"Das Krematorium läuft rund um die Uhr": 3 Ärzte berichten aus Italien

Der Ausbruch bringt Italiens Gesundheitssystem zum Kollaps
Der Ausbruch bringt Italiens Gesundheitssystem zum Kollaps Copyright Claudio Furlan/LaPresse
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Von Lillo Montalto Monella
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Es sind erschreckende Berichte: Aus Italien berichten drei Ärzte von ihrem Alltag, Entscheidungen wie im Krieg und Kremationsöfen, die rund um die Uhr in Betrieb sind.

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Der heftige Ausbruch des neuartigen Coronavirus bringt das italienische Gesundheitssystem an den Rand des Möglichen. Viele Experten kritisieren, dass jahrelange Einsparungen in dem Sektor zu der mangelnden Krisenbewältigung geführt haben. In den sozialen Medien war am Wochende ein Foto viral gegangen: es zeigt eine Krankenschwester, die völlig erschöpft auf der Tastatur eines Computers eingenickt ist. 

 In drei Zeitungsinterviews haben italienische Ärzte die verheerende Lage beschrieben. 

Eine Presseschau.

1. "Es ist wie ein Erdbeben, aber das Ende kommt nicht"

Der Mailänder Arzt Roberto Cosentini hat seine Station im Krankenhaus Papst Johannes XXIII. in Bergamo seit fast drei Wochen nicht verlassen. Das gilt auch für seine KollegInnen, 26 ÄrztInnen sowie Krankenschwestern und Krankenpfleger. 

"Sie kommen in mein Krankenhaus, 60-80 Infizierte pro Tag. Immer mehr, aber vor allem alle gleichzeitig. In jedem Alter, ernste Fälle und Menschen, die bis vor der Infektion gesund und stark waren. Wenn diese neue Welle nicht aufhört, bricht das Gesundheitssystem zusammen: Man kann das mit einer Naturkatastrophe vergleichen", sagte er gegenüber Zeitung La Repubblica. "Sie kommen bereits mit einer schweren Lungenentzündung, die eine intensive Therapie und teilweise Beatmungshilfe erfordert. Jeden Tag zwischen 16.00 und 18.00 Uhr gibt es ein Beben, eine Welle konzentrierter Notfälle. Diese Situation kennen wir sonst nur nach Erdbeben".

"Bei einer normalen Lungenentzündung dauert das Fieber zwischen drei und vier Tagen. Bei Covid-19 sind es durchschnittlich acht bis zehn Tage. Auf der Intensivstation sind die Betten daher dreimal so lange belegt wie früher", fügte er hinzu. "Wir teilen die Infizierten in drei Kategorien ein: Intubierte, solche, die eine weniger intensive Beatmungshilfe benötigen, und die weniger schwer Betroffenen. Sie müssen auf verschiedene Einrichtungen umverteilt werden. Wenn sie im selben Krankenhaus bleiben, wird das System nicht standhalten".

Claudio Furlan/AP
Eine improvisierte Intensivstation in Brescia, Norditalien.Claudio Furlan/AP

2. "Wir können keine Wunder vollbringen"

Im Corriere sprach der Anästhesist und Notarzt aus Bergamo von kriegsähnlichen Situationen, die ÄrtzInnen mussten die sogenannte "Triage"einführen : "Es wird nach Alter und Zustand entschieden. Wie in allen Kriegssituationen. Das sage nicht ich, sondern die Handbücher, aus denen wir gelernt haben".

"Diese Covid-19-induzierte Lungenentzündung ist eine interstitielle Lungenentzündung, eine sehr aggressive Form, die die Sauerstoffversorgung des Blutes beeinträchtigt. Die am meisten betroffenen Patienten werden hypoxisch, was bedeutet, dass sie nicht mehr genügend Sauerstoff im Körper haben".

Es kommt immer ein Zeitpunkt, an dem man eine Entscheidung treffen muss. "Wir sind dazu verpflichtet. Innerhalb von ein paar Tagen. Die nicht-invasive Beatmung ist nur eine Übergangsphase. Da es leider ein Missverhältnis zwischen den Krankenhausressourcen, den Intensivbetten und den Schwerkranken gibt, wird nicht jeder intubiert".

"Wenn eine Person im Alter zwischen 80 und 95 Jahren an schwerem Atemversagen leidet, ist es unwahrscheinlich, dass man weitermacht. Wenn er oder sie ein Multiorganversagen von mehr als drei lebenswichtigen Organen hat, bedeutet dies, dass er oder sie eine Sterblichkeitsrate von hundert Prozent hat. Das wars dann."

"Das ist auch eine schreckliche Phrase. Aber leider ist es wahr. Wir können keine Wunder vollbringen. Das ist die Realität."

3. Das Krematorium in Bergamo ist rund um die Uhr im Betrieb

In Bergamo, der mit 1.815 Fällen und 142 Opfern am stärksten betroffene Provinz Italiens, schreibt die Lokalausgabe des Corriere della Sera, dass die Kirche von Ognissanti im Inneren des Friedhofs in eine riesige Leichenhalle verwandelt wurde. "Im großen Kirchenschiff liegen rund 40 Särge mit Leichen, die auf ihre Einäscherung warten".

Bis letzten Donnerstag arbeitete das Krematorium, das einzige in der Provinz, noch im normalen Tempo. Aber in diesen Tagen hat die Stadtverwaltung dem Unternehmen, das es betreibt, den Auftrag erteilt, 24 Stunden durchzuarbeiten.

Aber selbst dann sei es unmöglich, Schritt zu halten: Die Zahl der Todesfälle in der Region Bergamo betrug am Samstag 18, zwischen Sonntag und Montag 44, am Dienstag 33 und am Mittwoch 51. 146 Tote in 5 Tagen. Selbst wenn man den Kremationsofen Tag und Nacht laufen lässt, muss man jetzt zwischen Tod und Einäscherung durchschnittlich fünf Tage warten und einige Leichen nach Varese überführen.

In Zogno hat man entschieden, die Totenglocke nur noch einmal am Tag zu läuten. Stattdessen wird eine Liste der Verstorbenen im Lokalradio verlesen. Beerdigungen müssen ohne Trauerfeier stattfinden.

Video-Chat und dann allein sterben

Es gibt immer mehr sehr traurige Berichte.

"Sehen Sie die Notaufnahme? Die Covid-19- Patienten gehen allein hinein, keine Verwandten dürfen sie begleiten, und wenn sie kurz davor sind zu sterben, spüren sie es."

"Es ist, als würden sie ertrinken, aber mit viel Zeit, um sich dessen bewusst zu werden. Gerade erst gestern Abend war da so ein Fall: Eine Großmutter wollte ihre Enkelin sehen. Ich zog mein Telefon heraus und rief sie mit Video an. Sie verabschiedeten sich. Wenig später starb sie. Ich habe jetzt eine lange Liste von Videoanrufen. Ich nenne es eine Abschiedsliste. Ich hoffe, sie geben uns Mini-iPads, drei oder vier davon würden ausreichen, um sie vor einem einsamen Tod zu bewahren".

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Das Interview mit Dr. Cortellaro, dem Leiter der Notaufnahme des Borromäischen Krankenhauses, wurde von Il Giornale geführt.

Professor Stefano Muttini, Leiter der Notaufnahme, gibt es ohne Umschweife zu. "Ich habe den Eindruck, in einem Tsunami gelandet zu sein, den ich, so sehr ich mich auch abmühe, niemals aufhalten kann. Das Hauptproblem besteht darin, neue Orte zu erfinden. Meine Station hatte acht Betten. Ich habe es geschafft, 7, dann 8 und schließlich 16 hinzuzufügen und kam auf 31 Betten. Am Sonntagmorgen war ich überglücklich, 6 neue Plätze gefunden zu haben, aber am Mittag waren sie alle besetzt. Für einen Moment fühlte ich mich besiegt, hilflos".

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