Dringen Islamisten im Irak vor?

Dringen Islamisten im Irak vor?
Von Euronews
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Die Lage im Irak ist mal wieder besonders explosiv.
Die Attentate hören gar nicht auf. Die Stadt Falludscha ist in die Hände einer islamistischen Gruppe gefallen, die sich “Islamischer Staat im Irak und in Syrien” nennt, abgekürzt ISIS. Diese Gruppe will ein sogenanntes “Kalifat” errichten, einen islamischen Gottesstaat. Ihre Kämpfer haben weitere Geländegewinne zu verzeichen, darunter die Stadt Ramadi. Truppen der irakischen Regierung haben sie nicht aufhalten können. Im Gegenteil, die sunnitische Terrorgruppe hat auch Kämpfer einer Bürgerwehr vertrieben. Falludscha war nach der amerikanischen Invasion 2003 eine immer wieder hart umkämpfte Bastion von Aufständischen. Dass nun aber islamistische Gotteskrieger hier solche Erfolge verbuchen können, das ist neu. Zu verdanken ist es wohl auch dem ungehinderten Waffennachschub aus Syrien und Libanon. Die Regierungstruppen sind eindeutig in der Defensive. Und das nur wenige Kilometer vor der der Hauptstadt Bagdad. Schon die Amerikaner mit ihrer so viel schlagkräftigen Kampfkraft taten sich 2004 schwer, Aufstände in Falladscha niederzuschlagen. Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki steht heute auf ziemlich verlorenem Posten. Seine zusätzliche Sorge gilt dem Verhalten einzelner Stammesverbände. Er hofft, sie könnten gegen Al-Kaida-Einheiten kämpfen. So sicher ist das aber nicht. Auch die Stammesführer sind von der Politik des aktuellen Ministerpräsidenten enttäuscht, sehen unter seiner Regierung ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt.
An einigen Stellen helfen die Stammeskrieger der offiziellen irakischen Armee gegen die Islamisten, denen sie sich auch nicht unterwerfen wollen.
Sicherheitsexperte Ahmed Al Sheriyeffi betont,
man habe nicht gesehen, dass lokale Stämme den Extremisten die Tür öffnen würden. Das nicht. Auch wenn sie mit der Regierung unzufrieden seien. Diese Konflikte gingen doch noch nicht so weit, dass sie bei den Terroristen Unterstützung suchen würden. Wenn da einer im heutigen Irak die Kalschnikow gen Himmel abfeuert und ruft “Allah ist der größte”, dann kann man daraus keineswegs schließen, was dieser Kämpfer eigentlich will.
Ihre Religiösität betonen sie alle. Auch wenn nicht alle ihren Islam in gleicher Weise ausgelegt sehen wollen. Im Irak tobt ein Machtkampf, der durch den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien nur noch verschärft wird.

Wir sprechen mit dem Nahostexperten Faris Abi Ali über die Situation im Irak.

euronews:
“Sind das lose organisierte Kämpfer, die sich der Al-Kaida anschließen oder ist da eine gutdurchorganisierte, koordinierte Strategie dahinter?”

Faris Abi Ali
“Ich glaube, das sind lose Gruppierungen. Die Sunniten, – nicht nur im Irak, sondern auch in anderen Ländern, – sind untereinander gespalten. Im Irak kämpfen einige Sunniten auf der Seite der Regierung und andere für ISIS, das steht für “Islamischer Staat im Irak und Syrien”. Einige sunnitische Gruppierungen kämpfen gegen die Regierung, weil sie sich ausgeschlossen fühlen, – nicht vertreten von Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Andere sind gegen ISIS, weil sie schlechte Erfahrungen mit den Islamisten gemacht haben, aber gleichzeitig sind sie auch gegen Al-Maliki und seine Verbündeten.”

euronews:
“Was genau ist ISIS? Wer ist das? Wieviel Macht haben sie?”

Faris Abi Ali:
“Sie haben eine nihilistische Ideologie und ihre Interpretation des Islam beruht hauptsächlich auf Gewalt. Einige syrische Rebellengruppen, die ursprünglich auf der Seite von ISIS waren, haben sich abgewendet. In der ISIS Gruppierung kämpfen viele Fremde, oft aus Ländern des Nahen Osten. Wir sehen auch eine kleine Zahl Tschetschenen, ein paar hundert. Sie wollen alle mit Gewalt einen islamischen Staat herbeiführen, der rückschrittlich und mittelalterlich ist.”

euronews:
“Sie rechnen also damit, dass die Gewalt weitergeht?”

Faris Abi Ali:
“Ja, das glaube ich. Ich sehe keinerlei Anzeichen, dass die Gewalt abnimmt. Wer da etwas bewirken könnte, das sind Länder wie die Türkei und Jordanien. Diese Länder haben große Schwierigkeiten, ihre Grenzen zu kontrollieren. Sie könnten Kämpfer davon abhalten, in den Irak und nach Syrien zu reisen. Aber es ist offensichtlich, dass die Türken auf dem Gebiet nichts unternehmen. Wenn sie das täten, dann würde die Gewalt zurückgehen, aber so nicht.”

euronews:
“Welche Gebiete sind noch bedroht?”

Faris Abi Ali:
“Wir sehen bereits, dass sunnitische Kämpfer im Libanon aktiv sind. Das war allerdings schon vor dem Krieg in Syrien der Fall, ist jetzt aber noch verstärkt. Bombenanschläge im Libanon zielen auf Schiiten ab. Und dann war da der Angriff auf die iranische Botschaft im November. Die Beziehung zwischen den Islamisten und der jordanischen Regierung ist schlecht und wird sich noch weiter verschlechtern. Auch europäische Kämpfer in Syrien werden mit bestimmten Ideen zurückkehren nach Europa. Wir sehen jetzt schon Tunesier, die aus Syrien nach Tunesien zurückkehren, und sie stellen ein Problem für die innere Sicherheit des Landes dar.”

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