Bericht: "Cum-Ex"-Aktiengeschäfte schädigen Fiskus um 55 Milliarden Euro

Bericht: "Cum-Ex"-Aktiengeschäfte schädigen Fiskus um 55 Milliarden Euro
Von Sigrid Ulrich mit dpa, Reuters
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Durch das Hin- und Herschieben von Aktien wurden EU-weit Finanzämter getäuscht. Sie erstatteten Milliardensummen an Steuern zurück, die nie gezahlt wurden

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Durch das Hin- und Herschieben von Aktien wurden EU-weit Finanzämter
getäuscht. Sie erstatteten Milliardensummen an Steuern zurück, die
nie gezahlt worden waren. Der Schaden für die Staatskasse durch dubiose "Cum-Ex"-Steuergeschäfte ist Medieninformationen zufolge deutlich höher als angenommen.

Mitarbeiter des journalistischen Portals "Correctiv"

Das haben monatelange Untersuchungen des journalistischen Portals "Correctiv" ergeben, an denen Journalisten aus 12 Ländern beteiligt waren, unter anderem das ARD-Magazin "Panorama", die Wochenzeitung "Die Zeit" und "Zeit Online".

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Oliver Schröm

"Correctiv"-Chefredakteur Oliver Schröm:

"Wir haben eine unglaubliche Schädenssumme recherchiert und errechnet. Es geht um insgesamt 55,2 Milliarden Euro, die in ganz Europa durch „Cum-Ex“ und ähnliche steuergetriebene Aktiengeschäfte quasi erbeutet wurden. Es ist sicherlich einer der größten Steuerraubzüge in der Geschichte Europas."

Bei den umstrittenen Geschäften schoben demnach Anleger aus 11 Ländern rund um den Dividendenstichtag Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch rasch zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Die Papiere zirkulierten, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten. Die Folge der
Karussellgeschäfte: Steuer-Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den
darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt,
obwohl sie nur einmal gezahlt wurden. Finanzämter erstatteten dadurch mehr Steuern, als sie zuvor eingenommen hatten.

Ein Kronzeuge, der anonym bleiben will

Ein Kronzeuge aus der Finanzbranche, der anonym bleiben will:

"Jeder, der Kredite geliefert hat, der als Aktienhändler mitgewirkt hat, jeder Anleger, der Geld zur Verfügung gestellt hat, wusste im Kern, was da passiert: Dass man hier Rendite aus dem Steuersäckel holt."

Die Staatsanwaltschaft Köln arbeitet seit 2013 an dem Themenkomplex und hatte zuletzt im Juni ein Ermittlungsverfahren gegen die spanische Großbank Santander eröffnet. Der Verdacht: Schwere Steuerhinterziehung in den Jahren 2007 bis 2011. Bislang ist nicht höchstrichterlich geklärt, ob “Cum-Ex” ein legales Steuerschlupfloch war oder nicht.

Dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeszentralamt für Steuern sind bisher für Deutschland 418 Fallkomplexe mit einem Volumen von 5,7Milliarden Euro bekannt, so die Parlamentarische StaatssekretärinChristine Lambrecht (SPD). Die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) habe zudem Kenntnis von aktuell 72 «Cum-Ex»-verdächtigen Geschäften. Hinzu kämen weitere noch zu prüfende 19 Verdachtsfälle.

Im Mai hatte die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft die bundesweit erste Anklage wegen «Cum-Ex» erhoben. Die Strafverfolger werfen einem aus Hessen stammenden Anwalt sowie fünf ehemaligen Mitarbeitern der
Hypovereinsbank schwere Steuerhinterziehung vor. Darauf stehen bis zu
zehn Jahre Haft. Es geht um eine Summe von gut 113 Millionen Euro.

Abgewickelt wurden die Deals laut Staatsanwaltschaft über die
Gesellschaft eines inzwischen verstorbenen Privatinvestors.
Der Anwalt, der mittlerweile in der Schweiz lebt und früher in der
hessischen Finanzverwaltung arbeitete, soll "die Steuerhinterziehung
auf Basis von "Cum-Ex"-Geschäften als Geschäftsmodell für
Privatkunden maßgeblich entwickelt und sich auch um die Akquise des
Investors gekümmert haben".

Sigrid Ulrich

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