Wahl-Debakel für Macron: Verlust der absoluten Mehrheit

Jubel im Wahlquartier von Mélenchons NUPES
Jubel im Wahlquartier von Mélenchons NUPES Copyright Bertrand GUAY / AFP
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Von Anja Bencze mit AFP/DPA/AP
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Politisches Erdbeben: Macron verliert absolute Mehrheit, Mélenchons Linksbündnis wird stärkste Oppositionsgruppe. Marine Le Pens rechtsnationale Partei Rassemblement National fährt historisches Ergebnis ein.

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Frankreichs amtierender Präsident Emmanuel Macron muss in der 2. Wahlrunde eine herbe Niederlage einstecken. Bei der Parlamentswahl hat er die absolute Mehrheit klar verfehlt. Für seine politischen Vorhaben muss er sich nun Unterstützung jenseits des eigenen Mitte-Lagers suchen. 

Die 4 wichtigste Ergebnisse laut Hochrechnungen im Überblick: 

  • Emmanuel Macron verliert die absolute Mehrheit und kommt auf 210 bis 250 Sitze
  • Jean-Luc Mélenchons Linksbündnis NUPES gelingt der massive Einzug ins Parlament mit 140 bis 180 Sitzen
  • Marine Le Pens Rassemblement National erreicht ein historisch hohes Ergebnis mit 80-90 Sitzen
  • Die Wahlenthaltung wird voraussichtlich zwischen 53,5% und 54% betragen

"Politischer Schock" für Macrons Partei Ensemble!

Der vor kurzem als Präsident wiedergewählte Präsident Macron hat sich Wahlabend nicht zu den Verlusten seiner Partei geäußert. An seiner Stelle gab die neue Ministerpräsidentin Elisabeth Borne eine Stellungnahme ab. 

"Heute Abend haben wir eine nie zuvor dagewesene Situation. Wir müssen diese Abstimmung respektieren und die Konsequenzen daraus ziehen: als zentrale Kraft in dieser neuen Versammlung müssen wir eine besondere Verantwortung übernehmen, wir werden ab morgen daran arbeiten, eine Aktionsmehrheit aufzubauen, es gibt keine Alternative zu dieser Versammlung, um unserem Land Stabilität zu garantieren und die notwendigen Reformen durchzuführen," so Borne.

Rassemblement National feiert: "Ein politischer Tsunami"

Die Vorsitzende des Rassemblement National (RN) Marine Le Pen war die erste, die das Wort ergriff. Sie sprach von einer "neuen politischen Elite". Ihre Partei habe drei Ziele erreicht:  Emmanuel Macron zu einem "Minderheitspräsidenten" zu machen, die unerlässliche politische Neuzusammensetzung fortzusetzen und eine starke Oppositionsfraktion zu bilden.

"Unser einziger Kompass ist Frankreich und das Interesse des französischen Volkes", sagte sie abschließend. RN-Interims-Parteivize Jordan Bardella bezeichnete das Ergebnis als einen politischen Tsunami.

Mélenchon attackiert scharf: "Niederlage der Macronie"

Jean-Luc Mélenchon bezeichnete das Wahlergebnis als eine "Niederlage der Macronie". Der "Macronismus" habe  das Land "in eine Sackgasse gestürzt". 

Er sprach von einer "kompletten Niederlage" des Macron-Lagers. Das Bündnis NUPES habe ihr Ziel erreicht, "die Arroganz zu brechen", die dem ganzen Land "den Arm verdreht habe". Er bedauerte die erneute niedrige Wahlbeteiligung. 

Er rief seine Anhänger dazu auf, "den Kampf fortzusetzen" und sich dabei auf das Linksbündnis Nupes zu stützen. Mélenchon begrüßte zudem die Niederlage mehrerer Kabinettsmitglieder aus dem Lager des Präsidenten.

Wählerschaft straft Macron, den allmächtigen "Überpräsidenten"

Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für Macron. Die französische Nachrichtenagentur AFP spicht von einem "Worst Case Szenario". 289 Sitze wären für die absolute Mehrheit erforderlich gewesen. Mit  210 bis 250 der 577 Parlamentssitze ist er weit davon entfernt.

Der gerade erst für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Liberale muss sich nun auf eine Beschränkung seiner Machtfülle einstellen. Mit 220 Sitzen lassen sich keine Reformen oder neue Gesetze verabschieden.

Dafür braucht er nun Unterstützung anderer Lager, und seine gestärkten Gegner werden keine Möglichkeit ungenutzt lassen, Einfluss zu gewinnen. Eine solche Regierung nur mit relativer Mehrheit gab es in Frankreich zuletzt unter François Mitterrand (1988-1991).

Mélenchon triumphiert

Einen enormen Erfolg verbuchen das neue Linksbündnis und Mélenchon mit 150 bis 180 Sitzen. SIe lösen damit als stärkste Oppositionskraft die bürgerlich-konservativen Républicains ab. Diese verlieren stark und kommen auf 60 bis 78 Sitze.

Der Linksmpopulist Mélenchon war mit dem Versprechen angetreten, dass diese Parlamentswahlen ihn als Premierminister durchzusetzen würden. Die erste Runde hatte seine Ambitionen nicht erfüllt, in der zweiten erfolgte nun der Erdrutsch.

RN kann Sitze verzehnfachen

Spektakulär ist der Zuwachs de rechtsextremen Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, die die Anzahl ihrer  Parlamentssitze mehr als verzehnfachen kann auf 80 bis 100 Sitze. 

Bislang hatte das Mehrheitswahlrecht die Partei ausgebremst, nur wer einen Wahlkreis für sich gewinnt, erzielt einen Sitz, Zweitstimmen gibt es in Frankreich nicht. Nun wurde die rechte Partei in deutlich mehr Wahlkreisen stärkste Kraft.

Die Wahlenthaltung wird laut Umfrageinstituten voraussichtlich zwischen 53,5% und 54% betragen und damit im Vergleich zum ersten Wahlgang (52,49%) um mehr als einen Punkt steigen. Sie wird jedoch nicht den Rekord des zweiten Wahlgangs von 2017 (57,36%) erreichen.

Wie viele Macron-Minister:innen fliegen raus?

Gemäß einer ungeschriebenen Regel, die bereits 2017 von Emmanuel Macron angewandt wurde, müssen Regierungsmitglieder, die bei der Wahl durchfallen, das Kabinett verlassen.

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Die Premierministerin Elisabeth Borne konnte sich im Calvados durchsetzen, allerdings mit einem knappen Ergebnis von 53 % gegenüber 47 % für ihre junge linke Gegenkandidatin.

Innenminister Gérald Darmanin wurde im 10. Wahlbezirk des Departements Nord mit 57,52% gewählt.

Der wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe umstrittene Minister für Solidarität, Damien Abad, wurde im fünften Wahlkreis des Departement Ain mit 57,86 % der Stimmen wiedergewählt.

Die Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon unterlag im Departements Pas-de-Calais ihrer RN-Rivalin Christine Engrand.

Die Staatssekretärin für das Meer Justine Benin unterlag in Guadeloupe, wo wegen der Zeitverschiebung schon früher gewählt wurde.

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