Mit dem neuen "Kulturkompass“ will die EU erstmals eine umfassende Kulturpolitik vorlegen. Das Programm soll künstlerische Freiheit stärken, faire Arbeitsbedingungen fördern und den Umgang mit KI regeln.
Die EU-Kommission hat sich auf eine langfristige Vision geeinigt, was sie im Kultursektor erreichen möchte. Gebündelt wird diese im sogenannten Kulturkompass, der nun vorgestellt wurde. Entwickelt wurde dieser von Glenn Micallef, EU-Kommissar für Generationengerechtigkeit, Kultur, Jugend und Sport.
"Es ist die Strategie, auf die der Sektor, die Institutionen, das Parlament und der Rat, aber vor allem die Künstler lange gewartet haben", sagte Glenn Micallef in einem Exklusivinterview mit Euronews. Kultur sei einer der wirksamsten Schutzschilde gegen Spaltung und Extremismus, betont der Kommissar aus Malta.
Es gibt immer wieder Berichte über Angriffe auf die künstlerische Freiheit, einschließlich Zensur und unzulässiger Einmischung, die die Unabhängigkeit von Kulturschaffenden beeinträchtigen. Angesichts dieser Bedrohungen fordern die Künstlerinnen und Künstler seit langem EU-Maßnahmen zum Schutz der künstlerischen Ausdrucksformen.
Der Kulturkompass soll die künstlerische Freiheit stärken und künftig regelmäßig Berichte über den Zustand der Kultur in der EU veröffentlichen.
Der Kulturkompass wird voraussichtlich 2026 von allen EU-Institutionen verabschiedet werden.
Wie steht der Kulturkompass zum Thema KI?
Die Idee, die Kultur auf die politische Agenda zu setzen, war im vergangenen Jahr stärker in den Fokus gerückt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte bei der Vorstellung der EU-Prioritäten für 2024 bis 2029, dass Europas Vielfalt und das kulturelle Erbe entscheidend für die Zukunft seien.
Darüber hinaus wurde ein strategischer EU-Rahmen für die Kultur vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat gefordert. Auch die Öffentlichkeit unterstützt die Stärkung der Kulturlandschaft in der EU: Eine kürzlich durchgeführte Eurobarometer-Umfrage zum Thema Kultur ergab, dass die Mehrheit - nämlich 87 Prozent - der Befragten der Meinung ist, dass die Kultur einen "sehr wichtigen Platz" in der EU einnehmen sollte.
Der Kulturkompass will eine stärkere Anerkennung des sozialen und wirtschaftlichen Wertes des Sektors gewährleisten. "Dieser Sektor trägt jährlich 200 Milliarden Euro zur Wertschöpfung unserer Volkswirtschaften bei", so Micallef.
Eines der wichtigsten Themen, mit denen sich der Kulturkompass befasst, sind die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz. Micallef weist darauf hin, dass digitale Technologien den Kultur- und Kreativsektor und die Kulturindustrie verändern.
"Wir müssen uns diese Technologien zu eigen machen", sagt er. "Im Kultursektor haben diese Technologien einen tiefgreifenden Einfluss. Sie stellen eine große Chance für den Sektor dar, aber nur, wenn die Bedingungen stimmen".
Die größte Herausforderung, die die KI mit sich bringt, betrifft das Urheberrecht. Viele Kuntschaffende haben ihre Frustration darüber zum Ausdruck gebracht, dass KI-Modelle ohne ihre Zustimmung mit urheberrechtlich geschützten Werken trainiert werden. Dies hat dazu geführt, dass rechtliche Schritte gegen Unternehmen eingeleitet wurden.
So entschied ein deutsches Gericht nach einer Klage der GEMA, dass OpenAI eine Lizenzgebühr für die Verwendung urheberrechtlich geschützter Liedtexte in seinen KI-Modellen, einschließlich ChatGPT, zahlen muss.
Micallef verwies auf die bestehenden, rechtlich bindenden Rahmenwerke der EU, die Regeln für diese Technologie festlegen, darunter das Gesetz über digitale Dienste - den Digital Service Act (DSA), das KI-Gesetz und die Richtlinie zum Urheberrecht.
Der Kulturkompass schlägt daher vor, eine neue KI-Strategie für die Kultur- und Kreativbranche zu entwickeln, die deren spezifische Bedürfnisse in ihrer künftigen Digitalpolitik berücksichtigt.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung der Zusammenarbeit zwischen Kreativen und dem digitalen Sektor, der Förderung der ethischen Nutzung von KI und Mitteln, die zum Schutz von Inhalten und Kreativen erforderlich sind.
Kultur muss Miete zahlen
Fast acht Millionen Menschen sind in der EU in Kultur- und Kreativunternehmen beschäftigt - das entspricht etwa 4 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in der EU. Das ist ein ähnlicher Anteil wie im Agrarsektor.
"Menschen schaffen Kultur, und es gibt keine Kunst, keine Kultur ohne Künstler und Kreativschaffende, und der Kulturkompass macht dies sehr deutlich. Sie sind es, die den Kultursektor zum Leben erwecken", sagt Micallef.
Trotz der Bedeutung der Branche stehen die Kreativen unter dem Druck prekärer Arbeitsbedingungen. Die Kulturarbeit bietet selten ein angemessenes Einkommen, so dass viele gezwungen sind, einen zweiten Job anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Freiberufler und Selbstständige sind häufiger als in anderen Branchen, und die Dauer der Arbeitsverträge ist in der Regel weniger stabil.
"Die Hälfte der Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, geben an, dass sie unter schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten. Wenn wir dies weiterhin zulassen, wird es für den Kultursektor sehr schwer sein, Talente anzuziehen und zu halten", erklärt der EU-Kommissar.
Um die Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen und Künstlern zu verbessern, schlägt der Kulturkompass vor, eine EU-Künstlercharta einzuführen. Darin sollen nicht nur Verpflichtungen für faire Arbeitsbedingungen empfohlen, sondern auch die Einhaltung der Vorschriften und die Rechenschaftspflicht verbessert werden.