Was tun, Frau Bahnchefin? Die Kunden sind sauer, Züge verspätet, Gleise marode, die Zahlen rot! Euronews hat sich in den Zugabteilen umgehört und Rat bei Vielfahrer Eric Deyerler gesucht. Der Franke bringt es im Jahr auf so viele Kilometer auf der Schiene, dass er sechsmal die Welt umrunden könnte.
Am Wochenende verdichteten sich die Gerüchte, dass an der Spitze der Deutschen Bahn wohl künftig eine Frau stehen wird. Aus Regierungs- und Aufsichtsratskreisen sickerte durch, dass man sich auf Evelyn Palla geeinigt habe, die bisherige Chefin der Bahnsparte DB Regio. Auf die Frau kommt enorm viel Arbeit zu. Euronews hat deshalb versucht, aus Bahnkundenperspektive zu klären: Was muss zuerst erledigt werden?
Eric Deyerler fährt im Monat 20.000 Kilometer – mit der Bahn! Der mutige Franke ("Bahnfahren ist eine Wundertüte! – Man weiß nie, was drinsteckt…!") stürzt sich täglich unerschrocken in das bundesweite DB-Chaos aus Schienenersatzverkehr und Totalsanierungen. Eric der Vielfahrer trotzt jeglicher Unbill: Mehrstündige Verspätungen? Streckenumleitungen? Sommerreisen ohne Klimaanlage? Maus in der Lounge? Eric trägt immer noch treu den Glauben in sich, dass die Bahn eines der besten Verkehrsmittel ist – auch wenn er an ihr regelmäßig verzweifelt. Für die neue DB-Chefin hat er ein paar Tipps.
"Der Wasserkopf bei Verwaltung und Management muss weg!", fordert Eric. "Als allererstes sollte die neue Chefin Gehälter und Abfindungen des Vorstandes reduzieren." Leute, die seit Jahren so viel Mist gebaut hätten, dürfe man nicht mit so vielen Millionen belohnen und überhaupt: "Es kann nicht sein, dass das ganze Geld oben im Vorstand hängen bleibt und unten fehlt es an der Basis, bei den einfachen Bahnmitarbeitern."
Kurzer Zwischencheck ob und was da so dran ist an Erics Argument. Hartmut Mehdorn beispielsweise, Chef der Deutschen Bahn von 1999 bis 2009, verdiente drei Millionen Euro im Jahr – und bekam bei seinem Ausscheiden noch einmal sieben Millionen draufgelegt. Nachfolger Rüdiger Grube kassierte am Ende seiner Chef-Zeit 2017 weit über zwei Millionen Euro – sogar der Bundesrechnungshof zeigte die rote Karte. Und der bisherige DB-Chef Richard Lutz konnte sich über mehr als zwei Millionen pro Jahr freuen. Warum bekommen Manager Millionen, ärgert sich Eric, wenn die Bahn so oft unpünktlich, überfüllt und unsauber ist?
"Neulich war ich in Warschau", erzählt Eric. Jetzt kommt Begeisterung in seine Stimme: "In Polen ist alles super! Personal ist super! Bahnhof ist super! Bei uns in Deutschland kannst du in den Bahnhöfen nicht vom Fußboden essen, alles ist verdreckt. Aber in Warschau, Mensch, ich sag Dir, der Bahnhof dort ist sowas von sauber. Und auch sonst die polnische Bahn, echt fortschrittlich, sag ich nur."
Erics Begeisterungssturm trägt ihn weiter nach Dänemark – "Dort kannst Du super Zug fahren!" – und bis in die Niederlande. Jetzt wird seine Stimme fast andächtig: "Da kommst du nur mit einem QR-Code in die Bahnhöfe rein, weshalb es dort auf dem Bahngelände auch keine Bettler gibt. Wenn ich da hingegen an Frankfurt am Main denke – da musst du höllisch aufpassen! Der Trick ist ganz einfach: Da stürmt jemand in den Wagen, greift sich den Laptop unter lautem Geschrei, den habe er vergessen (ist natürlich nicht sein eigener!) und ist schon wieder draußen und weg! Ist einem Bekannten von mir passiert."
Eric selbst hat eine ähnliche Situation in Frankfurt/Main auch schon selbst erlebt: "Ich sehe, dass da einer an meinem Gepäck rummacht, zieht mein gutes Stativ raus – ich nichts wie hin: ‘Finger weg, sonst gibt’s was auf die Nüsse‘, habe ich dem gesagt. Weg war er!"
Seiner Meinung nach sollte die neue Bahnchefin unbedingt für mehr Sicherheit auf Bahnhöfen sorgen. "Nur Kamera-Überwachung, das bringt doch nichts. Da muss sehr viel mehr Sicherheitspersonal auf die Bahnsteige", so Eric. Das gilt übrigens nicht nur für Frankfurt am Main: "Meine Mutter in Franken traut sich gar nicht mehr mit dem Zug nach Nürnberg reinzufahren", erzählt er. "Und auch andere aus dem Bekanntenkreis sagen, dass sie Angst haben, den Zug zu nehmen."
Und da wir gerade auf Europa-Tour sind, was hält Vielfahrer Eric von der französischen und italienischen Bahn? "Also die Italiener machen das besser, keine Frage", stellt Eric resolut fest. Das ist kein allgemeines Blabla, sondern konkrete Erfahrung: "Als ich in Italien unterwegs war, gab es ein Problem mit einer Brückenbaustelle, kommt ja auch anderswo vor, dass mal was repariert werden muss. Die Reisenden wurden von freundlichen" - Eric setzt eine Betonungspause, um dem Adjektiv ‘freundlich‘ die ihm gebührende Bedeutungsschwere zu verleihen - "von freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeitern in Empfang genommen: ‘Da unten steht der Bus für den Schienenersatzverkehr, mein Herr. Wenn Sie Ihr Gepäck doch bitte dorthin stellen würden?’ – Also wirklich perfekt organisiert und sowas von höflich und zuvorkommend, da können sich die Deutschen eine Scheibe von abschneiden!", schwärmt Eric freudig von italienischen Bahnfahrverhältnissen.
Ach ja, und die italienische Brückenbaustelle, die war bei der Rückfahrt wenige Tage später schon wieder weg, "Brücke repariert, ruckzuck, nicht so umständlich und lange wie bei uns in Deutschland", so Eric.
Und Frankreich? "Also Frankreich, nun gut, das haut schon hin, so halbwegs", wägt Eric etwas zögerlich seine guten und schlechten Bahnfahrerlebnisse im Nachbarland ab. Paris hat ihm aus Bahnkundenperspektive allerdings nicht so gut gefallen, "ist halt manchmal schon etwas schmuddelig (der Bahnhof)."
Die Schnellzugverbindungen hingegen funktionieren perfekt, konstatiert Eric. "Einerseits sind die großen TGV-Linien ja gut, andererseits gibt es dazwischen fast nichts." Es fehlt ihm an guten Bahnverbindungen in die kleineren französischen Städtchen und etwas entlegeneren Orte. "Ist halt doch immer noch alles sehr zentralistisch, sieht man am Bahnnetz, wie ein Stern, läuft alles auf Paris zu. Bei uns in Deutschland ist das ein viel engmaschigeres, bunteres Netz."
Keine Strecke nach Prichsenstadt
Obwohl… jetzt redet sich Eric erneut in Rage. Strecken-Abbau! Was die Deutsche Bahn hier alles angerichtet habe in den ländlichen Regionen, klagt der Franke aus Schwabach. In den 90er Jahren habe das Malheur begonnen, in Folge der "Bahnreform" (Eric würde dieses Wort nie ohne Anführungszeichen verwenden!) sei eine Nebenstrecke nach der anderen dichtgemacht worden.
Ich überprüfe kurz, ob das stimmt. Doch, ja, die Zahlen sprechen eine ebenso klare Sprache wie Eric. Besaß die Deutsche Bahn 1994 noch ein stolzes Schienennetz von exakt 40.385 Kilometern, waren davon wenige Jahre später, 2006, nur noch 34.128 Kilometer übrig. Alles in allem wurden 13.847 Kilometer Gleise herausgerissen und 58.616 Weichen abgebaut. Nach 2008 wurde die Stilllegungsraserei dann abgebremst.
"Neulich hatte ich beruflich einen Termin in Prichsenstadt", meldet sich Eric wieder zu Wort. "Keine Chance, dort mit dem Zug hinzukommen", ereifert sich der Franke, "ich musste mit dem Auto hin, die Zugstrecke wurde ja schon vor Jahren aufgegeben!" Man spürt, der gute Mann ist ehrlich empört.
Zwar ist Prichsenstadt, muss man zugeben, eines der kleinsten Städtchen Bayerns. Doch mit auch eines der schönsten. Der romantische Weinort ist umgeben von einer Stadtmauer mit Wehrtürmen. Ein mittelalterlich anmutendes Geflecht enger Gassen, gut erhaltende Fachwerkhäuser, perfekt ausgeschilderte Wanderwege und eine Vielzahl gastronomischer Einkehrmöglichkeiten locken Touristen aus dem Umland. Nur müssen die eben mit dem Auto anreisen. Ein Jammer, findet Eric.
"Das Karpfenessen war wirklich lecker", lässt Eric nebenbei in seine Erzählung einfließen. Kurz, wer wissen will, was altfränkische Kultur und Lebensart sind, der sollte die Stadt besuchen. 1893 wäre das auch noch mit der Eisenbahn möglich gewesen. Das ist jetzt kein Schreibfehler. Denn Prichsenstadt liegt an der historischen Steigerwaldbahn, dessen erster Abschnitt von Kitzingen nach Gerolzhofen vor 132 Jahren eröffnet wurde. 1903 kam dann die Verlängerung bis Schweinfurt.
Und heute? Die altehrwürdige und beliebte Strecke starb eines langsamen Todes. Bereits in den 80er Jahren wurden Teile auf Busverkehr umgestellt, Ende 2001 kam der Güterverkehr zum Erliegen, 2006 endeten auch die Militärtransporte per Bahn. Am 9. Dezember 2007 schloss die DB Schenker eine letzte Holzverladestelle. Das war es dann. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Obwohl es immer wieder Initiativen gab (beispielsweise Vorschläge des Fördervereins Steigerwald-Express), die Strecke wiederzubeleben, hat sich bis heute nichts getan. Jahrelang wurde gestritten und diskutiert. "Dabei gibt es dort ein Tourismus-Potenzial", glaubt Eric, "das sich mit einer Reaktivierung der Strecke viel besser nutzen ließe."
Eric kommt aus Schwabach, eine Stadt in der Nähe von Nürnberg. Als kleiner Bub lebte er in einer Modelleisenbahnwelt. "Ich hatte sogar mehrere Spurgrößen", erinnert er sich. Erics Liebe zur Bahn hat auch etwas mit seiner Familie zu tun. "Mein Opa war Lokführer, mein Cousin ist Lokführer, ich habe einen Onkel, der Lokführer ist. Mein Vater wollte auch immer, dass ich zur Bahn gehe."
Aber Eric Deyerler schlug einen anderen Weg ein, interessierte sich für Elektrisches und Elektronik, für Kabel und Kameras – und arbeitet seit vielen Jahren als freier Kameramann für kleine und große Sender in Franken, Deutschland und der ganzen Welt.
Warum fährst Du täglich mit der Bahn, statt mit dem Auto? Hast Du keinen Führerschein? – "Doch schon", meint Eric, "1995 habe ich den gemacht. Doch für das Pendeln von Nürnberg nach München, zuerst fürs Studium, dann für eine Produktionsfirma dort, war die Bahn viel praktischer. Früher klappte das ja perfekt, es gab auch kaum Ausfälle." Heute hat Eric mal in Berlin Termine, dann wieder in Hamburg, Cannes, Warschau, Frankfurt… und erlebt hautnah, wie es mit der Deutschen Bahn bergab geht:
- "Da gibt es ‘Totalsanierungen’ mit Streckensperrung an denen wochenlang nicht gearbeitet wird – und ohne angemessenen Schienenersatzverkehr." (Eric D.)
- "Ich bin nach einem schwierigen Arbeitstag total groggy und soll dann mit schwerem Stativ und all der Ausrüstung beim Umsteigen in einer Minute quer durch den Bahnhof hetzen!?"
- "Ich habe schon erlebt, dass es Verspätungen gab, weil der Zug hielt – nur um Bundespolitiker aufzunehmen."
- "Es gibt immer weniger Personal, weniger Zugbegleiter, weniger Menschen an den Bahnhofsschaltern… "
Maschinen ersetzen Menschen
Eric kann zwar gnadenlos schimpfen, hat aber im Grunde ein gutes Herz, insbesondere für Senioren. "Vieles kann man heute nur noch mit dem Handy oder am Automaten erledigen. Wenn es kaum noch Schalterbeamte gibt, kann das für einige ältere Leute ein Problem sein. Für mache Leute wird es schwierig, einen Fahrschein zu erwerben."
Das hat Eric sich nicht ausgedacht. Bei der Fußball-WM 2006 arbeitete er als Automaten-Guide in Mainz, Nürnberg, München und am Flughafen. Seine Schlussfolgerung: Eine menschliche Bahn braucht Menschen in der Bahn, also mehr Personal in den Zügen und Bahnhöfen.
Einen Tag später schickt mir Eric eine WhatsApp-Nachricht: "Seit heute spontane Sperre Nürnberg, Schwabach, Treuchtlingen! Bahn will einen noch zwingen, Auto zu nutzen." Als er beim Ausparken des väterlichen Automobils anno 1996 an der Garagenausfahrt hängenblieb, hatte sich Eric eigentlich geschworen: "Jetzt fahr ich nicht mehr!"
Zwei Jahrzehnte lang rührte er kein Lenkrad an, erledigte alles per Bahn. Doch wer als Kameramann zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ein Kanzler im Norden, ein Ministertermin im Westen, eine Messe im Osten, ein Unfall im Süden der Republik: Erics gesamter Arbeitsalltag ist abhängig von Fahrplänen und Zugverbindungen. Deswegen hat sich Kilometerfresser Eric entschlossen, für 7999 Euro die Bahncard 100 zu kaufen. Seit 15 Jahren reist Eric 1. Klasse – man gönnt sich ja sonst nichts.
Und schon wieder eine kurzfristige Baustelle
Erneut ploppt eine WhatsApp-Message von Eric-dem-Bahnfahrer bei mir auf: "Gerade wieder gesehen, muss früher fahren, kurzfristige Baustelle!" Mit dem "früher fahren" ist das so eine Sache. Konkret bedeutet das für Eric und andere Vielfahrer, die systematisch auf die Bahn setzen und ihr gesamtes Leben rund um die Schiene organisiert haben, dass sie einen ganzen Tag früher reisen müssen, "die Übernachtungskosten muss ich dann selber übernehmen", ärgert sich Eric. Denn das geht so richtig ins Geld, übers Jahr gerechnet.
Oder er muss tatsächlich umsteigen aufs Auto. Vor kurzem hat Eric sich blutenden Herzens doch ein kleines Auto zugelegt, einen Smart. Gequält von DB-Totalsperren, getriezt von stundenlangen Zugverspätungen und fehlenden Anschlussverbindungen blieb ihm nichts anderes übrig. Grün und blau ärgert er sich darüber: "Du kaufst dir für 8000 Euro eine Bahncard 100 und die Bahn zwingt dich quasi zum Autofahren!"
Zweifel am Sanierungskonzept Totalsperrungen
Also Eric, was soll sie tun, die neue DB-Chefin, Deiner Meinung nach? "Die maroden Strecken sollten besser ‘unter rollendem Rad’, wie die Bahnleute sagen, saniert werden", glaubt Eric, "also bei laufendem Betrieb, auch wenn das länger dauert. Totalsperrungen, wie das in diesem neuen Totalsanierungskonzept jetzt gemacht wird, sind keine gute Lösung. Für viele Güterzugstrecken beispielsweise gibt es keine Ausweichalternativen. Wenn die Logistiker dann erst einmal alles umgestellt haben weg von der Schiene und auf die Straße, dann wird es schwierig, die später wieder zurückzuholen."
Eine umstrittene Position dies, viele Bahnexperten glauben im Gegensatz zu Eric, dass gerade diese neue Methode mittels Totalsperrungen alles auf einmal zu sanieren, mittelfristig besser ist als Flickschusterei "unter rollendem Rad".
Immer wieder kommt Bahnfahrerprofi Eric auf die seiner Meinung nach versemmelte Bahnreform der 90er Jahre zurück: "Das Geld wurde nicht ins Schienennetz gesteckt, sondern in den Erwerb internationaler Logistikfirmen. Die Bahn sollte meiner Meinung nach nicht den ‚Global Player‘ im Ausland spielen, nur um dann unterm Strich Verluste zu generieren." Geld solle im Unternehmen bleiben.
Eric: "Hier im Land wurde jahrelang nach dem Motto gehandelt: ‚Die Bahn fahren wir runter, bis sie eben kaputt ist, die Generalsanierung zahlt ja der Steuerzahler, alles kein Problem!‘ – 30 Jahre lang wurde auf Verschleiß gefahren und so die Infrastruktur ruiniert." Eric kann es immer noch nicht fassen, seine Haare stehen steil zu Berge.
Stellwerkmodernisierung hätte Menschenleben retten können
Beim großen Zugunglück in Bad Aibling war Eric mit seiner Kamera vor Ort. Er musste an diesem neunten Februar 2016 das schreckliche Ereignis nachrichtlich abdecken, an der Unfallstelle filmen. "Früher waren die Züge wesentlich stabiler. Das in Bad Aibling waren neuere Wagen, zerfetzt bis auf die Bodenplatte, überall lagen tote Menschen, die Seiten der Waggons waren rausgerissen. Ich stand daneben, als bei den Bergungsarbeiten Tote rausgezogen wurden." Er schweigt kurz. "Jahre hat das gedauert bei mir, um das zu verarbeiten."
12 Menschen starben bei dem Unglück, 89 wurden verletzt. Der Fahrdienstleiter im Stellwerk hatte auf seinem Handy herumgespielt und zwei Regionalzüge aufs gleiche Gleis geschickt – in entgegengesetzter Richtung! Das war nur möglich, weil das alte Stellwerk technisch nicht auf dem neuesten Stand war. Schalttafeln, Drucktasten, Glühlämpchen, so sah es damals in fast jedem zweiten deutschen Stellwerk aus. Technik der 70er Jahre (oder noch älter!) im Zeitalter der Digitalisierung, auch das eine Folge der verschlafenen Modernisierung der Deutschen Bahn.
Und wann kommt der Deutschland-Takt?
Wenn seit Bad Aibling zumindest bei der Digitalisierung der Stellwerke langsam Tempo gemacht wird, so sieht es beim hehren Ziel des ‚Deutschlandtaktes‘ anders aus. Das Konzept hört sich prima an: Ein integrierter Fahrplan nach Schweizer Vorbild, mit dem sämtliche Fahrpläne so aufeinander abgestimmt sind, dass sie wie ein Uhrwerk ineinandergreifen, genug Zeit zum Umsteigen bleibt – und alle immer pünktlich ankommen. Zuerst war 2030 als Ziel für diesen Bahnkundentraum benannt worden. Dann meldeten immer mehr Experten Zweifel an und sprachen von 2040 oder 2050…
"Heute ist es doch so, dass zwischen einigen Bahnhöfen drei ICEs im Viertelstundentakt abfahren, aber auf anderen wichtigen Strecken nur alle zwei Stunden ein Schnellzug fährt", hat Eric beobachtet und nennt hier Stuttgart als Problemfall. Die Kernidee des ‚Deutschlandtaktes‘ läuft darauf hinaus, dass alle großen Städte Deutschland im Halbstundentakt untereinander verbunden sind. Sollte das – nach langen Jahren des Infrastrukturausbaus, die noch vor den Deutschen liegen – irgendwann einmal Wirklichkeit werden, ließe sich beispielsweise die Fahrtzeit für die Strecke Stuttgart-Berlin um eine ganz Stunde verkürzen.
Es wird Zeit zu handeln. Zu bauen. Zu sanieren. Vor Verabschiedung des deutschen Mega-Investitionsprogramms zur Modernisierung von Deutschlands Infrastruktur gaben die Schweizer pro Einwohner fünfmal, die Österreicher dreimal so viel Geld aus pro Kopf, wie die Deutschen. Jetzt muss die DB mit ihrer neuen Chefin die Quadratur des Kreises bewältigen: In wenigen Jahren einen Riesenrückstand aufholen (sprich: bauen, bauen, bauen) und gleichzeitig mehr Menschen davon überzeugen, wieder Bahn zu fahren.
Und noch eine Textnachricht des verzweifelten Eric auf meinem Handy: "Von einem Tag auf den anderen werden Strecken gesperrt", angehängt eine Meldung des Bayrischen Rundfunks: "Marode Brücken – Bahn sperrt Strecke durch das Pegnitztal."
Wird Eric der Bahn die Treue halten, auch in den kommenden Jahren? Wir telefonieren. "Ich werde ja auch in Zukunft spontan Termine haben in Berlin, Warschau, Salzburg. Solche Strecken von Schwabach/Nürnberg mit dem Auto zu fahren, ist mir zu lang. Also bleibe ich der Bahn treu", meint er ohne große Begeisterung.
Der neuen Bahn-Chefin ins Poesiealbum geschrieben
Im Hintergrund höre ich Gläser klirren. "Wo bist du denn?", will ich wissen. "Mit einem Glas Weißwein in der DB-Lounge in München", kommt die Antwort. Euronews-Frage an Eric: "Was würdest Du der neuen Bahnchefin gerne ins Poesie-Album schreiben?" Eric stutzt, dann gibt er die Frage an die anderen Zufallsgäste in der Bahnhofs-Lounge weiter: "Euronews will wissen, was wir der neuen DB-Chefin ins Poesie-Album schreiben wollen?" Freundliches Lachen gefolgt von beratendem Gemurmel ist zu vernehmen. Dann Eric wieder am Hörer: "Die neue Bahn-Chefin soll selbst mit der Bahn fahren, das ist das Beste, was man ihr raten kann!"
Als Dauerkunde in der ersten Klasse läuft Eric bekannten Schauspielern, Politikern und Wirtschaftsbossen über den Weg. Auch mit den früheren Bahnchefs Lutz, Grube und Mehdorn kam er so kurz ins Gespräch. "Mit dem Mehdorn ließ sich gut reden", erinnert sich Eric, "den habe ich bei der Eröffnung der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-München getroffen. Der hatte einen frischen‚Spirit‘, hat sich zu den Kunden einfach mal so ins Abteil gesetzt, um zu reden."
Eric weiter: "Seinen Nachfolger Grube habe ich bei einer anderen Eröffnung getroffen, eine Lounge in Nürnberg war das, es gab Champagner und Lachshäppchen. Ich habe ihn angesprochen und gefragt, ob er mit der Bahn angereist sei. Da antwortet mir der Grube doch glatt, ‚warum soll ich mit der Bahn fahren, wenn ich doch meinen Dienstwagen habe!‘ - Sagt der mir so ins Gesicht!", echauffiert sich Eric noch heute über die Begebenheit.
Die Sache mit der Lounge-Maus
Ach ja, und dann ist da noch die Sache mit der Lounge-Maus! Wir schreiben den 14. November 2024. Eric grinst und stellt um auf erzählende Gegenwart. "Stell Dir vor, ich sitze also gemütlich in der DB-Lounge in Frankfurt am Main und wundere mich, warum mir da auf einmal alle Leute mit ihren Handys unter die Beine filmen. Schau ich also unter mich – und da sitzt eine Maus und isst ein Käsebrot."
Eric-der-Gutherzige rettet die Maus dann natürlich, als ein Lounge-Gast voller Ekelwut schon zum Todes-Kick ausholt: "Lassen Sie die arme Lounge-Maus doch in Ruhe“, interveniert Eric mutig. Jetzt tummelt sich Erics Lounge-Maus munter in der Boulevardpresse und den so bezeichneten sozialen Medien.
Was mitunter lustig klingt, ist es in der Realität dann eher weniger: "Angeknabberte Sitze und vermutlich auch Stromkabel, Mäusekot lag herum", erinnert sich Eric leicht angewidert. Doch dann überwiegt sein fränkischer Humor: "Der neuen Bahnchefin würde ich gerne mit auf den Weg geben, für jede Bahnhofslounge fünf Katzen anzuschaffen, dann trauen sich die nagenden Lounge-Gäste nicht mehr rein – und die reisenden Lounge-Gäste haben was zum Streicheln und Entspannen."
Er hört sich a bisserl traurig an, der Eric. Bei so vielen negativen Erlebnissen. Eigentlich mag er die Bahn doch wirklich, möchte auch was Schönes berichten. Na ja, mal sehen, was die neue Bahnchefin aus dem Unternehmen macht, wir telefonieren dann 2030 nochmal – vielleicht wird es ja doch noch was mit dem ‘Deutschlandtakt’.