Der in Berlin lebende Künstler Ciervo "legitimiert den Terror derer, die Israel auslöschen wollen", kritisiert die israelische Botschaft. Ciervo wittert Zensur und beruft sich auf die Kunstfreiheit. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt.
Das Potsdamer Museum "Fluxus+" hat mächtig Kritik geerntet: Es stellte ein Bild aus, auf dem die im Februar 1945 im Konzentratioslager Bergen-Belsen ermordete Jüdin Anne Frank am Schreibtisch mit einem iPad sitzt - ein Palästinener-Tuch (Kufiya) um die Schultern gewickelt.
Das Bild "Anne" wird im Rahmen der Ausstellung "Comune - Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt" gezeigt und sorgt vielerorts für Empörung und Wut - Kritiker sprechen von einer Relativierung des Holocaust.
Was hat sich der Künstler dabei gedacht?
Euronews hat mit dem in Berlin lebenden italienischen Künstler Costantino Ciervo gesprochen.
Ciervo verweist auf die "Sprache der Kunst". "Sie ist komplexer als politische Narrative und entzieht sich ideologischer Vereinfachung", sagt er.
Doch genau hier widerspricht ihm ein Sprecher der Botschaft Israels in Berlin, die das Bild der Anne Frank als "Delegitimisierung Israels und Relativierung des Holocausts" bezeichnet.
Folgt man dieser Logik, hätte Ciervo genau das getan, was er anderen in seiner Bildinterpretation vorwirft: Er hätte ein bestimmtes politisches Narrativ über ein sensibles historisches Ereignis gelegt – noch dazu über ein so sensibles wie die Shoah.
Der Sprecher der israelischen Botschaft sieht darin einen Missbrauch: "Ciervo delegitimiert diese Lehre aus der Shoah – und legitimiert gleichzeitig den Terror jener, die den demokratischen Staat Israel auslöschen wollen. Er will suggerieren, dass die Juden die Nazis von heute seien."
"Diese Kritik ist unzutreffend", so Ciervo zu Euronews. Für Schmerz und Leid gäbe es keine Hierarchie, sagt der Künstler.
"Als Künstler, Bürger und Europäer sehe ich es als meine Verantwortung, mich dort einzumischen, wo Ungerechtigkeit und Zerstörung geschehen. Dies gilt besonders im Kontext der historischen Verantwortung Europas, die aus dem Holocaust erwächst – einer Vergangenheit, die mich als Italiener und in Deutschland lebenden Künstler unmittelbar berührt", so Ciervo zu Euronews.
Eine historische Verantwortung - doch gegenüber wem?
Zum Bild "Anne" sagt er: "In meinem Gemälde soll diese Figur eine moralische Stimme verkörpern: Es erhebt einen stillen Schrei nach Frieden und Gerechtigkeit und richtet sich gegen die Zerstörung der Zivilbevölkerung in Gaza", erklärt der Künstler weiter.
Rückblick: Am 7. Oktober 2023 überfiel die Terrormiliz Hamas Israel und richtete ein Massaker an. Die Hamas tötete mehrere Hundert Menschen und verschleppte rund 250 weitere.
Die israelische Regierung reagierte darauf mit militärischen Aktionen gegendie Hamas, die zum Leid für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen und zum Tod von mehr als 70.000 Palästinensern führte, wie das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in Gaza zuletzt meldete. Die Zahl kann derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Die israelische Armee hat ihren Einsatz stets damit begründet, die Geiseln zu befreien und die Hamas kampfunfähig machen zu wollen.
Ciervo will mit seiner Kunst das Vorgehen Israels im Gazastreifen kritisieren. Das macht er sehr deutlich. Kritiker bemängeln jedoch, dass hier eine Auseinandersetzung mit dem Vorgehen der Hamas gänzlich fehlt - insbesondere mit dem Massaker, das die Hamas in Israel angerichtet hatte und mit einer daraus resultierenden Mitverantwortung für das Leid der eigenen Zivilbevölkerung.
Andreas Büttner: Ausstellung ist hochproblematisch
Der Beauftragte zur Bekämpfung von Antisemitismus im Land Brandenburg, Andreas Büttner, findet die Ausstellung äußerst problematisch:
"Nach weiteren Beratungen, unter anderem mit der Jüdischen Gemeinde Potsdam und der Stadt Potsdam, komme ich zu dem Schluss, dass diese Ausstellung nicht nur wegen des Bildes von Anne Frank hochproblematisch ist", so Büttner.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck hat inzwischen gegen die Aussteller Strafanzeige erstattet. Auf X kritisiert Beck die Figuren des Künstlers als "intellektuell erbärmlich."
Der in Berlin lebende Künstler spricht von Zensur: "Ich bin schockiert und sehe in der Anzeige einen Einschüchterungsversuch, der darauf abzielt, legitime Kritik an der israelischen Politik zu unterbinden. Diese Aktion verstößt gegen die grundlegenden Prinzipien der Kunst- und Redefreiheit", so Ciervo zu Euronews.
"In einer freien Gesellschaft muss Kunst diese Rolle ohne Zensur ausüben können, um als moralische Stimme für Frieden und Menschlichkeit wirksam zu sein", meint der Künstler.
Laut Ciervo gab es zudem Angebote an die Jüdische Gemeinde, "eine eigene Position in Textform darzustellen und in die Ausstellung zu integrieren." Dies wurde jedoch abgelehnt, sagt der Künstler.
Für die jüdische Gemeinde ist das Bild ein blanker Hohn. Beck nennt das Bild eine "Holocaustdistortion in der Pose des Civil Rights Warriors."
Kunstfreiheit oder pure Provokation?
Kritiker fordern, das "Bild Anne Frank" abzuhängen. Doch das Museum weigert sich. Die Ausstellung beinhaltet weitere Elemente, die von vielen als antisemitisch gewertet werden.
Ciervo beschreibt die Bildserie: Darin seien jeweils mit KI erzeugte Zwillinge zu sehen, eine Person als Palästinenser islamisch geprägt und eine Person jüdischer Herkunft - alle Generationen nebeneinander dargestellt, nicht gegeneinander, so der Künstler. Laut Berichten tragen die Personen jüdischer Herkunft einen Davidstern.
Doch der zunehmende Antisemitismus und der Terroranschlag, der sich kürzlich in Sydey ereignete, verdeutlichen nur allzu deutlich, mit welcher Sensibilität die jüdische Kultur und Geschichte behandelt werden müssten. Kommentare im Internet, die von "vulgär" und "geschmacklos" bis "widerwärtig" reichen, verdeutlichen dies.
Kritiker bemängeln außerdem, dass die Gefühle vieler Menschen, insbesondere der Shoah-Überlebenden, verletzt wurden:
Anne Frank ist ein Symbol für Judenhass und damit eines der sensibelsten Motive für jüdische Mitbürger. Die ermordete Jüdin lebte während des Zweiten Weltkriegs in einem Versteck in Amsterdam. Dort schrieb sie ihr weltberühmtes Tagebuch.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. Februar.