Archäologie: Die älteste Landkarte Europas in der Bretagne entdeckt?

Gesamtansicht der Saint-Bélec-Platte von der Unterkante. Aus der Sammlung des Museums für Nationale Archäologie MAN 90 960, Frankreich
Gesamtansicht der Saint-Bélec-Platte von der Unterkante. Aus der Sammlung des Museums für Nationale Archäologie MAN 90 960, Frankreich Copyright DENIS GLIKSMAN/ Denis Gliksman, Inrap
Von Vincent Coste
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In der Bretagne haben Wissenschaftler eine Steinplatte wiederentdeckt, die möglicherweise die älteste in Europa gefundene kartographische Darstellung ist.

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Diese auf eine Steinplatte gravierte Karte ist vielleicht die älteste geografische Darstellung eines Gebietes in Europa. Ihr Alter wird auf die frühe Bronzezeit, von 2150 bis 1600 v. Chr., datiert und stammt vermutlich aus dem gleichen Zeitalter wie die in Deutschland gefundene Himmelsscheibe von Nebra.

Ein Team französischer Archäologen untersuchte mehrere Jahre lang diese Schieferstele, die bereits im Jahr 1900 im Département Finistère in der Bretagne, im Westen Frankreichs, ausgegraben wurde.

Die Geschichte dieser prähistorischen Karte ist einzigartig, denn eigentlich handelt es sich um eine Wiederentdeckung. Die Schieferplatte mit einer Länge von 2,20 Metern, einer Breite von 1,53 Metern und einer Dicke von 16 Zentimetern wurde bereits im Jahr 1900 von Paul du Châtellier im Hügelgrab von Saint-Bélec entdeckt. Châtellier hatte die Platte mit nach Hause genommen.

Im Privatmuseum eingelagert

In seinem Haus hatte der bretonische Archäologe ein Privatmuseum eingerichtet, um die Fundstücke seiner zahlreichen Ausgrabungen auszustellen. Nach seinem Tod verkaufte seine Familie die Sammlung, einschließlich der Tafel, an das Nationale Archäologiemuseum in Saint-Germain-en-Laye bei Paris. Dort stand die Platte erst im Schlossgraben, dann im Keller des Museums, und geriet mehr oder weniger in Vergessenheit. Sie wurde erst Jahrzehnte später, 2014, nach einer regelrechten Schatzsuche, wiederentdeckt.

Yvan Pailler und Clément Nicolas, die Forscher hinter dieser Wiederentdeckung, führten zahlreiche Analysen der Tafel durch. Die Stele wurde auch in 3D digitalisiert. Dank dieser Arbeit und der Untersuchung anderer Darstellungen, die von prähistorischen und zeitgenössischen Völkern (Tuaregs, Papuas, australische Aborigines) ausgearbeitet wurden, konnten sie die auf dem Schiefer reproduzierten Motive besser analysieren.

Netzwerk aus Linien könnte Flüsse markieren

So wurde ein Netzwerk aus verschiedenen Formen, die durch Linien miteinander verbunden sind, hervorgehoben. Einige dieser Formen sind tiefer eingraviert, als ob man sie hervorheben und ihre Bedeutung markieren wollte, wie das trapezförmige Muster in der Mitte der Stele.

DENIS GLIKSMAN/ Denis Gliksman, Inrap
Detailansicht des zentralen Motivs der Platte von Saint-Bélec, das als Darstellung einer Behausung interpretiert wird.DENIS GLIKSMAN/ Denis Gliksman, Inrap

Die Archäologen vermuten, dass die Tafel den von einem "politischen System" der damaligen Zeit beherrschten Raum darstellt, in dem die Machtzentren durch diese ausgeprägteren Formen gekennzeichnet sind. Die Mitglieder dieser bronzezeitlichen Gemeinschaft reproduzierten auf dieser Tafel wahrscheinlich die Karte des Gebietes, das ihnen gehörte.

Der nächste Schritt bestand darin, diese Darstellung mit einem real existierenden Gebiet zu verknüpfen. Ausgangspunkt der Überlegung war der ursprüngliche Fundort, nämlich das Hügelgrab von Saint-Bélec. In dieser Begräbnisstätte war die Tafel an einer der Wände angebracht.

Die Archäologen haben daher die Gravuren "georeferenziert" und versucht, eine Entsprechung im geographischen Raum in der Nähe des Grabhügels zu finden. Demnach entspräche die Platte einer Fläche von etwa 30 Kilometern Länge, die dem Lauf des Odet, eines Flusses, der in den Montagnes Noires ("Schwarze Berge") entspringt, folgt.

Mehrere Aspekte sind den Forschern noch unklar. Eine offene Frage ist, warum die Platte in einer Gruft gefunden wurde. Dazu stellten die Forscher mehrere Hypothesen auf. Das Grab könnte vom letzten Vertreter eines am Ende der Bronzezeit verschwundenen Geschlechts von Fürsten stammen, die über das Gebiet der "Montagnes Noires" herrschten. Es könnte sich auch um das Grab eines Schreibers handeln, der Autor dieser Karte war und - ähnlich wie die Fürsten - in einem Tumulus begraben wurde.

Auch die Interpretation der Karte bleibt rätselhaft. Nach Ansicht der Archäologen könnten bestimmte, wiederkehrende Motive Brunnen oder Quellen darstellen. Schon im letzten Jahrhundert hatte Archäologe Paul du Châtellier angesichts dieser unerklärbaren Formen gesagt: "Lassen wir uns nicht von der Phantasie in die Irre führen und überlassen es einem Champollion [Jean-François Champollion-war ein französischer Sprachwissenschaftler, der als einer die ersten die ägyptischen Hieroglyphen entzifferte, Anm. der Red.], der vielleicht eines Tages gefunden wird, um uns die Bedeutung zu verraten".

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