"Nur ein zweites, wirklich demokratisches Referendum ist die Lösung!"

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Von Euronews
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Der katalanische Journalist Josep Carles Rius zu den Ursprüngen und Perspektiven des Katalonien-Konflikts

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Josep Carles Rius verfolgt die Lage in Katalonien seit Jahrzehnten aus direkter Anschauung: Er war Vizedirektor der katalanischen Zeitung “La Vanguardia”, Dekan einer Journalistenschule und Professor für Journalismus an der Autonomen Universität von Barcelona. Er sprach mit uns über die Ursprünge und Folgen der Krise – mit besonderem Blick auf die Demonstrationen an diesem Wochenende. In Barcelona hatten am Sonntag mehr als dreihunderttausend Menschen gegen die Unabhängigkeit demonstriert. Tags zuvor waren in Madrid die Gegner der Abspaltung auf die Straße gegangen.

Vom Schachspiel zum Action-Krimi

Rius hat einen Umbruch im “Katalonien-Poker” vor ein paar Monaten konstatiert: “Der Prozess, den Katalonien seit Jahren durchlief, war wie ein Schachspiel: Jeder Spieler machte seine Züge und dachte genau über die Folgen nach, versuchte vor allem, Fehler zu vermeiden. So lief das bis vor ein paar Monaten, als absehbar wurde, dass der Unabhängigkeitsprozess in seine Endphase tritt, und da änderte sich das Spiel – in Aktion – Reaktion.”

“Ich denke, man muss andere Auswege suchen, andere Übereinkünfte,Verfassungsreformen, um inklusiver zu sein und die Pluralität widerzuspiegeln. Sonst kann das “Ja” oder “Nein” die Gesellschaft wirklich spalten. Eine Gesellschaft kann beschließen, ein Referendum abzuhalten, muss sich aber dieser Spaltung bewusst sein. Und solche Elemente werden in der katalanischen Gesellschaft sichtbar. Die Demonstration am Sonntag kann schon ein Anzeichen für diese Spaltung gewesen sein.”

Werden Abspaltungsgegner in die Arme der Bewegung getrieben?

Das zeigte auch die Wahlbeteiligung von unter fünfzig Prozent beim Referendum. Bei weitem nicht die Mehrheit aller Katalanen stimmte für die Abspaltung. Und, so betont Rius: “Viele Leute haben ihre Stimme abgegeben, die nicht wirklich für die Unabhängigkeit sind. Das ist das Vermögen, das die Unabhängigkeits-Bewegung zur Zeit hat. Die Frage ist, ob sie bei ihrem nächsten Schritt dieses Vermögen bewahren und auch international ausweiten kann, oder ob sie irreversible Fehler macht – dann verliert sie dieses Vermögen. Wenn die katalanische Autonomie suspendiert wird, dürfte die logischste Folge sein, dass eine Mehrheit der katalanischen Gesellschaft daraufhin die Unabhängigkeit unterstützt, oder die Bewahrung der katalanischen Institutionen, auch ohne wirklich für die Unabhängigkeit zu sein.”

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy wies bislang jeden Dialog zurück, da die Unabhängigkeitsbestrebungen gegen die Verfassung verstößen. Rius sieht ihn in alter Tradition der spanischen Rechten: “Das Problem ist, dass wir einem Ansprechpartner gegenüberstehen, dem spanischen Staat, der nicht reden will. Und der eher versucht ist, die Niederlage des Anderen herbeizuführen, das ist eine historische Versuchung des spanischen Nationalismus. Das heißt, er sucht keinen Dialog, sondern möchte nationalistische Bestrebungen ersticken, und das über mehrere Generationen. Das ist die große Versuchung für den härtesten Teil der Rechten im spanischen Staat.”

WELCOME TO HELL, CATALONIA !
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— Marian Kamensky (@MarianKamensky1) 6 October 2017

Die Rolle der Sozialisten

Doch nur der Dialog scheint der Ausweg aus der drohenden Eskalation. Hier könnte Spaniens größte Oppositionspartei, die Sozialisten unter Pedro Sánchez, sich einschalten. “Da haben wir einen sehr wichtigen Faktor im Ganzen: die Sozialisten, die etwas fehl am Platz zu sein scheinen”, findet Rius. “Sie sollten die Brücke zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und dem Unionisten-Block aus Volkspartei und der Ciudadanos-Partei sein. Aber das tun sie nicht, Pedro Sánchez erfüllt seine Rolle nicht, und meiner Ansicht nach ist das eine historische Verantwortung, die die Sozialistische Partei in diesem Moment hat.”

Lösung für das Problem nur an der Wahlurne

Nach den Massenkundgebungen am Wochenende, angesichts der Gefahr der Abwanderung von Unternehmen und mangels Unterstützung aus dem Ausland wächst der Druck auf Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont. Welche Alternative hat er zur Unabhängigkeitserklärung? Rius: “Wir sind bis hierher gekommen, wo ist jetzt das Problem? Dass die Unabhängigkeitsbewegung sehr viel Kraft hat, dass sie zwei Millionen sehr aktive, mobilisierte Menschen hinter sich hat, aber nicht genug Kraft gegenüber einem Staat wie dem spanischen? Wir haben zwei Lager – das eine ist für die Kapitulation, das andere will das nicht hinnehmen. Ganz offensichtlich ist der einzige Ausweg die Vermittlung – man muss Berührungspunkte suchen. Und vergessen wir nicht den Ursprung des Problems: Nämlich, dass das Verfassungsgericht das neue Autonomiestatut von 2006 abgeschmettert hat, das an den Wahlurnen gebilligt worden war. Das Problem rührt von den Wahlurnen her, daher, dass eine Entscheidung der katalanischen Wähler nicht angenommen wurde. Und offensichtlich muss man ein Problem, das an den Urnen entstand, auch an den Wahlurnen beheben. Früher oder später ist die einzige mögliche Lösung ein weiteres Referendum. Aber kein unterdrücktes wie das jüngste, sondern ein bewilligtes, mit allen demokratischen Garantien.”

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