Wie geht es in Rumänien nach Massenprotesten und Rücktritten weiter?

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Zehntausende Demonstranten haben in Rumänien gegen Regierungskorruption protestiert und damit den Ministerpräsidenten zu Fall gebracht. Der bisherige

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Zehntausende Demonstranten haben in Rumänien gegen Regierungskorruption protestiert und damit den Ministerpräsidenten zu Fall gebracht. Der bisherige Bildungsminister Sorin Cimpeanu wird mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt und verspricht, dass Rumänien trotz der politischen Unruhen ein verlässlicher internationaler Partner bleiben wird.

Einen Tag zuvor war Cimpeanus Vorgänger Victor Ponta zurückgetreten. Er steht bereits seit September wegen des Vorwurfs der Korruption vor Gericht.

Auslöser der jüngsten Massenproteste gegen Pontas Regierung und die gesamte politische Klasse Rumäniens war das Feuer in einem Nachtclub, bei dem 32 Menschen ums Leben kamen. Viele Rumänen machen korrupte Politiker für das Unglück verantwortlich. Das Lokal, so glauben sie, habe nur öffnen können, weil sich Politiker bestechen ließen und Sicherheitsvorschriften missachteten.

*Interview: “Die Rumänen waren unzufrieden”

Über die Lage in Rumänien haben wir mit Luca Niculescu von RFI roumanie gesprochen.

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Herr Niculescu, in der Presse liest man, das Drama in der Disko habe zum Sturz der rumänischen Regierung geführt. Dabei ist es nicht das Unglück allein, das zum Sturz geführt hat, oder?

Luca Niculescu
Nein, das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Spannungen haben seit langem zugenommen. Nach zahlreichen Affären gab es eine generelle Unzufriedenheit. Die Tragödie, die sich am Freitag in dem Nachtclub ereignet hat, war auch das Symbol einer Verkettung von fehlender Kompetenz und Korruption, sowohl in der Lokalpolitik als auch bei der Regierung, und das hat die Menschen in Bukarest aufgebracht.

Diese Generation ist das graue Gold Rumäniens

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Warum jetzt? Hat sich in der Gesellschaft etwas verändert?

Luca Niculescu
Wir haben es mit einer neuen Generation zu tun. Die meisten derer, die auf die Straße gegangen sind, sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Diese Leute bilden das, was ein Psychologe mal das “graue Gold” genannt hat, was sich auf die Intelligenz, die grauen Zellen bezieht. Diese Leute sind das graue Gold Rumäniens. Es sind aktive Menschen, die eine Arbeit haben, die in Rumänien bleiben wollen, die hier eine Zukunft für sich aufbauen möchten im Gegensatz zu anderen Generationen, die fortgegangen sind. Rumänien hat in den vergangenen 10, 12 Jahren vier Millionen Einwohner verloren. Diese Leute hier wollen eine Zivilgesellschaft in Rumänien aufbauen, und sie sind bereit, dafür zu kämpfen.

Diese Proteste waren ungewöhnlich für Rumänien

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Noch vor ein paar Monaten während seiner juristischen Streitigkeiten weigerte sich Victor Ponta, zurückzutreten. Er sagte, die Demokratie finde nicht auf der Straße statt. Jetzt sagte er, er hoffe, der Rücktritt der Regierung werde die Menschen auf der Straße zufriedenstellen. Was ist da in kaum fünf Monaten passiert?

Luca Niculescu
Vorgestern sind deutlich mehr Leute auf die Straße gegangen. So viele Menschen waren zuletzt 1990 nach dem Sturz der kommunistischen Regierung auf der Straße. Gestern waren 40.000 Menschen in Bukarest, und noch mal 40.000 in anderen Städten. Für ein Land wie Frankreich ist das vielleicht nicht viel, für Rumänien aber ist das eine bedeutende Zahl, denn die Rumänen gehen nicht besonders häufig zu Demonstrationen auf die Straßen. Angesichts dieses großen Widerstands ist der Regierungschef also zurückgetreten, aber wir dürfen auch den Ärger, den er schon zuvor hatte, nicht vergessen. Seine Position war dadurch bereits geschwächt, und angesichts dieses Sturms der Entrüstung, angesichts dieser Woge der Empörung, die bei den Protesten deutlich wurde, trat er zurück.

Der Staatspräsident hat eine schwierige Rolle

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Was kann der Staatspräsident nun tun, der eine Art politisches UFO ist. Vergangenes Jahr zur Überraschung vieler gewählt wegen seiner Antikorruptionsversprechen. Welche Optionen hat er nun?

Luca Niculescu
Der Präsident hat eine sehr schwierige Aufgabe. Auf der einen Seite muss er den direkten Kontakt mit den Demonstranten wahren. Auf der anderen darf er sich aber auch nicht zu weit von der politischen Klasse entfernen, denn der Ministerpräsident, den der Staatspräsident ernennen wird, muss von einem Parlament bestätigt werden, dass eben von dieser politischen Klasse dominiert wird, welche die Demonstranten gerade in Gänze ablehnen. Der Präsident muss daher ein sehr zerbrechliches Gleichgewicht halten. Und es ist das erste Mal, dass er eine solche Aufgabe zu bewältigen hat. Wir werden sehen, wie er sich schlägt.

Vielleicht wird es neue Parteien geben

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Kommendes Jahr wird in Rumänien gewählt. 2012 erhielt die sozialdemokratische PSD von Ponta 58 Prozent der Stimmen. Die Konservativen kamen dahinter auf 16 Prozent. Es gibt also keine wirkliche Alternative zu dieser politischen Klasse, die die Menschen nicht mehr wollen.

Luca Niculescu
Man könnte sagen, nein, denn dieselben politischen Parteien wie immer dominieren die politische Landschaft. Aber es wurden Schritte nach vorn getan, es wurden Gesetze verändert. Zum Beispiel kann man seit nicht einmal drei Monaten eine neue Partei mit nur drei Mitgliedern gründen. Vor einem Jahr waren dafür noch 20.000 notwendig. Wenn man sich noch einmal das Ausmaß der Proteste vor Augen führt, dann ist es durchaus möglich, dass sich das auch in einer Art politischen Energie niederschlägt, aus der heraus neue Parteien entstehen, und vielleicht werden wir bald neue politische Entscheidungsträger sehen.

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