Zweiter Lockdown in Österreich: Besuchsverbot ab 20 Uhr

Sebastian Kurz kündigt zweiten Lockdown an
Sebastian Kurz kündigt zweiten Lockdown an Copyright Ronald Zak/Copyright 2020 The Associated Press. All rights reserved.
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Von Euronews mit dpa
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Mit einer Rede an die Bevölkerung hat Kanzler @sebastiankurz den Lockdown ab Dienstag angekündigt. Er sprach davon, dass es für alle nicht leicht sei.

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«Ab Dienstag, dem 3. November 0 Uhr bis Ende November wird es zu einem zweiten Lockdown in Österreich kommen», das erklärte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag in Wien. Landesweit gelten dann Ausgangsbeschränkungen zwischen 20 und 6 Uhr. In der Zeit ist das Verlassen der Wohnung nur noch aus bestimmten Gründen erlaubt.

«Die meisten Ansteckungen finden bei Menschen statt, die sich kennen, die sich mögen», betonte Kurz. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung nannte er deshalb «de facto ein Besuchsverbot». Erlaubt ist das Verlassen der privaten Wohnraums zwischen 20 und 6 Uhr zur Erholung im Freien, für Grundbedürfnisse, zur Betreuung oder familiärer Unterstützung, zur Arbeit oder bei Gefahren. Auch öffentliche Verkehrsmittel dürfen in der Zeit nur zu diesen Zwecken genutzt werden. Der Takeaway-Betrieb der Gastronomie ist ab 20 Uhr verboten.

Die gesamte Rede des Kanzlers können Sie weiter unten nachlesen.

Mit den Einschränkungen soll vor allem verhindert werden, dass es nicht genug Intensivbetten in den österreichischen Krankenhäusern gibt.

Außerdem enthält die Verordnung Kontaktbeschränkungen, laut denen sich nur noch Personen aus zwei Haushalten zu Hause treffen dürfen. Die Regelung könnte jedoch rechtlich angefochten werden, da der private Raum in Österreich von der Verfassung strikt geschützt wird. «Es wird nicht geben, dass die Polizei beginnt, in privaten Wohnräumen Nachschau zu halten», betonte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Gemeint sind etwa Garagenpartys, die bei Ausbrüchen in Österreich mit Ansteckungen in Verbindung gebracht wurden.

Kultur- und Freizeiteinrichtungen müssen schließen, ebenso das Hotel- und Gastgewerbe - nur Essen zum Mitnehmen und Lieferungen sind erlaubt. Veranstaltungen finden bis auf den Spitzensport (ohne Zuschauer) nicht mehr statt. Freizeitsport ist nur im Freien ohne Körperkontakt erlaubt. Handel und Dienstleister wie Friseure bleiben offen. Kinder bis zur zehnten Klasse sollen «vorerst» weiter in den Kindergarten und - mit Maskenpflicht ab 6 Jahren - zur Schule gehen, die Oberstufe und Studierende von Zuhause lernen.

«Es ist notwendig, diesen Schritt zu setzen, um eine Überlastung der Intensivmedizin zu verhindern», sagte Kurz. «Unser Ziel ist es, im Dezember schrittweise wieder zu öffnen und zu einem halbwegs normalen Leben zurückzukehren.»

Am Sonntagnachmittag muss noch der Hauptausschuss des Parlaments den Maßnahmen zustimmen. Die Verordnung gilt bis zum 30. November, die Ausgangsbeschränkungen müssen alle zehn Tage parlamentarisch neu genehmigt werden.

ORF-Moderator Armin Wolf sieht auch juristische Probleme.

Die Infektionszahlen steigen seit Wochen auf fast täglich neue Höchstwerte. Die Regierung befürchtet eine baldige Überlastung der Krankenhäuser. Am Samstag zählte Österreich 5349 neue Fälle binnen 24 Stunden auf seine fast 9 Millionen Einwohner, nachdem am Freitag der Rekordwert von 5627 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet worden war. In den vergangenen sieben Tagen gab es im Schnitt 301,1 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, in den Bundesländern Vorarlberg und Tirol sogar jeweils deutlich mehr als 400.

"Meine Aufgabe, Ihnen die Wahrheit zu sagen"

Die Rede von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Glauben Sie mir, ich würde Ihnen heute gerne eine andere Nachricht überbringen. Aber es ist meine Aufgabe Ihnen die Wahrheit zu sagen und notwendige Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie unangenehm und unpopulär sind.

Die zweite Welle der Corona-Pandemie ist für ganz Europa extrem intensiv und stellt auch uns vor eine massive Herausforderung. Es ist zwar richtig, dass viele Corona-Infizierte nur milde oder gar keine Symptome haben. Es gibt aber einen gewissen Prozentsatz, der sehr schwer erkrankt und intensivmedizinische Betreuung braucht.

Österreich hat zwar eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, aber auch unsere Kapazitäten sind begrenzt. Und klar ist: Wenn dieses exponentielle Wachstum der Neuinfektionen weiter stattfindet, werden schon bald unsere Kapazitäten gesprengt.

Das würde nicht nur bedeuten, dass geplante Operationen aufgeschoben werden müssen. Sondern, in einem weiteren Schritt, kommt es dann zu sogenannten Triagen: Das klingt technisch, es bedeutet aber, dass in den Krankenhäusern entschieden werden muss, ob ein Unfallopfer, ein Herzinfarktpatient, oder ein Corona-Fall das freie Intensivbett bekommt.

In solch einer Situation entscheiden Ärzte über Leben und Tod. Und Patienten bekommen nicht die Behandlung, die sie brauchen. Das können und werden wir in der Republik Österreich nicht zulassen.

Daher müssen wir jetzt gemeinsam handeln, um die Zahl der täglichen Neuinfektionen entschieden zu senken. Ab nächster Woche Dienstag gibt es bis Ende November einen zweiten Lockdown. Wie im Frühling werden wir wieder auf vieles verzichten müssen, was unser Leben ausmacht: Auf Freizeitgestaltung, Kultur, Sport, aber auch auf die Gastronomie. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir die Wirtschaft so gut es geht am Laufen halten. Daher wird der Handel weiter geöffnet sein und auch persönliche Dienstleistungen, wie der Frisör oder die Physiotherapie, werden, unter strengen Hygienevorschriften, weiterhin möglich sein.

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Auch Industrie und Produktion werden wie zuvor weiterarbeiten können, mit Home-Office Lösungen überall dort, wo es möglich ist.Darüber hinaus bleiben Kindergärten und Pflichtschulen vorerst geöffnet. Nur die Oberstufe wird auf Distance Learning umgestellt.

Wir werden hier die Infektionsentwicklung genau evaluieren und, wenn notwendig, nachschärfen. Besonders wichtig ist mir, dass wir die wirtschaftlichen Folgen, für all jene Betriebe, die in den nächsten Wochen geschlossen sind, bestmöglich abfedern.

Wir werden betroffenen Unternehmen daher bis zu 80% des Umsatzes im November ersetzen, wenn sie sich verpflichten, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu behalten. Wir werden dabei rasch und unbürokratisch helfen, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten.

Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Die meisten Ansteckungen finden nach wie vor statt, wenn sich Menschen treffen, die sich gut kennen. Denn gerade wenn man Menschen trifft, die man mag, hält man oft wenig Abstand, kommt sich näher und verbringt auf engem Raum viel Zeit miteinander.

Daher bitte ich Sie: Reduzieren Sie generell soziale Kontakte und halten Sie, wenn Sie jemanden treffen, so gut wie möglich Abstand.

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Ich weiß, dass diese Maßnahmen für uns alle nicht leicht sind. Aber wir sind damit in Österreich nicht alleine. Fast alle Länder in der Europäischen Union sind in einer ähnlichen Situation und müssen ähnliche Maßnahmen setzen.

Egal ob Deutschland oder Frankreich, das sozialdemokratisch geführte Spanien, die liberal geführten Niederlande oder das rechtskonservative Polen – alle müssen handeln, um einen Zusammenbruch ihres Gesundheitssystems zu verhindern.

Denn die wichtigste Aufgabe jeder Regierung ist es, die Bevölkerung zu schützen. Aber, die Maßnahmen, die Verordnungen, die Regeln all das reicht alleine nicht aus. Erfolgreich sind wir nur, wenn alle mitmachen. Der Staat kann das nicht alleine schaffen. Das Gesundheitssystem kann das nicht alleine schaffen. Es braucht den Beitrag von jedem einzelnen von uns.

Und wenn Sie jetzt gerade zuschauen und sich denken: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr ich halte das nicht mehr aus.“ Dann kann ich Ihnen nur sagen: Ich verstehe Sie. Auch für mich ist es nicht angenehm, stets eine Maske zu tragen. Auch für mich ist es schwer, Familie und Verwandte nicht zu sehen. Und auch für mich ist es ein Verzicht, nicht das eine oder andere mal nach der Arbeit Freunde zu treffen.

Die Pandemie ist für jeden von uns eine Belastung und sie löst in jedem von uns etwas aus. In sehr vielen Menschen etwas Gutes: Junge Leute, die für ältere einkaufen gehen. Menschen die Nachbarn versorgen, die gerade in Quarantäne sind. Gesundheitspersonal, das über eigene Grenzen hinausgeht.

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In manchen Menschen löst sie aber auch extreme Verzweiflung und Wut aus. Auch das ist verständlich. Aber wenn wir solche negativen Emotionen verspüren, sollten wir auch kurz innehalten und uns bewusst daran erinnern, dass viele Menschen diese Krise in anderen Teilen der Welt, unter ganz anderen Bedingungen durchleben müssen. Ich denke, auch wenn diese Situation eine extrem schwierige ist, können wir uns doch glücklich schätzen, sie in einem Land wie Österreich zu erleben – mit einem starken Gesundheitssystem, einem robusten Sozialstaat und der Finanzkraft, um Notsituationen abzufedern.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß, für viele ist aktuell die wichtigste Frage: „Wann ist das alles endlich vorbei? Ich bleibe hier bei meiner Einschätzung, die ich schon vor einigen Monaten getroffen habe: Der Herbst und der Winter werden sehr schwer. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir bis zum Sommer 2021 den Durchbruch schaffen, und mithilfe eines Impfstoffs zu unserer gewohnten Normalität zurück kehren können.

Bis dahin werden wir in einer Situation sein, in der wir niemals sein wollten. In einer Situation, in der wir zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Schutz von Grund-und Freiheitsrechten den Ausgleich finden müssen. Und es wird eine tägliche Herausforderung bleiben, hier die richtige Balance zu finden.

Bis dahin wird die Situation gesundheitspolitisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich herausfordernd bleiben.

Bis dahin kämpfen wir gemeinsam um jeden Patienten, um jeden Betrieb und um jeden Arbeitsplatz.

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Ich bitte Sie eindringlich: Leisten wir alle unseren Beitrag. Damit die Republik Österreich und somit wir alle gut durch diese Krise kommen."

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