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Was war wirklich los in Amsterdam? Die Hintergründe

Polizeipräsenz auf dem Dam-Platz in Amsterdam, Niederlande, am Samstag, den 9. November 2024.
Polizeipräsenz auf dem Dam-Platz in Amsterdam, Niederlande, am Samstag, den 9. November 2024. Copyright  Evelyn Ann-Marie Dom
Copyright Evelyn Ann-Marie Dom
Von Evelyn Ann-Marie Dom & Sergio Cantone
Zuerst veröffentlicht am
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Donnerstagnacht ist es in Amsterdam nach einem UEFA-Fußballspiel zu Ausschreitungen gekommen, die von den europäischen Staats- und Regierungschefs auf das Schärfste verurteilt wurden. Euronews hat in der niederländischen Hauptstadt nachgefragt.

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Die Stimmung in Paris ist angespannt, denn die Stadt bereitet sich auf das Spiel der UEFA Nations League zwischen Frankreich und Israel am Donnerstag vor.

Die Zusammenstöße zwischen Anhängern des israelischen Vereins Maccabi Tel Aviv und pro-palästinensischen Demonstranten in Amsterdam in der vergangenen Woche klingen noch nach. Die Ausschreitungen lösten internationales Aufsehen aus und drohen, die bereits bestehende Polarisierung zwischen den beiden Gemeinschaften zu verschärfen.

Europäische Politiker bezeichneten die Angriffe auf die israelischen Fans als antisemitisch, doch viele Menschen in den sozialen Medien posten, dass die Anhänger von Maccabi Tel Aviv die Gewalt in den Tagen und Stunden vor dem Spiel am Donnerstag angezettelt und provoziert hätten.

Euronews ist nach Amsterdam gereist und hat mit Vertretern beider Seiten gesprochen, wobei sich herausstellte, dass der Vorfall vom Donnerstag vielschichtiger war als zunächst angenommen.

Was war geschehen?

Trotz der Berichte, dass die Gewalt über Nacht ausbrach, war Amsterdam bereits einen Tag vor dem Spiel Schauplatz wachsender Spannungen. Am Mittwoch trafen Tausende von Anhängern von Maccabi Tel Aviv in der niederländischen Hauptstadt ein, um das Spiel gegen Ajax Amsterdam zu verfolgen.

In einer Pressekonferenz berichtete die örtliche Polizei, dass die Spannungen begannen, als Maccabi-Anhänger eine palästinensische Flagge auf dem Dam-Platz in Brand setzten. Weitere Fahnen wurden von Wohnhäusern gerissen.

Nach Angaben der Polizei verwüsteten israelische Fans ein Taxi, was zu Zusammenstößen zwischen rund 400 israelischen Maccabi-Fans und Taxifahrern aus der gesamten niederländischen Hauptstadt führte.

Auf Videos, die im Internet kursieren, ist zu sehen, wie ein Maccabi-Anhänger gestoßen wird oder in den Kanal springt, während Schaulustige rufen: "Sagt frei Palästina und wir gehen". Euronews konnte dieses Video nicht unabhängig verifizieren.

Trotz der Bemühungen der Polizei um Deeskalation stieg die Spannung am Donnerstagnachmittag wieder an, als es auf dem zentralen Dam-Platz der Stadt zu verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen Maccabi-Anhängern und Gegnern kam.

Vor Beginn des Spiels wurden Maccabi-Anhänger dabei gefilmt, wie sie Parolen wie "F*** dich Palästina", "Lasst die IDF gewinnen, wir werden die Araber f***" und "Es gibt keine Schulen in Gaza, weil es keine Kinder mehr gibt" skandierten. Medienberichten zufolge störten die Anhänger auch die Schweigeminute für die Opfer der tödlichen Überschwemmungen in Spanien mit Sprechchören, Trillerpfeifen und Feuerwerkskörpern. Anfang Mai dieses Jahres hatte Spanien den Staat Palästina offiziell anerkannt.

Nach Angaben der Polizei war die Situation bis zum Ende des Spiels offenbar unter Kontrolle, da direkt vor dem Stadion keine Zusammenstöße gemeldet wurden.

Die Lage begann erneut zu eskalieren, als sich Gruppen im Stadtzentrum der Hauptstadt versammelten und randalierten. Die Polizei teilte mit: "Die Randalierer begingen dann Fahrerflucht und zielten auf israelische Anhänger. Dies führte zu einer Reihe von schweren Übergriffen an verschiedenen Orten in der Stadt".

Videos in den sozialen Netzwerken zeigten Gruppen, die Maccabi-Anhänger verfolgten und sowohl verbal als auch körperlich angriffen. Einige Videos zeigen Gruppen von Männern, die sich gegenseitig mit Feuerwerkskörpern bewerfen.

62 Personen wurden festgenommen und fünf Anhänger wurden wegen ihrer Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, das sie inzwischen wieder verlassen konnten. Sowohl der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Rettungsflugzeuge einsetzte, um die Fans nach Israel zurückzubringen, als auch sein niederländischer Amtskollege, Ministerpräsident Dick Schoof, verurteilten die Angriffe als antisemitisch.

Es ist wichtig, "kein Öl ins Feuer zu gießen"

Die Zusammenstöße ereigneten sich einen Tag vor dem Jahrestag der Reichskristallnacht, einem von den Nazis in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verübten Pogrom gegen Juden.

Führende Politiker reagierten auf den Vorfall und stellten eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen her. Israel zog Vergleiche zwischen den beiden Ereignissen, und Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema benutzte das Wort, um die Gewalt vom Donnerstag zu beschreiben.

Daniella Coronel, eine jüdische niederländische Freiwillige bei der jüdischen Sportorganisation Maccabi in den Niederlanden, äußerte sich besorgt über den wachsenden Antisemitismus im Land.

Sie verwies auf das letzte Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, das sie als besonders schwierig empfand.

"Für jüdische Menschen ist es das erste Mal in meinem Leben, dass ich, wie viele andere auch, das Bedürfnis habe, unsere Identität zu verbergen". Coronel, die zufälligerweise auch die Tochter eines der bekannten Vorstandsmitglieder des Fußballvereins Ajax Amsterdam ist, leitete eine Organisation, die Maccabi-Fans vor ihrer Rückkehr nach Israel in Zentren und Hotels unterbrachte.

Nach Ansicht von Jair Stranders, Vorstandsmitglied der Progressiven Jüdischen Vereinigung von Amsterdam und Berater des Stadtrats, wurde das Wort "Pogrom" von bestimmten Führern als Waffe benutzt, um die Gemeinschaften zu spalten.

Der Philosoph stellte fest, dass "Polarisierung an sich ein Teil der Demokratie ist", dass aber Probleme entstehen, wenn sie zur Waffe wird.

Jair Stranders spricht mit Euronews nach den Zusammenstößen vom Donnerstag in Amsterdam, Niederlande.
Jair Stranders spricht mit Euronews nach den Zusammenstößen vom Donnerstag in Amsterdam, Niederlande. Evelyn Ann-Marie Dom

"Ich denke, es ist wirklich wichtig, dass wir aufhören, Öl ins Feuer zu gießen", fügte er hinzu, "Politiker und die Rechten tun das, sie reagieren nicht so, wie es verantwortungsvolle Anführer tun sollten. Sie machen das zu einer Waffe und benutzen es, um Muslime, Migranten und Linke zu beschuldigen".

Viele Personen, mit denen Euronews sprach, beschrieben die Gewalttätigkeiten als gezielte Angriffe, bei denen sowohl pro-palästinensische Unterstützer als auch Israelis aufgrund ihrer Identität angegriffen wurden.

Ein Maccabi Tel Aviv-Anhänger sagte, dass einer seiner Freunde einer Auseinandersetzung entkam, weil er ebenfalls einen Ausweis besaß, der kein israelischer Pass war.

Nach Ansicht von Stranders hatten die gezielten Angriffe das Potenzial, die jüdische Gemeinschaft zu verängstigen, aber: "Wenn man die Bilder von israelischen Leuten sieht, die natürlich zum Teil Hooligans sind und die am Tag zuvor Dinge getan haben, die wirklich nicht gut waren und die man wirklich verurteilen sollte, dann verstehe ich, dass junge Muslime sich davon angesprochen fühlen. Ich bin damit nicht einverstanden, aber ich kann verstehen, wie das funktioniert."

"Entscheidende Fehler" im Vorfeld der Gewalt

Die Pro-Palästina-Aktivistin und Gründerin von MiGreat, Roos Ykema, die eine Keffiyeh und eine Jacke mit der Aufschrift "Free Palestine" trug, äußerte ebenfalls die Befürchtung, dass sie und ihre Gemeinschaft aufgrund ihrer Identität angegriffen würden.

"Viele Leute haben sich die ganze Woche über unwohl gefühlt, wenn sie ein Keffiyeh getragen haben, denn wir haben die ganze Woche von rassistischen Angriffen gehört und von Gebäuden und Menschen, die ins Visier genommen wurden, weil sie muslimisch aussehen."

Niederländische pro-palästinensische Gruppen hatten die Stadt aufgefordert, das Spiel schon Tage vorher abzusagen, um gegen Israels anhaltenden Krieg in Gaza zu protestieren.

Das Spiel wurde nicht abgesagt, aber pro-palästinensische Demonstrationen wurden von Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halseme in der Nähe des Stadions, in dem das Spiel stattfinden sollte, verboten.

Ykema erklärte, die Boykottbewegung fordere seit Jahren, Israel und israelische Fußballmannschaften aus dem europäischen Wettbewerb auszuschließen. "Ich verstehe nicht, wie die niederländische Regierung oder die Stadtverwaltung dies für eine gute Idee halten konnten und nicht daran dachten, dass die Menschen auf die Straße gehen würden".

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen vom Donnerstag verhängte Halsema ein dreitägiges Demonstrationsverbot und gab der Polizei die Befugnis, im Notfall Durchsuchungen durchzuführen.

Ykema hält dem entgegen, dass Protestieren ein Menschenrecht sei, und kritisiert die Entscheidung der Regierung. Sie argumentiert, dass Proteste nicht unter dem Vorwand des Antisemitismus verboten werden sollten: "Dies war eine politische Aktion, und wir können keinen Antisemitismus dagegensetzen."

"Diese Stadt ist voll von Menschen, die jüdisch sind und Seite an Seite mit uns demonstrieren", fügte sie hinzu.

Bob Sneevliet, Journalist bei Left Laser, teilt diese Ansicht: "Das ist staatliche Repression in vollem Umfang."

Er sagt, dass die örtlichen Behörden im Vorfeld der Ausschreitungen entscheidende Fehler gemacht hätten und dass das, was passiert sei, ein vorhersehbares Ergebnis eines pro-palästinensischen Demonstrationsverbots gewesen sei.

Sneevliet glaubt, dass sich die Menschen ohne das Verbot an einem Ort versammelt hätten, anstatt sich in kleineren Gruppen über die Stadt zu verteilen, was es für die Bereitschaftspolizei, die an den Umgang mit Fußballmobs gewöhnt ist, einfacher gemacht hätte.

"Und zweitens", sagt er, "hat die Erlaubnis für Maccabi-Hooligans, zwei Tage lang durch die Straßen zu ziehen und die Menschen einzuschüchtern, die Bedingungen geschaffen, unter denen die Gewalt gedeihen konnte.

Personen mit Wassermelonen-Kippah und Keffiyeh bei einer Versammlung am Monument des jüdischen Widerstands.
Personen mit Wassermelonen-Kippah und Keffiyeh bei einer Versammlung am Monument des jüdischen Widerstands. Evelyn Ann-Marie Dom

Bei einer Versammlung am Denkmal des jüdischen Widerstands erklärt Malachi, der Mitglied eines antizionistischen jüdischen Kollektivs in den Niederlanden, ist, dass er sich sicher fühle: "Am unsichersten habe ich mich gefühlt, als die Amsterdamer Bürgermeisterin Halsema einen Erlass herausgab, dass Demonstrationen abgesagt werden und Menschen jederzeit von der Polizei durchsucht werden können."

Malachi trug eine Keffiyeh und eine Wassermelonen-Kippah. Die Wassermelone, die die gleichen Farben wie die palästinensische Flagge hat, dient als Symbol der Solidarität. "Das (Risiko, aufgrund des Demonstrationsverbots von der Polizei ins Visier genommen zu werden, A.d.R) hat mehr als alles andere, was passiert ist, dazu geführt, dass ich mich mit meiner Wassermelonen-Kippah und Keffiyeh weniger sicher gefühlt habe."

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