EM-Finale: Zwei Teams mit Glück im Rücken

EM-Finale: Zwei Teams mit Glück im Rücken
Von Euronews
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Frankreich tritt im Finale gegen Portugal an, am Sonntag werden beide im Stade de France in Paris um den am heißesten begehrten Fußball-Titel des Jahres kämpfen.

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Frankreich tritt im Finale gegen Portugal an, am Sonntag werden beide im Stade de France in Paris um den am heißesten begehrten Fußball-Titel des Jahres kämpfen. Um über die beiden Finalisten, die wichtigsten Spieler und generell über die EM 2016 zu sprechen, haben wir uns mit dem Fußball-Experten Vincent Duluc von der französischen Sportzeitung ‘‘L‘Équipe’‘ unterhalten.

Vincent Ménard, euronews
Vincent Duluc, guten Tag. Es ist also geschafft, Frankreich hat seinen Deutschland-Fluch besiegt. Sind die Spieler nach diesem Erfolg euphorisch, oder sind sie sich dessen bewusst, dass das Wichtigste noch vor ihnen liegt, dass es noch einen Titel zu gewinnen gibt?

Vincent Duluc
Klar werden sie jetzt ein wenig von dieser Euphorie beflügelt, das brauchen sie auch. Das ist eine Mannschaft, die Anerkennung benötigt, Leichtigkeit, und die das endlich gefunden hat – und gemeinsam gefunden hat. Alle Spieler haben aber sehr deutlich gemacht, dass sie wissen, dass es noch ein Spiel zu gewinnen gibt. Sie wissen, dass die Bilanz ganz davon abhängt, ob sie siegen oder verlieren. Eine Niederlage würde dazu führen, dass das letzte Bild der EM ein trauriges wäre.

Frankreichs Top-Spieler Antoine Griezmann

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Ein französischer Spieler ist derzeit in absoluter Top-Form und voller Selbstvertrauen: Antoine Griezmann.

Vincent Duluc
Er ist gerade dabei, diese berühmte These zu bestätigen, dass eine französische Nationalmannschaft ohne einen Hauptspieler nicht weit kommt. Das war so mit Raymond Kopa, Michel Platini und Zinédine Zidane. Heute heißt dieser große Spieler Antoine Griezmann. Er liegt bei den Toren in der K.O.-Runde hinter Michel Platini auf Platz zwei. Er ist der erste seit Platini, der sechs Tore bei einer EM geschossen hat. Er ist ein ganz besonderer Spieler. Dabei ist er auch ein quasi “unfranzösischer” Spieler, einer, der in Spanien seine Erfahrung gesammelt hat. Es ist auch diese kulturelle Mischung, die aus ihm einen außergewöhnlichen Spieler macht.

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Auch im gegnerischen Team gibt es einen herausragenden Fußballer, ich spreche natürlich von Cristiano Ronaldo. Es ist ein gutes Jahr für ihn, er hat mit Real Madrid alles gewonnen, mit der Nationalmannschaft bisher allerdings noch nichts.

Vincent Duluc
Das ist tatsächlich spannend. Der Spieler, der als egoistischster Fußballer des Planeten gilt, hat große Probleme in seinem Team. Er spielte sein erstes EM-Finale 2004 zu Hause in Lissabon. 12 Jahre später spielt er das zweite in Paris. Ehrlich gesagt ist diese portugiesische Mannschaft, deren Kapitän er ist, eine der schwächsten der vergangenen Jahre. Aber er schafft es doch immer wieder, die Schwächen auszugleichen. Er hat das dritte Vorrunden-Spiel gegen Ungarn gerettet. Und man muss schon seinen Hut vor der enormen Karriere dieses Spielers ziehen und der Art und Weise, wie er versucht, das dämmernde Ende seiner Laufbahn nun noch mit diesem Erfolg zu krönen.

Portugal und Frankreich, zwei glückreiche Teams

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Die Portugiesen sind eine Art Wunder-Team. Sie haben in der Vorrunde dreimal unentschieden gespielt. Sie haben es gerade so ins Viertelfinale geschafft. Haben sie so etwas wie das Glück des Champions?

Vincent Duluc
Im Finale stehen zwei Teams, die ordentlich Glück hatten. Denn die Portugiesen haben ja nur ein Spiel in der Regelspielzeit gewonnen. Und die Franzosen haben zwar fast alle geschlagen, gleichzeitig aber auch fast niemanden. Das soll heißen, Irland im Achtel- und Island im Viertelfinale als Gegner zu haben, war einfach Glück. Es wird daher ein Finale zwischen zwei Teams, die das ganze Glück auf ihrer Seite hatten.

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Historisch gilt Portugal als einfacher Gegner für Frankreich.

Vincent Duluc
Bei dieser EM erleben wir ja, wie ein Land nach dem anderen den Fluch, der sozusagen auf ihm lag, abschüttelte. Deutschland hat endlich Italien geschlagen, Frankreich wiederum hat sich schließlich gegen Deutschland durchsetzen können. Das heißt, dass Portugal am Ende doch Frankreich schlagen könnte, nachdem Frankreich den Portugiesen bei der EM 2000 und bei der WM 2006 jeweils den Einzug ins Finale vermasselt hat.

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Frankreich und Portugal sind den Erwartungen bei dieser EM gerecht geworden, das gilt aber nicht für alle Teams.

Vincent Duluc
Spanien ist der große Verlierer dieser EM mit dem Rauswurf schon im Achtelfinale. Sie waren immerhin Europameister 2008, dann Weltmeister 2010 und nochmal Europameister 2012. Es ist eine müde Spielergeneration, und so wurde Spanien die große Enttäuschung dieser EM. Die andere Enttäuschung war das Spielniveau, die fehlende Spannung. Die Vergrößerung des Turniers auf 24 Teams hat dazu geführt, dass viele kleine Länder dabei waren. Und diese Länder können vor allem eine Sache: verteidigen. Daher war diese EM sehr defensiv und weniger spektakulär, als das früher der Fall war.

Kleine Länder haben EM-Tempo verlangsamt

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Andererseits haben diese kleinen Teams auch frischen Wind gebracht, und manche schlugen sich toll.

Vincent Duluc
Ja, und es ist bedauerlich, sagen zu müssen, dass wir eine etwas defensive EM hatten wegen solcher Teams, die nicht die Fähigkeit besaßen, mehr zu tun, als zu verteidigen. Gleichzeitig hatte es zwei großartige Auswirkungen. Zunächst die Atmosphäre. Denn viele britische und nordeuropäische Fans waren wirklich außergewöhnlich toll, und Frankreich hat dank ihnen ein paar wunderbare Wochen erlebt. Und dann wird uns der großartige Auftritt der Isländer in Erinnerung bleiben, die es ins Viertelfinale geschafft haben. Island, ein Land mit 330,000 Einwohnern, von denen fünf Prozent in den Stadien waren. Das wird noch lange in Erinnerung bleiben.

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Letzte Frage: Was sind die eindrücklichsten Momente des Turniers, die Bilder, die Sie im Kopf behalten werden?

Vincent Duluc
Leider wird es schwierig sein, die schrecklichen Bilder der russischen und englischen Hooligans in Marseille beim Spiel Russland-England zu vergessen. Aber ansonsten wird der großartige Fangesang der Nordiren “Will Grigg’s on Fire” in Erinnerung bleiben, das Klatschen der Isländer, einige Tore wie das von Ronaldo, der die Sterne zu besuchen schien mit seinem Kopfballtor im Halbfinale. Und man wird diese Eindrücke behalten von einem Frankreich, das draußen auf der Straße ist, von Fröhlichkeit in den Fanmeilen, wir werden den Siegestanz Griezmanns im Kopf behalten – und nun warten wir das Finale am Sonntagabend ab.

Si ça se trouve, on croit que Griezmann est heureux là mais son vrai rêve c'est d'être standardistepic.twitter.com/jTT4JgOUIN

— Jean-Moundir (@supermegadrivin) 8. Juli 2016

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