Energiewende: Ist Deutschland der faule Apfel im europäischen Korb?

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Von Sophie ClaudetSabine Sans
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Im euronews-Interview spricht Energieökonomin Claudia Kemfert über den Kohleausstieg und das vermeintlich grüne Image Deutschlands.

Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Kemfert forscht über die Bewertung von ökonomischen Effekten der Klima-, Energie- und Verkehrspolitik. Als Gutachterin und Politikberaterin war und ist sie in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig. 2016 wurde sie in den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) berufen. Sie beriet unter anderem die Weltbank und die UNO.

Euronews-Reporterin Sophie Claudet: "Claudia Kemfert, vielen Dank, dass Sie bei uns sind. Die deutsche Regierung hat eine Kommission eingesetzt, um einen Ausstiegsplan aus der Kohle festzulegen. Aber unser Bericht zeigt, dass ein wichtiger Braunkohle-Tagebau erweitert werden soll. Wie ernst nimmt die Regierung den Kohleaustieg?"

Claudia Kemfert, Energieökonomin: "Die Regierung scheint es ernst zu meinen mit dem Kohleausstieg, denn man will sowohl die Klimaziele von 2020 als auch von 2030 erreichen. Aber es gibt große Hürden und offensichtlich ist die Kohlelobby in Deutschland sehr mächtig. Die Regierung hat zu lange gezögert, den konkreten Kohleausstieg zu planen mit dem Ergebnis, dass wir heute große Debatten darüber haben, wann und wie die Kraftwerke stillgelegt werden sollen."

Euronews: "Sie sagen, dass die Pro-Kohle-Lobby wirklich mächtig ist. Zeigt sich dass beispielsweise darin, dass man Politiker beeinflusst?"

Claudia Kemfert: "Die Lobby ist stark darin, Politiker zu beeinflussen, der Kohleabbau hat eine lange Tradition in Deutschland, besonders in Westdeutschland. Es gibt eine starke Verbindung zu einer Partei, den Sozialdemokraten, und auch die Gewerkschaften kämpfen um jeden Kohle-Arbeitsplatz in Deutschland."

Euronews: "Dabei gibt es weitaus weniger Arbeitsplätze im Kohlebergbau als im Bereich der erneuerbaren Energien."

Claudia Kemfert: "Deutlich weniger als im Bereich der erneuerbaren Energien, es gibt 20.000 Arbeitsplätze im Kohlebereich, und 400.000 Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien."

Euronews: "Die Kohlekommission soll bis Ende des Jahres einen konkreten Ausstiegstermin festlegen. Wann wird der Ihrer Meinung nach sein?"

Claudia Kemfert: "Wir können relativ schnell aus der Kohle aussteigen, wenn wir sie durch erneuerbare Energien ersetzen. Dafür müssen wir den Anteil der erneuerbaren Energien erhöhen, das wäre die erste Maßnahme. Und dann könnten wir schon jetzt viele Kohlekraftwerke stilllegen, weil wir mehr Strom produzieren, als wir brauchen. Im Folgeschritt können wir den Kohleanteil schrittweise bis maximal 2030 reduzieren, um den gesamten Anteil der Kohle durch erneuerbare Energien zu ersetzen, aber dafür brauchen wir ein wenig Zeit."

Euronews: "Deutschland will bis 2022 aus der Kernenergie aussteigen und plant den Kohleausstieg. Ist es vernünftig und realistisch, beide Ziele gleichzeitig anzugehen?"

Claudia Kemfert: "Nicht gleichzeitig, sondern ein Ziel nach dem anderen. Wir werden also bis 2022 den Ausstieg aus der Kernenergie vollziehen, und danach den Kohleausstieg beginnen, in dem wir den Anteil der Kohle von derzeit 40 Prozent schrittweise bis 2030 reduzieren. Das ist realistisch, wenn wir den Anteil erneuerbarer Energien drastisch erhöhen."

Euronews: "Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Bezug auf Kohleverbrauch und deren Produktion? Ist Deutschland der faule Apfel im Korb?"

Claudia Kemfert: "Der Strom in Deutschland wird zu einem großen Teil aus Kohle erzeugt, vor allem aus Braunkohle, was die Emissionen sehr hoch ansteigen lässt, ein wirklich großer Anteil im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Das müssen wir reduzieren, auch im Hinblick auf den geplanten Energiewandel hin zu mehr erneuerbaren Energien, Kohle passt nicht in dieses Bild, wir müssen also einen besseren Stand in Europa erreichen und das Thema ernst nehmen."

Euronews: "Wie kommt es, dass Deutschland weithin als umwelt- und klimafreundlich wahrgenommen wird, obwohl es so viel Kohle produziert und verbraucht? Wie kommt es zu diesem grünen Image?"

Claudia Kemfert: "Das ist die große Frage. Wir müssen uns diesem Widerspruch stellen, wir müssen den Anteil der Kohle reduzieren, und wir wollen so grün sein, wie wir von der Außenwelt wahrgenommen werden. Das ist der erste Schritt, den wir gehen müssen, sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit."

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