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Genozid in Srebrenica: AfD stellt Begriff bei Debatte im Bundestag in Frage

Nach dreißig Jahren erinnern sich die Frauen von Srebrenica noch immer an das schreckliche Massaker, bei dem sie ihre Väter, Brüder und Söhne verloren haben.
Nach dreißig Jahren erinnern sich die Frauen von Srebrenica noch immer an das schreckliche Massaker, bei dem sie ihre Väter, Brüder und Söhne verloren haben. Copyright  AP Photo
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Von Euronews mit AP
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Während der Debatte zum 30. Jahrestag des Völkermords in Srebrenica kam es im Bundestag zu empörten Zwischenrufen. Ein AfD-Abgeordneter stellte den Genozidbegriff bei dem Massaker in Frage - in Anwesenheit zweier Überlebender.

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Der Bundestag hat dem 30. Jahrestag des Völkermords von Srebrenica gedacht. Während der Debatte kam es zu empörten Zwischenrufen und Kopfschütteln. Weil ein AfD-Abgeordneter den Genozidbegriff in Frage stellte.

"Dass ausgerechnet die Vereinten Nationen sich zum Interpreten dieses Massakers aufschwingen", sagte der AfD-Abgeordnete Alexander Wolf. Die UN hätte sich in die damaligen Geschehnisse nicht eingemischt. Die Einstufung dieses Massakers als Genozid durch Mehrheitsentscheidungen der UN-Vollversammlung sei umstritten, so Wolf. "Die Serben erschossen Männer und verschonten grundsätzlich Frauen und Kinder", so der AfD-Bundestagsabgeordnete.

Die Entscheidung, das Massaker als Genozid einzustufen, nannte Wolf eine "sehr unkluge" Entscheidung, die letztendlich politisch motiviert gewesen sei und nicht historisch. "Diese Erinnerungskultur, die wir hier dem ohnehin fragilen Staat Bosnien und Herzegowina von außen aufzwingen, trägt nicht dazu bei, die Spannungen im Staat zu besänftigen", sagt Wolf.

Die Einstufung dieses Massakers als Genozid durch Mehrheitsentscheidungen der UN-Vollversammlung ist umstritten.
Alexander Wolf
AfD-Abgeordneter

"Man macht sich hier leider auch zum nützlichen Handlager der Türkei", beendete Wolf seine Ausführung. Diese würde seit Jahren eine Islamisierung der ehemals sekularen Bosniaken vorantreiben. Es wäre unsere Aufgabe, dieser Art von Einflussnahme einen Riegel vorzuschieben", so Wolf. Es liege nicht im deutschen und europäischen Interesse, beendete Wolf seine Rede.

Während der Debatte waren zwei Genozidüberlebende von Srebrenica anwesend. Bundesaußenminister Johann Wadephul ist unerwartet an das Rednerpult gegangen. "Nun, mittlerweile drei Beiträge aus der Fraktion der AfD geben mir Anlass, zu dieser Debatte etwas zu sagen", so Wadephul. Er warnte davor, diese Debatte nicht zu missbrauchen. "Ich bedaure, dass wir den Opfern, den Angehörigen, insbesondere hier Anwesenden, und dem Herrn Botschafter derartige Debatten zumuten", sagte Wadephul.

Die Morde von Srebrenica waren der Höhepunkt des Bosnienkriegs von 1992 bis 1995. Der Zerfall Jugoslawiens hatte nationalistische Stimmungen und territoriale Ambitionen freigesetzt, die die bosnischen Serben gegen die beiden anderen ethnischen Hauptgruppen des Landes - Kroaten und Bosniaken - aufbrachten.

Frauen erzählen die Geschichten ihrer ermordeten Angehörigen

Zu Beginn der Debatte erinnerte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) an die Frauen von Srebrenica. "Nach dem Massaker waren es vor allem die überlebenden Frauen, die die Aufklärung der Verbrechen voranbrachten", sagte Klöckner.

Dies geschah

Drei Jahrzehnte nach dem Massaker von Srebrenica finden die Frauen der Überlebenden einen kleinen Trost: sie konnten ihre Väter, Brüder und Söhne aus den weit entfernten Massengräbern auszugraben und sie auf dem Gedenkfriedhof der Stadt einzeln bestatten.

Denn die Nähe der Gräber erinnert die Frauen nicht nur an die Tragödie, sondern auch an ihre Liebe für die Männer, die sie verloren haben.

"Ich habe hier Frieden gefunden, in der Nähe meiner Lieben", sagte Fadila Efendic, 74, die 2002 in das Haus ihrer Familie zurückkehrte. Sieben Jahre nachdem sie aus Srebrenica vertrieben worden war und mit ansehen musste, wie ihr Mann und ihr Sohn zum Töten weggebracht wurden.

Das geschah

Am 11. Juli 1995 überrannten die Serben Srebrenica, damals ein von der UNO geschütztes Gebiet. Sie trennten mindestens 8.000 bosniakische Männer und Jungen von ihren Ehefrauen, Müttern und Schwestern und schlachteten sie ab. Diejenigen, die versuchten zu fliehen, wurden durch die Wälder und über die Berge rund um die Stadt gejagt.

Bosniakische Frauen und Kinder wurden in Busse gepfercht und vertrieben.

Frau trauert neben dem Sarg ihres Verwandten, der 1995 dem Völkermord in Srebrenica zum Opfer fiel.
Frau trauert neben dem Sarg ihres Verwandten, der 1995 dem Völkermord in Srebrenica zum Opfer fiel. AP Photo

Die Henker versuchten, die Beweise ihres Verbrechens zu beseitigen, indem sie die Leichen in eilig ausgehobene Massengräber steckten und sie auf andere Gräber verteilten.

Mütter suchten seit Jahren nach den sterblichen Überresten ihrer Angehörigen

Sobald der Krieg vorbei war, versuchten Efendic und andere Frauen wie sie, ihre Angehörigen zu finden, sie zurückzubringen und ihnen ein angemessenes Begräbnis zu geben.

"Zu Hause stelle ich mir oft, vor allem in der Abenddämmerung, vor, dass sie noch da sind. Dass sie zur Arbeit gegangen sind und dass sie zurückkommen werden", sagt Efendic und fügt hinzu: "Dieser Gedanke, dass sie zurückkommen werden und dass ich in ihrer Nähe bin, hält mich aufrecht.

Zu Hause stelle ich mir oft, vor allem in der Abenddämmerung, vor, dass sie noch da sind.
Fadila Efendic
Ehemalige Vertriebene

Bis heute wurden fast 90 % der seit dem Massaker von Srebrenica als vermisst gemeldeten Männer aus Hunderten von Massengräbern, die in der östlichen Stadt verstreut sind, exhumiert. Nach wie vor werden Leichenteile in den Totengräbern rund um Srebrenica gefunden und durch sorgfältige DNA-Analysen identifiziert.

Bislang wurden die sterblichen Überreste von mehr als 6.700 Menschen - darunter auch Efendics Ehemann und Sohn - in verschiedenen Massengräbern gefunden und auf dem Gedenkfriedhof beigesetzt, der 2003 in Srebrenica auf Drängen der Frauen eingeweiht wurde.

Eine Frau trauert um ihre beiden Söhne, die dem Völkermord von Srebrenica zum Opfer gefallen sind.
Eine Frau trauert um ihre beiden Söhne, die dem Völkermord von Srebrenica zum Opfer gefallen sind. AP Photo

"Wir haben Geschichte auf weißen Marmorsteinen geschrieben, und das ist unser Erfolg", sagte Kada Hotic, die ihren Mann, ihren Sohn und 56 weitere männliche Verwandte bei dem Massaker verloren hat. "Obwohl uns das Herz zittert, wenn wir von unseren Söhnen, unseren Ehemännern, unseren Brüdern, unserem Volk, unserer Stadt sprechen, haben wir uns geweigert, zuzulassen, dass das, was ihnen widerfahren ist, vergessen wird", sagt sie.

Fast 50 Kriegsverantwortliche zu über 700 Jahren Haft verurteilt

Das Massaker von Srebrenica wurde von zwei UN-Gerichten als Völkermord eingestuft.

Dutzende von Frauen aus Srebrenica sagten vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien aus und trugen dazu bei, dass fast 50 bosnisch-serbische Kriegsverantwortliche zu insgesamt über 700 Jahren Haft verurteilt wurden.

Mitglied der Vereinigung Mütter von Srebrenica.
Mitglied der Vereinigung Mütter von Srebrenica. AP Photo

Der Verlust, der nie vergeht

Nachdem sie jahrzehntelang dafür gekämpft haben, dass die Wahrheit über Srebrenica nicht in Vergessenheit gerät, verbringen die Frauen nun ihre Tage damit, sich die spärlichen Erinnerungsstücke an ihr früheres Leben anzusehen und sich die Welt vorzustellen, die hätte sein können.

Auch Suhra Malic, 90, die zwei Söhne und 30 weitere männliche Verwandte verloren hat, wird von den Erinnerungen verfolgt.

"Es ist keine Kleinigkeit, Kinder zur Welt zu bringen, sie aufzuziehen, sie heiraten zu sehen und ihnen ein eigenes Haus zu bauen, und dann, gerade als sie ausziehen und ein unabhängiges Leben beginnen, verliert man sie. Sie sind weg und man kann nichts dagegen tun", sagte Malic.

Die Sommer in Srebrenica sind schwierig, vor allem, wenn der 11. Juli, der Jahrestag des Beginns des Mordens im Jahr 1995, näher rückt.

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