Spanien: Politikverdrossene setzen auf die rechte Vox-Partei

Spanien: Politikverdrossene setzen auf die rechte Vox-Partei
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Von Valérie Gauriat
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Die traditionell linke Hochburg Andalusien rückt nach rechts - aber niemand will sich bekennen.

Warum sind die Rechten in der traditionell linken Hochburg Andalusien im Aufwind? Die rechtspopulistische Vox-Partei gewann bei den Regionalwahlen im Dezember 12 Sitze im Regionalparlament. Im Vorfeld wichtiger Wahlen - in Spanien gibt es vorgezogene Neuwahlen im April, im Mai stehen die Europawahlen an - wollte euronews-Reporterin Valérie Gauriat die Gründe für den Aufwind der Vox-Partei recherchieren. Bei ihrer Spurensuche vor Ort stieß sie auf eine Mauer des Schweigens.

Eine Routinepatrouille im Helikopter über den Ufern der spanischen Stadt La Línea de la Concepción, gegenüber der marokkanischen Küste an der Straße von Gibraltar. Regelmäßig beschlagnahmt die Polizei geschmuggelte Drogen - die südandalusische Stadt ist das Einfallstor für Haschisch nach Europa. In den vergangenen Monaten erhöhte die spanische Polizei den Druck auf die Drogenhändler.

Euronews-Reporterin Valérie Gauriat: "Das ist ein Kilo Haschisch. Jedes dieser Pakete hat mindestens einen Wert von 30.000 Euro. Ist der Drogenhandel in Línea zu einem normalen Broterwerb geworden?"

Ein Polizist, der anonym bleiben will, sagt: "Ja, das ist eine Lebensweise, sehen Sie, das ist eine Gesellschaft, in der es wenig Arbeit gibt, die vom Drogen- und Tabakschmuggel hier in 'La Línea' lebt. Die Arbeitslosigkeit ist hier sehr hoch, es gibt sehr wenig Arbeit, sodass es einfacher ist, vor allem für junge Menschen, sich dieser Art von Aktivität zu widmen."

Vox punktet mit Themen wie Arbeitslosigkeit und Kriminalität

Grenzschutz, Kriminalität, Arbeitslosigkeit - drei der Themen, mir denen die rechtspopulistische Partei Vox bei den jüngsten Regionalwahlen punkten konnte. Euronews hat einen Termin mit lokalen Parteivertretern in La Línea, an einem Markttag. In letzter Minute wurde das Treffen abgesagt, die euronews-Kamera ist nicht mehr willkommen. Der Vox-Vertreter vor Ort blockt jegliches Gespräch ab. Auf Nachfrage kann er keine Gründe nennen. Die einzige Information ist: Die Vox-Zentrale in Madrid hat jeglichen Pressekontakt untersagt.

Man bittet das euronews-Team, die Kamera auszuschalten. Am Vox-Informationsstand auf dem Markt will die Parteivertreterin, die den Pressetermin zuvor bestätigt hatte, nichts mehr mit euronews zu tun haben.

Deshalb ist sie unkenntlich in der folgenden Videosequenz, in der die Reporterin Zeuge einer hitzigen Diskussion wird: Eine junge Frau kritisiert die Partei für ihre radikalen Ansichten über Einwanderer und Homosexuelle:

"Ich glaube nicht, dass das richtig ist! Man hört Dinge und ich sehe, was sie propagieren", wirft sie der Vox-Vertreterin vor.

Die antwortet: "Hören sie auf das, was wir sagen, oder auf das, was die Medien über uns sagen?"

Junge Frau: "Ich weiß, was ich höre und sehe! Hier sagen Sie andere Dinge, als man sonst so hört. Man hört, dass sie gegen diese Menschen hetzen."

Vox-Vertreterin: "Dann sage ich meiner Partei, sie sollen besser kommunizieren! Denn wir sind garantiert weder gegen Homosexuelle noch gegen Ausländer!"

Als die Vox-Vertreterin sieht, dass euronews immer noch filmt, wird sie ärgerlich und droht mit der Polizei.

Euronews-Reporterin Valérie Gauriat: "Die Frau hat tatsächlich die Polizei gerufen, sie wollte nicht gefilmt werden, sie wurde sehr wütend. Unsere Chancen für unsere geplante Reportage schwinden dahin."

Vox verweigert die Kommunikation: Was sagen Vox-Symphatisanten?

Keiner der Parteivertreter spricht mit euronews, die Reporterin sucht nacht Vox-Sympathisanten auf dem Markt.

Euronews-Reporter Carlos Marlasca fragt zwei Frauen: "Glauben Sie, eine neue Partei wie Vox ist eine gute Sache?" Die Mutter stimmt zu, die Tochter sagt etwas skeptischer: "Zumindest ändert sich etwas." Die Mutter bekräftigt: "Ich denke, es ist eine gute Sache. Ich tendiere nicht unbedingt dazu, für eine neue Partei zu stimmen. Aber alle anderen sind so schlimm! "

Marktverkäufer José Santiago sagt: "Vox ist anders als die anderen Parteien. Wir hoffen auf eine Veränderung, man wird sehen, ob sie etwas bewirken kann, was den Arbeitern hilft, den kleinen Unternehmen, ob sie sich mehr für die "Armen" in Anführungszeichen einsetzt, die weniger privilegiert sind."

Eine Marktverkäuferin meint: "Ich verstehe nichts von Politik und will es auch nicht. Denn wenn wir Spanier Unterstützung brauchen, um etwas bitten, dann bekommen wir keine Hilfe. Erklärt das nicht alles? Müssen wir auch auswandern, um Rechte zu bekommen?"

Zuwanderung ist ein heißes Thema

Zuwanderung, ein zentrales Thema für Vox. Nur wenige Kilometer von La Línea entfernt ist der Hafen von Algeciras einer der wichtigsten Anlandungspunkte an der spanischen Küste für Flüchtlinge, die nach Europa wollen.

Das euronews-Team nähert sich einer Gruppe von Vox-Vertretern, die in Algericas Wahlkampf machen. Wieder ohne Erfolg: "Ihr Koordinator ist nicht da und niemand will ohne seine Genehmigung mit uns sprechen", sagt Valérie Gauriat. Trotz vieler Versuche der Reporterin kommt kein Gespräch zustande.

Das Filmteam versucht sein Glück ein paar Meter weiter. Passanten geben Auskunft - anonym:

"Ich wähle Vox, weil ich Spanier bin. Das ist Grund genug."

"Ein paar ihrer Ideen finde ich gut, aber nicht alle"; sagt ein anderer Mann. Auf die Nachfrage, welche Ideen er meint, sagt er: "Das erkläre ich jetzt nicht vor laufender Kamera. Aber ich finde sie auf jeden Fall gut."

Im Café lösen sich die Zungen. Auf die Frage, ob man Vox wählen wird, sagt José Antonio Coronil:
"Ja, das werde ich. All diese Menschen, die von außen kommen, die Hilfe bekommen. Die Fremden brauchen nur zur Stadtverwaltung zu gehen, und sie bekommen Strom und Wasser bezahlt. Das macht einen wirklich wütend! Während die Leute von hier, die aus dem Dorf kommen, die finden kein Gehör! Sollte man nicht zuerst den Einheimischen helfen, bevor man sich um die Fremden kümmert? Bring dein Haus in Ordnung und dann kannst du dich um Außenstehende kümmern!"

Vox-Anhänger kommen aus allen Schichten

Zurück in La Línea de la Concepcion. Vox hat auch Anhänger aus der Mittelschicht. Den Reportern wird erzählt, viele Geschäftsleute hoffen auf die von der Partei versprochenen Steuersenkungen. Aber niemand will öffentlich darüber sprechen.

Der Einzige, der bereit ist, vor laufender Kamera zu sprechen, ist einer der Intellektuellen der Stadt. Er unterstützt vor allem Voxs Ansichten zur Einheit Spaniens:

"Laut Vox muss das spanische System der autonomen Regionen reformiert werden. Denn dadurch wurden verschiedene Kategorien autonomer Regionen geschaffen", so Diego López Bonillo, der einen Universitätslehrstuhl für Philosophie hat: "Warum sollte man im Baskenland eine andere Steuerlast haben als hier? Es wäre auch gut, wenn sich der Staat die Bildungskompetenzen wieder aneignen würde. Denn es kann nicht sein, dass es 17 verschiedene bzw. unterschiedliche Geschichtsversionen gibt, je nachdem, ob man aus Extramadura, Andalusien oder Katalonien kommt. Meiner Meinung nach kann die derzeitige Situation zu einem Zerfall der Nation führen, wenn wir nicht den richtigen Weg einschlagen."

Leitmotiv für Vox-Sympathisanten: nationale Einheit

Nationale Einheit, ein Leitmotiv für Vox-Unterstützer. Unter ihnen viele Mitglieder der Sicherheitskräfte. Einer von ihnen stimmt zu, die euronews-Reporterin zusammen mit seiner Frau zu treffen, vorausgesetzt sie bleiben anonym. Enttäuscht von der Partido Popular, Spaniens konservativer Volkspartei, wählt der Polizist jetzt Vox. Ein zu radikaler Bruch für seine Ehefrau, die der Volkspartei treu blieb.

"Ich sehe einen Hoffnungsschimmer, insbesondere in Bezug auf die Verteidigung der nationalen Einheit und der Verfassung. Vor allem wegen der jüngsten Ereignisse in Katalonien und all der vergangenen Jahre im Baskenland. Jetzt sehe ich jemanden, der die Einheit unseres Landes verteidigt. Ich bin Spanier, ich verteidige mein Land unabhängig von meiner politischen Einstellung! Und ich liebe mein Land! Wenn ich die Nationalhymne höre, bekomme ich Gänsehaut", so der Polizist.

"Das ist ein sehr männliches Gefühl", meint seine Frau: "Aber es gibt sicherlich dieses Männerbild der Vergangenheit, des iberischen Machos, wie man in Spanien sagt. Ein großer Prozentsatz der Vox-Stimmen kommt daher: Von Männern, die die Vergangenheit idealisieren, ohne sie überhaupt richtig zu kennen. Die überwiegende Mehrheit der Vox-Wähler hat die Diktatur nicht erlebt, weil sie nicht alt genug sind! Sie glauben, dass früher alles besser war, deswegen werden sie Vox wählen."

"Ich weiß nicht", kommentiert ihr Mann.

Zankapfel Gibraltar

Vox trifft nicht die breite Mitte in La Línea. Wie hier, an der Grenze, die die Stadt von Gibraltar trennt. Jeden Tag gehen Tausende Spanier in das kleine Gebiet, das seit drei Jahrhunderten britisch ist, zur Arbeit. Vox fordert die Rückgabe an Spanien. Ein umstrittenes Thema. Wieder äußern sich die Menschen vor allem anonym:

"Für mich sind die von Vox faschistisch, sie sind Faschisten", sagt ein Mann.

Ein Zweiter: "Warum? Das ist es, was jeder will! Vox sagt laut, was alle denken!"

Der erste Mann: "Aber was meinst du dazu?"

Der zweite Mann: "Das brauchen wir! Erst die Spanier, dann die anderen!"

Der erste Mann: "Dem stimme ich zu, aber es gibt andere Dinge, die du nicht ansprichst. Rede keinen Unsinn. Sie wollen uns die Rechte, die wir haben, wegnehmen."

Zweiter Mann: "Vox ist neu, wir werden sehen, was passiert, man weiß es noch nicht!"

Euronews: "Würden Sie Vox wählen?"

Zweiter Mann: "Ja, natürlich, denn es gibt viele Dinge zu verbessern."

Euronews: "Was denn genau?"

Zweiter Mann: "Alles, was die Spanier wollen, ein angemessenes Gehalt in Spanien haben, einen guten Job hier haben."

Erster Mann: "Was!? Sie wollen den Mindestlohn senken! Ich sage Dir was! In Spanien gibt es noch viele Idioten, die noch dem Franco-Regime nachtrauern! Das ist die Wahrheit!"

Zweifel an Vox-Versprechungen

Vox hat versprochen, in Línea ein Industriegebiet zu schaffen, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von Gibraltar zu beenden, ein Versprechen, an das viele nicht glauben. Wie Eladio, der seinen Vater abholt, der gerade von einem Besuch bei seiner Tochter in Gibraltar zurückkommt. Der Pensionär Eladio Pérez Guerrero sagt:

"Die Vox-Partei! Die ist nichts wert, hier in Spanien ist sie nichts wert. Als erstes schlugen sie vor, die Grenze zu schließen! Vox!"

Sein Sohn Eladio Pérez, der eine Auto-Werkstatt betreibt, bekräftigt: "Wenn Vox damit durchkäme, würde das meinen Job und Arbeitsplätze in der ganzen Gegend gefährden; viele Unternehmen sind von Gibraltar abhängig."_

Der Vater meint: "Hier gibt es keine Fabrik, hier gibt es nichts, hier in Línea gibt es keine Arbeit!"

Die Reporterin trifft Eladio erneut ein paar Kilometer entfernt, in dem von Drogenhändlern kontrollierten Gebiet. Die Autowerkstatt, die er mit seinem Bruder betreibt, ist eine der wenigen Betriebe in dem Viertel. 50 Prozent ihrer Kunden kommen aus Gibraltar. Zusätzlich zum Brexit wäre ein Einzug der Vox-Partei in die Regierung eine Katastrophe für sie. Aber die Brüder glauben nicht, dass das Vox-Phänomen von Dauer ist:

"Die meisten Themen, mit denen sie Wahlkampf führen, sind für mich nicht praktikabel und ein wenig lächerlich. Wie: 'Alle bleiben draußen, wir schließen die Grenze, keine Abtreibung für Frauen, weniger Freiheiten'. Es erinnert einen irgendwie an die Vierziger Jahre, an die Zeiten Hitlers", so Eladio Pérez. "Ich denke, viele Leute in Andalusien haben für Vox gestimmt, ohne genau zu wissen, für was die Partei steht. Das war vor allem eine Protestwahl. Weil Andalusien von der Zentralregierung und der autonomen Regierung völlig aufgegeben wurde. Es ist eine der Regionen Spaniens und Europas, in der es die meisten Arbeitslosen gibt. Deshalb glaube oder hoffe ich, dass es bei der jüngsten Regionalwahl nichts anderes als eine Protestabstimmung war."

Auch die Politikverdrossenheit treibt Vox Wähler zu

In einer Stadt, in der die Arbeitslosigkeit auf 35 Prozent gestiegen ist, hat eine Partei wie Vox Chancen. Im kleinen Fischereihafen La Atunara fühlen sich alle vergessen. Blockiert von den Hoheitsgewässern Gibraltars, erdrosselt durch die Quoten der Europäischen Union, werden die Fischer in den Ruin getrieben, meint der Fischer Esteban López Salmerón:

"Ich glaube immer weniger an die Politik. Immer weniger! Die jetzt an der Regierung sind, verkaufen uns nur noch Wind. Wir haben die Sozialisten erlebt und die Volkspartei, niemand hat etwas getan! Viele Versprechungen, die nie erfüllt wurden! Die Menschen sind desillusioniert. Ich glaube nicht, dass sich jemand hätte vorstellen können - nicht einmal die bei Vox - dass diese Party so weit kommt, wie sie gekommen ist. Aber wir kennen das Böse bereits. Wir haben es bereits erlebt. Kann es noch schlimmer werden? Das glaube ich nicht! Also lasst es uns versuchen! Und wenn es nicht gut wird, dann werden wir in vier Jahren weitersehen. Weil wir die Lügen satthaben. So kann man nicht vorankommen, so bringt man ein Land nicht wieder auf die Beine."

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