SOS Humanity kritisiert die europäische und italienische Politik, die Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer erschwert. Für 2026 ist das neue Schiff Humanity 2 geplant. Die Organisation setzt zudem auf Menschenrechtsüberwachung und zivilen Widerstand durch die Justice Fleet.
Im Jahr 2025 verläuft die gefährlichste Migrationsroute im zentralen Mittelmeer ausgerechnet dort, wo sie am wenigsten überwacht wird. Zwischen Tunesien und Lampedusa entsteht ein kaum kontrollierter Seekorridor, geprägt von nicht gemeldeten Schiffbrüchen und einer wachsenden Lücke bei Such- und Rettungseinsätzen.
Humanity 2: neues Schiff, stärkere Präsenz
Aus operativer Sicht reagiert die deutsche Nichtregierungsorganisation SOS Humanity mit einer deutlichen Verstärkung: Ein zweites Rettungsschiff, das Segelschiff Humanity 2, soll ab Sommer 2026 im Einsatz sein und bis zu 100 Menschen aufnehmen können.
„Humanity 2 ist nicht nur ein Rettungsschiff“, erklärt Till Rummenhohl, Generaldirektor von SOS Humanity. „Es wird auch Menschenrechtsverletzungen auf der zunehmend befahrenen und zugleich weitgehend ignorierten Route zwischen Tunesien und Lampedusa dokumentieren. Angesichts des alarmierenden Trends, dass immer mehr Menschen auf See verschwinden, ist es in einem so großen Einsatzgebiet entscheidend, über mehr als nur eine operative Ressource zu verfügen.“
Auch politisch fordert Rummenhohl einen Kurswechsel: „Wir werden die EU und ihre Mitgliedstaaten weiterhin auffordern, im Einklang mit internationalem See- und Völkerrecht zu handeln. Zugleich bauen wir unsere Lobbyarbeit auf EU-Ebene sowie unsere Netzwerke mit nationalen und europäischen Abgeordneten aus – zur Verteidigung humanitärer Prinzipien, gegen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und gegen die fortschreitende Einschränkung humanitärer Handlungsspielräume im zentralen Mittelmeer.“
Libysche Akteure und steigende Risiken
Seit Jahren hat sich die Sicherheitslage im zentralen Mittelmeer durch die Präsenz verschiedener libyscher Akteure drastisch verschlechtert. Deren unvorhersehbare und gefährliche Manöver gefährden Menschenleben und setzen die Besatzungen ziviler Rettungsschiffe massiv unter Druck.
„Der beispiellose bewaffnete Angriff auf das Schiff Ocean Viking von SOS Méditerranée zeigt, wie gefährlich die Einsätze zuletzt geworden sind“, so Rummenhohl. „Doch dieses Phänomen ist keineswegs neu: Seit dem Sommer 2024 sorgen immer mehr neue Akteure für Chaos im Einsatzgebiet, erhöhen das Risiko für Menschen auf der Flucht und bedrohen die Sicherheit humanitärer Helfer.“
Hinzu komme, dass Besatzungen immer häufiger Zeugen illegaler Zurückweisungen würden. „Männer, Frauen und Kinder werden gewaltsam nach Libyen zurückgebracht, statt gerettet zu werden“, betont Rummenhohl.
Diese Entwicklungen haben gravierende Folgen für die psychische Gesundheit der Crews. Allein in den Jahren 2024 und 2025 wurde die Besatzung der Humanity 1 in vier Fällen verbal und mit Schusswaffen bedroht sowie zu riskanten Manövern gezwungen – sowohl während Rettungseinsätzen als auch beim Versuch, Menschen in Seenot zu erreichen. „Diese Angriffe gingen von der sogenannten libyschen Küstenwache aus, die mit EU-finanzierten Schiffen operiert“, prangert Rummenhohl an.
Kritik an italienischer und europäischer Politik
SOS Humanity kritisiert offen politische Maßnahmen, die Rettung und Schutz von Geflüchteten behindern. „Die italienische Praxis, Überlebende nach Albanien zu bringen und Schutzsuchende faktisch zu internieren – Menschen, die auf ihrer Flucht und während ihres Aufenthalts in Libyen oder Tunesien Gewalt, Menschenhandel und Folter erlebt haben –, ist zutiefst unmenschlich und verletzt grundlegende Rechte“, erklärt die Organisation.
Das entsprechende Abkommen sei ein weiterer Versuch, sich der menschenrechtlichen Verantwortung zu entziehen und das europäische wie globale Schutzsystem zu untergraben. Laut Rummenhohl tragen sowohl das Italien-Libyen-Abkommen als auch die Externalisierungspolitik der EU täglich zu erzwungenen Zurückweisungen bei.
„Ein erster notwendiger Schritt ist die sofortige Beendigung des Memorandums mit Libyen“, fordert SOS Humanity.
Justice Fleet: ziviler Widerstand auf See
Die 2025 von 13 NGOs gegründete Justice Fleet hat beschlossen, die operative Kommunikation mit libyschen Seebehörden auszusetzen, da sie diese als illegitim betrachtet.
Am 9. Dezember 2025 wurde die Humanity 1 erstmals festgesetzt, weil sie sich weigerte, mit dem libyschen Joint Rescue Coordination Centre zu kommunizieren. Die Justice Fleet erkennt libysche maritime Akteure nicht als rechtmäßig an, da sie nachweislich schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind.
Rummenhohl kritisiert, dass Italien die Humanity 1 festhielt, obwohl die Besatzung die Rettungsmaßnahmen vollständig im Einklang mit dem Völkerrecht durchgeführt habe – während EU-unterstützte libysche Akteure weiterhin ungestraft gegen geltendes Recht verstoßen könnten.
Freiwillige: das Rückgrat der Humanity 1
„Mehr als ein Drittel unserer Besatzung arbeitet ehrenamtlich, ebenso das gesamte medizinische Team“, fasst Rummenhohl zusammen. „Diese Arbeit ist unbezahlt, doch SOS Humanity übernimmt Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten. Es sind diese Freiwilligen, die Menschen auf See schützen – und die SOS Humanity zu dem machen, was es ist.“