. Das, finde ich, ist eigentlich eine Frechheit. Das ist uns gegenüber nicht fair, gegenüber den kleinen, selbstständigen und anderen selbstständigen Künstlern ist das einfach nicht fair. Das ist unmöglich."

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Publiée par Geraldino sur Mardi 19 mai 2020

Unser Kameramann in Franken, Eric Deyerler, verbrachte fast einen ganzen Tag mit Geraldino, filmte ihn in seinem Tonstudio in Nürnberg, bei einem Auftritt vor Kindern in der Nachbarschaft, beim Pizzabacken in der Küche, in einer kleinen Nürnberger Galerie (wo er derzeit Kunstobjekte ausstellt). Aus den langen und detaillierten Ausführungen Geraldinos geben wir ihnen hier einige Auszüge wieder. Gelegentlich schaltet sich Geraldinos Managerin, Claudia Martin, in das Gespräch ein.

Euronews:
Wieviele Auftritte haben Sie durch Covid-19 verloren?

Geraldino:
Es ist eine bescheuerte Situation. Wir hätten normalerweise hundert Auftritte im Jahr gehabt, 40 wurden bereits abgesagt – und für das kommende Jahr 2021 ist nichts mehr geplant. Es kommen seit Wochen gar keine Anfragen mehr, auch nicht für den Herbst. Wir brauchen eine Perspektive. Wir brauchen eine Entscheidung. Wir müssen aus diesem Sumpf doch irgendwann wieder herauskommen. Es geht so nicht weiter. Die Politiker müssen sich dazu durchringen, zu sagen, wie es weitergehen soll.

Claudia Martin:
Keiner weiß, wie sich das Infektionsgeschehen weiterentwickeln wird. Niemand kann uns mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob wir ab September wieder spielen dürfen. Es kann keiner voraussagen.

Geraldino:
Aber dann müssen die doch auch für uns sorgen, dann müssen die uns doch einfach irgendetwas geben, Geld geben. Von was sollen wir denn solange leben?

Claudia Martin:
Solange die Auftritte eingeschränkt oder gar nicht möglich sind, muss es eine Entschädigung geben, mindestens 60 Prozent des Einkommens, denn alles andere ist einfach zu wenig zum Leben.

Geraldino:
Für Lufthansa und die Autoindustrie, da ist eine Lobby da, da wird auch schnell Geld zur Verfügung gestellt, da geht es in die Milliardenbeträge, während die kleinen, selbstständigen Künstler, die keine grosse Lobby haben, am Austrocknen sind, nichts mehr zu beissen haben, nicht mehr einkaufen gehen können. Uns lässt man im Regen stehen. Das ist ungerecht bis zum Gehtnichtmehr.

Euronews:
Wie fühlt man sich in so einer Situation? Ist das Angst oder Wut?

Geraldino:
Also auf der einen Seite bin ich total frustriert, weil ich nicht weiss, wie es weitergeht. Auf der anderen Seite habe ich eine totale Wut, vorallem wenn ich höre, dass wir unbürokratsich unterstützt werden. Doch das stimmt nicht. Ich habe Kollegen in Berlin und Baden-Württemberg, die haben drei Tage nachdem sie ihren Antrag eingereicht hatten, bereits Soforthilfe bekommen… und wir hier in Bayern warten immer noch darauf. Das ist echt hart. Ich finde, das geht so nicht. Man kann so nicht mit uns umgehen. Das ist entwürdigend. Deshalb bin ich wütend und von unseren Politikern enttäuscht.

Sinnvoll wäre Kurzarbeitergeld

Euronews:
Wie sollte eine vernünftige Lösung aussehen?

Geraldino:
Ich finde, die einzige sinnvolle Unterstützung wäre Kurzarbeitergeld, und zwar für alle selbstständigen und freischaffenden Künstler. Wir tragen ja keine Schuld daran, dass wir nicht arbeiten dürfen. Die Hilfe muss unserem Lebensstandard angepasst werden. Und dieses Kurzarbeitergeld sollte sich an unserem Steuerbescheid orientieren. Das wäre, finde ich, eine faire Sache. Wenn die (bayerische Staatsregierung) sagt, ihr bekommt jetzt mal für drei Monate tausend Euro und dann ist gut - also da fühle ich mich nicht wertgeschätzt und nicht ernst genommen.

Claudia Martin:
Es geht hier um ein Lebenswerk. Noch ist es nicht zerstört, aber es könnte sein, dass auf Dauer das ganze Lebenswerk zerstört wird.

Geraldino:
Ich bin jetzt seit 37 Jahren selbstständig. Ich habe mir etwas aufgebaut, Theater gegründet, eine Kunstfigur geschaffen, den Geraldino, ich habe Bücher geschrieben, Filme gedreht, CDs veröffentlicht. Ich habe ein Kindermusikfestival, das ich seit 22 Jahren organisiere – und das ist ein Werk, das ich geschaffen habe, durch meine eigene Arbeit. Und das ist jetzt gefährdet. Das finde ich tragisch. Das ist für mich dramatisch, weil ich meinen Beruf gern gemacht habe. Ich arbeite gerne, ich trete gerne auf, ich spiele gerne für mein Publikum – und diese Arbeit darf ich nun nicht mehr ausüben. Das ist schlimm.

Euronews:
Was sind denn die langfristigen Auswirkungen?

Geraldino:
Die Veranstalter sind natürlich ebenfalls verunsichert, die wissen auch nicht, wie es weitergeht und ob der Etat für das kommende Jahr bewilligt wird. Die Situation ist untragbar, sie ist wirklich grausam, gruselig, schlecht für uns.

Claudia Martin:
Jetzt wird die Möglichkeit einer zweiten COVID-19-Welle an die Wand gemalt, das heisst, die Veranstalter werden auch für Herbst 2020 und Frühjahr 2021 nicht planen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Infektionszahlen wieder hochgehen.

Coronakrise macht arbeitslos

Geraldino:
Ich habe immer für meinen Lebensunterhalt gesorgt. Und jetzt, durch diese Pandemie, bin ich arbeitslos geworden.

Claudia Martin:
Nein, arbeitslos gemacht worden. Du bist nicht arbeitslos geworden, Du hast ein berufliches Tätigkeitsverbot.

(Die Managerin geht zum Regal, zieht einen Ordner heraus und legt ihn auf den Arbeitstisch.)

Claudia Martin:
Dieser Ordner ist voller Verträge, aber Du darfst sie nicht erfüllen. Und manche Veranstalter sind noch nicht einmal verpflichtet, Ausfallhonorar zu zahlen, denn es handelt sich um eine behördliche Verordnung, dass die Veranstaltungen nicht mehr stattfinden dürfen.

Geraldino:
Na ja, aber hat unsere Kulturministerin für Deutschland nicht gesagt, dass der Bund als Veranstalter 60 Prozent des Honorars bezahlt?

Claudia Martin:
Das betrifft aber nur Künstler, die Verträge haben, die direkt aus Bundesmitteln gefördert werden. Die Grundidee ist gut, dass man 60 Prozent seines Honorars als Ausfallhonorar bekommt. Aber die Künstler, die mit anderen Veranstaltern Verträge haben, mit kommunalen Häusern, Jugendzentren, privaten Veranstaltern, die bekommen eben keine Ausfallgage.

Geraldino:
Wir brauchen Kurzarbeitergeld.

Claudia Martin:
Es müsste eine Lösung gefunden werden, für alle Künstler, die dem Kurzarbeitergeld entspricht.

Geraldino:
Wir Künstler haben einfach keine Lobby, das ist tragisch, uns lässt man einfach ausbluten. Das ist nicht fair.

Claudia Martin:
Das Risiko besteht, dass die Kunstszene in ihrer bunten Vielfalt nicht erhalten bleibt, das kann dann auch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es heisst immer, Deutschland sei ein starker Kulturstaat. Aber das wird er nicht bleiben, wenn die Künstler nicht schnell irgendwie aufgefangen werden.

Wer soll das bezahlen?

Euronews:
Kurzarbeitergeld – wer soll das denn bezahlen?

Claudia Martin:
Das soll der Steuerzahler bezahlen, denn wir werden ja mit einem Berufsverbot belegt, zum Schutze der Allgemeinheit. Dann erwarte oder wünsche ich mir, dass die Allgemeinheit auch dafür einsteht, dass eine Entschädigung gezahlt wird. Es gibt ein Infektionsschutzgesetz und jeder, der einem beruflichen Tätigkeitsverbot unterliegt und dadurch Einkommenseinbussen hat, der sollte entschädigt werden.

Euronews:
Es gibt doch eine ganze Reihe von Hilfsprogrammen, beispielsweise ist es möglich, vereinfacht Betriebskosten abzurechnen. Ist das keine Hilfe?

Geraldino:
Na ja, das mit den Hilfsprogrammen, das ist so eine Geschichte. Die Betriebskosten, die wurden erstattet, ja, aber wir brauchen auch Geld zum Leben. Das fehlt einfach. Das ist der Punkt. Da muss uns die Regierung unter die Arme greifen. Wir plädieren dafür, dass wir Kurzarbeitergeld bekommen, so wie andere Arbeiter auch. Wir sind nicht schuld daran, dass wir nicht arbeiten dürfen, wir wurden in die Arbeitslosigkeit verdammt. (…) Ich will jetzt nicht in Tränen ausbrechen, aber es steht Spitz auf Knopf. Es muss in der nächsten Zeit sehr schnell etwas passieren. Wir halten nicht mehr lange durch. Ich greife schon jetzt meine Rentenvorsorge an. Es geht richtig ans Eingemachte. Wir haben unsere Ausgaben, Sozialversicherung, Rentenversicherung, wir müssen für unsere Wohnung sorgen, wir brauchen was zu essen, ich muss meinen Sohn unterstützen. Wir brauchen Kurzarbeitergeld, orientiert an unserem Einkommenssteuerbescheid.

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