Was wird jetzt aus Osteuropas Tiger mit nur 3,5 % Arbeitslosigkeit?

Was wird jetzt aus Osteuropas Tiger mit nur 3,5 % Arbeitslosigkeit?
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Von Julian Schick
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Polens Wirtschaftsdaten sind beeindruckend. Wie geht es in dem Land nach den Wahlen weiter?

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Während die national-konservative Regierung in den letzten vier Jahren mit kontroversen Reformen auf Konfrontationskurs zu Brüssel ging, entwickelte sich die polnische Wirtschaft unverändert stark. Das BIP ist 2017 um rund 4,6 Prozent gewachsen, und die Arbeitslosenquote gehört mit 3,5 Prozent zu den niedrigsten in der Europäischen Union.

Was ist die treibende Kraft hinter dem Wachstum?

Nach dem Ende des Kommunismus 1989 begann sich die Privatwirtschaft in Polen zu entfalten. Als das Land schließlich 2004 der EU beitrat, war die Wirtschaft wettbewerbsfähig genug, um von den Vorteilen des europäischen Binnenmarktes zu profitieren. Rafal Benecki, Chefökonom der ING Bank Poland, erklärt: "Wir wachsen schnell und der Anstieg beim Pro-Kopf-BIP ist mit dem von Südkorea vergleichbar." So hat sich das Land den Namen „Tigerstaat“ erarbeitet.

Die polnische Wirtschaft ist im Vergleich zu ihren osteuropäischen Nachbarn breit aufgestellt. Viele verarbeitende Branchen wie Automobil, Chemie oder Haushaltsgeräte wachsen stark. Sie profitieren von zahlreichen Arbeitskräften und einem großen Binnenmarkt mit 40 Millionen Verbrauchern.

Was ist zu erwarten, wenn die Regierung wiedergewählt wird?

Gestärkt durch eine solide Mehrheit im Parlament hat die PiS ein beliebtes Kindergeldprogramm eingeführt, das Familien monatlich 500 Zloty (ca. 115 Euro) pro Kind zahlt – ein großzügiger Zuschuss gemessen am Mindestlohn von ca. 520 Euro pro Monat.

"Die gegenwärtige Regierung hat viele Sozialprogramme auf Kosten der Unternehmen eingeführt“, sagt Ökonom Benecki. Gleichzeitig stieg die Steuerbelastung der Firmen. Die Folge: Unternehmen haben Investitionen zurückgefahren. Benecki erklärt: "Wir sind dadurch in eine sehr ungewöhnliche Situation geraten, in der die Wirtschaft drei Jahre lang um 5 Prozent pro Jahr gewachsen ist, doch die privaten Investitionen waren verhalten.“

Ökonomen erwarten eine Ausweitung des großzügigen Wohlfahrtsstaates. Zu den PiS-Kampagnenversprechen gehören eine Anhebung des Mindestlohns um 15 Prozent für die nächsten zwei Jahre und eine Anhebung der Renten.

Wie würde die Wirtschaft reagieren, wenn die Opposition gewinnt?

Die wichtigste Oppositionspartei Bürgerplattform würde eine wirtschaftsfreundlichere Politik umsetzen, private Investitionen freisetzen und das BIP steigern. Doch angesichts der Tatsache, dass sich die Wirtschaft in den kommenden Jahren abschwächen könnte, würde es länger dauern, bis diese Maßnahmen zu spürbaren Ergebnissen führen.

Darüber hinaus müsste die Bürgerplattform sich wohl einen Koalitionspartner suchen. Ein linkes Bündnis würde wohl auch zu höheren Sozialausgaben führen und die Wirtschaft belasten.

Wie werden sich die Beziehungen zur Europäischen Union entwickeln?

Die Europäische Union bleibt die wichtigste Lebensader der polnischen Wirtschaft. 80 Prozent der Exporte gehen in andere EU-Staaten. Mit fast 12 Milliarden Euro an EU-Geldern, die 2017 in Polen ausgegeben wurden, ist das Land der größte Nettoempfänger des Blocks. Mit dem Geld werden Straßen, Schulen und andere wichtige Infrastrukturprojekte finanziert.

ING-Ökonom Benecki glaubt, dass eine stabile, aber keine überragende Mehrheit für PiS das günstigste Wahlergebnis für die Wirtschaft wäre. Damit könnte die Partei weiter alleine regieren, jedoch ohne verfassungsändernde Mehrheit. So könne verhindert werden, dass neue Konflikte mit der Europäischen Union entstehen.

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