Cécile Kyenge: "Mein Ziel ist immer, anderen zu helfen."

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Von Euronews
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Seit dem 28. April ist Cécile Kyenge Ministerin für Integration in Italien. Seit ihrer Ernennung steht sie weltweit in den Schlagzeilen, weil sie immer wieder Opfer von rassistischen Angriffen geworden ist.

Die Übergriffe kommen von ganz oben: Der Vizepräsident des Senats – ein Mitglied der Lega Nord – verglich sie mit einem Orang-Utan. Sie bekommt Morddrohungen, sie wird beleidigt und bei Kundgebungen mit Bananen beworfen.

Cécile Kyenge wurde vor 49 Jahren in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Sie kam 1983 nach Italien, um Medizin zu studieren. Sie lebte ein Jahr illegal in Italien und finanzierte ihr Studium mit vielen Gelegenheitsjobs. 1994 heiratete sie einen italienischen Ingenieur und erlangte die italienische Staatsbürgerschaft.

Cecilia Cacciotto, euronews:
“Nach den rassistischen Angriffen auf Sie sind Sie weltweit die bekannteste Ministerin Italiens. Wie gehen Sie damit um?”

Cécile Kyenge, italienische Ministerin für Integration:
“Es ist nicht leicht, damit zu leben. Seit meiner Nominierung erlebe ich täglich rassistische Attacken. Aber meiner Meinung nach sind das nicht Angriffe gegen meine Person, sondern gegen die Institution, die ich vertrete. Gleichzeitig ist das eine wichtige Erfahrung für mich. Ich habe immer meine eigenen schwierigen Erfahrungen bis heute vor Augen. Und mein Ziel ist immer das gleiche: anderen zu helfen.”

euronews:
“Sie haben sich für Italien entschieden, weil Sie das Land lieben. Haben Sie als Ministerin ein rückwärtsgewandtes ‘rückständiges’ Italien entdeckt?”

Cécile Kyenge:
“Viele Dinge, die aktuell in Italien geschehen, passieren nicht aufgrund der Tatsache, dass Italien rassistisch ist. Das Land macht einen Wandel durch. Und diese Veränderung wird nicht von einer anderen Politik begleitet, das Phänomen der Migration wird nicht erklärt. Und auch die Schule erinnert nicht an die Geschichte Italiens.”

euronews:
“Sie haben die volle Unterstützung der Regierung, den Rückhalt durch den Ministerpräsidenten Enrico Letta und den Präsidenten Giorgio Napolitano. Hatten Sie mehr erwartet?”

Cécile Kyenge:
“Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten. Es ist das erste Mal, dass Italien einen Minister ausländischer Herkunft hat. Es ist das erste Mal, dass Italien mit dieser Problematik konfrontiert wird.”

euronews:
“Sie forderten den Rücktritt des Vizepräsidenten des Senats.”

Cécile Kyenge:
“Nicht ich habe das gefordert.”

euronews:
“Nicht Sie als Ministerin, aber Sie als Person, würden Sie das wollen?”

Cécile Kyenge:
“Ich hätte es gewollt, aber letztendlich lag es an ihm, diese Entscheidung zu treffen. Niemand sollte ihn dazu drängen. Auf diese Weise beginnen Änderungen: Jeder von uns muss Stellung beziehen und in der Lage dazu sein, seine Meinung zu ändern.”

euronews:
“Sind die Italiener Rassisten?”

Cécile Kyenge:
“Es gibt sie, aber nicht alle sind rassistisch, sonst hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, mich auf diese Weise zu integrieren.”

euronews:
“Haben Sie jemals bereut, den Ministerposten akzeptiert zu haben?”

Cécile Kyenge:
“Nein, niemals, nicht einmal für eine Sekunde.”

euronews:
“Sie haben nie daran gedacht, die Regierung zu verlassen?”

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Cécile Kyenge:
“Nein, es gibt immer jemanden, der den Weg bereiten muss. Ich denke nicht an mich, sondern an die Sache. Das verdient alle Opfer, sogar die Selbstverleugnung.”

euronews:
“Ihre Nominierung hat einen hohen symbolischen Wert. Es besteht das Risiko, dass sie symbolisch bleibt, denn Ihr Ministerium hat keinen Geschäftsbereich. Angesichts Ihrer begrenzten Ressourcen ist das ein Hindernis für Sie?”

Cécile Kyenge:
“Nein, ich glaube Veränderungen können auch mit geringen Mitteln angeschoben werden. Manchmal kann man auch Veränderungen bewirken, wenn die Ministerien anfangen zusammenzuarbeiten.”

euronews:
“Ihre Prioritäten sind das Recht auf italienische Staatsbürgerschaft für in Italien geborene Kinder von Immigranten und die Aufhebung der Bestrafung von illegalen Einwanderern. Sie sind seit drei Monaten im Amt, was haben Sie erreicht?”

Cécile Kyenge:
“Die Kinder eines Paares, das vielleicht seit 3 oder 5 Jahren in Italien lebt, das sind Kinder, die im selben Krankenhaus geboren werden, die gleichen Schulen, die gleichen Turnhallen besuchen, wie die anderen italienischen Kinder. Sie leben bereits ein anderes Leben als ihre Eltern. Es geht um einen vereinfachten Zugang zur Staatsbürgerschaft. An diesem Thema arbeitet die Regierung derzeit. Es gibt fast 20 Gesetzesvorschläge, die auf ministerieller Ebene vorliegen. Mein Ministerium hat daran gearbeitet, das Verfahren der Einbürgerung zu vereinfachen. Unter anderem gibt es die Möglichkeit, seinen legalen Aufenthalt im Land nicht nur mit der Aufenthaltsgenehmigung, sondern auch mit anderen Dokumenten wie zum Beispiel den Einschulungspapieren zu belegen.”

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euronews:
“Italien kann sehr großzügig handeln, aber die italienische Einwanderungspolitik ist oft Gegenstand von Kritik und Beschwerden auf europäischer Ebene. Was ist das wahre Gesicht Italiens?”

Cécile Kyenge:
“Italien versucht aktuell seine Migrationspolitik zu ändern, auch dank der Ansätze, mit der mein Ministerium bestimmte Probleme lösen will. Die Tatsache, dass wir ein Ministerium für Integration haben, ist ein Schlüsselthema für das Land.”

euronews:
“Glauben Sie, dass Italien die Flut der illegalen Einwanderung ganz allein managen kann? Europa hat keine einheitliche Einwanderungspolitik. Liegt da das Problem?”

Cécile Kyenge:
“Die Tatsache, dass Italien auf sich allein gestellt ist, liegt an der europäischen Gesetzgebung, nach der beispielsweise ein Bürger, der in Italien ankommt, dort Asyl beantragen muss. Das müssen wir ändern. Wenn eine Person in Italien ankommt, ist sie im Schengenraum. An diesem Thema müssen wir arbeiten, um dieses Problem auf europäischer Ebene mit einem anderen Ansatz zu lösen.”

euronews:
“Welchen Ansatz empfehlen Sie?”

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Cécile Kyenge:
“Man sollte einfach nur den freien Verkehr im Schengenraum respektieren.”

euronews:
“Nach den ersten 100 Tagen der Regierung Letta haben viele Menschen kein Vertrauen in ihren Fortbestand. Der Ministerpräsident gibt sich sehr optimistisch. Sind das die Regierungsmitglieder auch?”

Cécile Kyenge:
“Ja, wir teilen diesen Optimismus. Einige haben nicht einmal gedacht, dass wir 100 Tage überstehen. Heute sind wir seit mehr als 100 Tagen im Amt, das ist ein wichtiger Schritt!”

euronews:
“Trauern Sie Ihrem Leben als Ärztin nach?”

Cécile Kyenge:
“Ja, und zum ersten Mal habe ich die Gelegenheit, meine Patienten zu grüßen!”

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