Außenminister Wadephul trifft in Belgrad auf eine Regierung unter Druck. Sanktionen, Energieengpässe und Kritik aus Brüssel belasten Serbien.
Seit Sonntag tourt Außenminister Johann Wadephul (CDU) im Eiltempo durch den Westbalkan. Seine Gespräche stehen ganz im Zeichen des stockenden EU-Beitrittsprozesses. "Erstmals seit geraumer Zeit besteht die realistische Chance, dass der Beitrittsprozess entscheidend vorankommt", erklärte er im Vorfeld.
Serbien ringt derzeit mit den Folgen der US-Sanktionen gegen die russlandgeführte Ölraffinerie NIS – und damit mit einer der schwersten energiepolitischen Belastungsproben der vergangenen Jahre.
Sechsmal wurde der Beginn der Sanktionen auf Ansuchen Belgrads verschoben. Ursprünglich sollten die noch unter Ex-Präsident Joe Biden erlassenen Sanktionen im Januar 2025 in Kraft treten. Im Oktober kamen sie schließlich doch.
Seitdem können Autofahrer an NIS-Tankstellen nicht mehr mit Visa und Mastercard zahlen. Und noch gravierender: Der kroatische Pipelinebetreiber JANAF stoppte die Rohöllieferungen. Am 25. November geht NIS voraussichtlich das Öl aus, so serbische Experten. Die Energiezufuhr Serbiens steht auf dem Spiel.
Auch in Deutschland machten sich Sorgen breit, der deutschen Tochter des russischen Ölkonzerns Rosneft könnte der Hahn abgedreht werden, wie Euronews berichtete.
Das Spiel des Kremls
Für die serbische Regierung ist es ein Kampf gegen die Zeit: Noch bis Mitte Februar hat Vučić Zeit, Käufer für die russischen Anteile an NIS zu finden. Aktuell halten die russischen Unternehmen Gazprom Neft 44,9 % sowie Gazprom Kapital 11,3 % der Anteile. Der Rest ist in der Hand Serbiens und kleinerer Aktionäre. Am Wochenende erklärte Vučić, die russischen Firmen seien im Austausch mit europäischen und asiatischen Interessenten.
Im Raum steht auch ein Kauf durch den serbischen Staat. "Wir können sogar zu viel zahlen, aber ich möchte niemandem etwas wegnehmen. Die NIS und die Raffinerie müssen funktionieren." Eine Enteignung der russischen Anteile scheint Vučić um jeden Preis abwenden zu wollen.
Denn dann müsste Serbiens Bevölkerung womöglich den Gürtel nochmal deutlich enger schnallen. Schon jetzt leiden die Serben unter dem Engpass bei Diesel und Benzin. "Serbien sorgt sich, dass, wenn es das Spiel des Kremls nicht mitspielt, Russland die Gaspreise steigen lassen könnte, so wie es in vielen anderen Fällen schon passiert ist“, erklärt der Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Daniel Bochsler zu Euronews.
Volle Treibstoffreserven
Vučić sieht Serbien als Opfer internationaler Politik. Die Situation mit den USA habe nichts mit Serbien zu tun, erklärte er dem Onlineportal Balkan Green Energy News. "Es geht um ihre Beziehungen zu den Russen und um Geopolitik. Ohne jegliches Verschulden unsererseits wurden wir wie Gras im Zusammenprall von Elefanten zerdrückt."
Die Treibstoffreserven seien zwar komplett gefüllt, sie würden aber nicht helfen, wenn Menschen kein Brot mehr in Bäckereien bekommen würden, so Vučić weiter. "Die Zerstörung oder Schließung der Raffinerie, der Mangel an Treibstoff, treibt uns in eine totale Katastrophe." Zuletzt einigten sich Serbien, Ungarn und Russland auf den Bau einer neuen Ölpipeline, die bis 2027 fertig sein soll.
Hilfe zur Deckung des Ölbedarfs wurde bisher weder von der EU noch von den Vereinigten Staaten angeboten.
Schon bevor die russische Ölzufuhr gestoppt wurde, steckte Vučićs Regierung in einer tiefen Krise. Seit rund einem Jahr demonstrieren immer wieder zehntausende Regierungskritiker. Auslöser war der Einsturz des frisch renovierten Bahnhofs Novi Sad, bei dem mehrere Menschen starben. Die Demonstranten werfen der Regierung Korruption vor und fordern Neuwahlen.
Russisches Öl und Gas
Abhängig ist Serbien neben Öl auch von russischem Gas. Ende des Jahres läuft der aktuelle Gas-Vertrag mit dem Kreml aus. Russland sitzt am längeren Hebel, wie der serbische Energiesektor-Berater Željko Marković der BBC erklärt: „Es ist offensichtlich, dass wir das Gasabkommen nicht bekommen haben, weil die Möglichkeit besteht, dass wir NIS verstaatlichen könnten“. Zwar könne Serbien sich auch ohne russisches Gas versorgen, "aber die Frage ist zu welchem Preis? Wir haben russisches Gas zu einem unter dem Marktpreis liegenden Tarif genutzt."
Auf Serbiens Abkehr von russischer Energie scheint Wadephul trotzdem zu hoffen. Im Vorfeld seiner Reise appellierte er: "Für die Länder des Westlichen Balkans ist es entscheidend, ihre Energiequellen breiter aufzustellen, um langfristig Unabhängigkeit und Souveränität zu stärken. Wir in Deutschland wissen, wie schmerzhaft und zugleich notwendig dies sein kann."
Serbien ist einer der Balkanstaaten, die beim EU-Beitrittsprozess am weitesten fortgeschritten sind. Seit 2014 ist das Land offizieller Beitrittskandidat. Immer wieder spricht Serbiens Regierung unter Vučić davon, bis 2030 Teil der EU sein zu wollen.
Kosmetik statt Reformen
In den vergangenen acht Jahren hätte Serbien sich "sehr stark in Richtung eines semiautoritärenRegimes bewegt. Es hat das Gegenteil von dem gemacht, was der EU-Beitrittsprozess eigentlich bedeuten würde", erklärt Bochsler. Das Land sei nur auf dem Papier ein Beitrittskandidat. Von den der EU versprochenen Reformen werde nichts umgesetzt. Stattdessen gebe es nur Kosmetik, um den Schein zu wahren.
Im exklusiven Interview mit Euronews sagte Vučić Ende August: "Bis ich dieses Amt verlasse, wird Serbien fest auf dem Weg in die EU bleiben, sich dem Weg verpflichtet fühlen und die notwendigen Reformen durchführen und umsetzen."
Serbien hätte stets die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt, erklärte Vučić weiter beim EU-Erweiterungsgipfel von Euronews. "Ich weiß, dass EU-Mitgliedsstaaten skeptisch sind wegen unserer Beziehung zu Russland." Er hätte keine andere Wahl als mit Russland zu reden, wenn es um Gas- und Öl-Lieferungen gehe.
Die Grünen-Politikerin Chantal Kopf will von Wadephul in Serbien klare Worte hören. Gegenüber Politico fordert sie, "dass er den autoritären Politikstil des Regimes wie etwa den Umgang mit der Protestbewegung deutlich kritisiert". Kopf ist bei der Westbalkan-Reise mit dabei.
Anfang Oktober warnte Außenminister Wadephul vor der schwindenden Hoffnung in der Bevölkerung auf einen baldigen Beitritt: "Das können wir uns nicht leisten, denn dann droht ein Rückfall in alte Zeiten der Feindseligkeit und eine größere Rolle Russlands und Chinas." Beim heutigen Abendessen mit Serbiens Präsident Vučić hätte Wadephul die Gelegenheit, das Thema anzusprechen.