Bertram Rollmann: "Die Marken wollen zwar europäische Standards, aber nicht dafür zahlen"

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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Der deutsche Unternehmer spricht über die aktuellen Bedingungen in der Textilbranche.

Der deutsche Unternehmer Bertram Rollmann, Besitzer der Fabrik "PIRIN-TEX", ist ein alter Hase in der Bekleidungsindustrie, er verfügt über langjährige Erfahrung in der Branche. Sein Großvater, seine Mutter und sein Vater waren Schneider, der Betrieb begann 1922 als kleine Heimschneiderei der Familie Rollmann in Deutschland. 1980 wurde eine Produktionsstätte in Griechenland gegründet. 1993 suchte Bertram Rollmann nach einem neuen Standort für seine Bekleidungsfabrik. Bulgarien bot damals kurze Wege nach Westeuropa und niedrige Löhne. Seitdem produziert PIRIN-TEX Bekleidung für einige der bekanntesten Marken Europas. Seit 2011 engagiert er sich in der dualen Berufsausbildung. Im Interview mit euronews sprach er über die Krise in der bulgarischen Textilindustrie.

Euronews-Reporter Hans von der Brelie:"Wie erklären Sie die Krise der bulgarischen Textilindustrie?"

Bertram Rollmann, Textilunternehmer:"Die Krise der bulgarischen Bekleidungsindustrie ist eigentlich eine Preiskrise. Die Unternehmen der Bekleidungsindustrie haben zu geringe Erträge, um ihre Leute entsprechend bezahlen zu können. Mit dem Ergebnis, dass sich seit circa drei Jahren ein Abwanderungsprozess eingestellt hat, der verheerende Spuren hinter sich lässt."

Euronews:"Wie macht sich das in Ihrem Betrieb bemerkbar?"

Bertram Rollmann:"Die vergangenen drei Jahre haben wir durchschnittlich 600 Leute im Jahr verloren, die vor allem nach England, Deutschland und zum Teil auch nach Schweden und Spanien abgewandert sind. Tatsache ist, dass in den nordeuropäischen Ländern die Einkommen um so vieles höher sind, dass diese Leute diesen oftmals für sie sehr harten Schritt in Kauf nehmen, dass sie ihre Familien verlassen, um für ein Jahrzehnt oder noch länger im Ausland zu arbeiten."

Der Verbaucher müsste mehr für hochwertige Kleidung zahlen

Euronews:"Und wie könnte die Lösung aussehen?"

Bertram Rollmann:"Die Lösung ist nicht einfach. Ich denke, die nordeuropäischen Staaten bzw. die Konsumenten müssten bereit sein, mehr für hochwertige Bekleidung oder generell für Bekleidung auszugeben, sodass in den Produktionsländern oder auch in den Ländern, in denen die Rohmaterialien produziert werden, etwas mehr an Wertschöpfung übrig bleibt, sodass sich in diesen Gesellschaften eine schnellere Entwicklung von der Armut in den Mittelstand einstellen kann."

Euronews:"Wo bleibt eigentlich das Geld, das wir Verbraucher für gute Kleidung zahlen?"

Bertram Rollmann: "Die Wertschöpfungskette von Bekleidung ist relativ komplex. Sie hat einige Stufen, in denen Kosten anfallen, die sich letztendlich in dem Retail-Preis niederschlagen müssen. Ich kann Ihnen das gern anhand einer Torte aufzeichnen: Unsere Retailkette stellt die gesamte Torte dar. Wir haben heute für die Materialien ca. 10 bis 12 Prozent, für die Produktion als solche ca. 6 bis 8 Prozent, für die Marke bzw. für die Produktentwicklung ca. 16 bis 18 Prozent und für Handel und Distribution etwa um die 50 Prozent und letztendlich noch die Mehrwertsteuer von 19 bis 20 Prozent. Fakt ist, diese 6 bis 8 Prozent für die reine Produktion sehe ich als Unternehmer heute als viel zu gering an, um den Menschen ein Einkommen zu gewähren, mit dem sie sich einen normalen Lebensunterhalt gestalten können. Vor 35 bis 37 Jahren hatten wir einen Anteil an der gesamten Wertschöpfungskette von 12 bis 15 Prozent. Mit diesem Einkommen für die Produzenten konnten Löhne gezahlt werden, mit denen sich die Arbeiter einen normalen Lebensstandard erlauben konnten. Als ich vor über 40 Jahren als Mechaniker in einer Kleiderfabrik in Deutschland angefangen habe - damals konnte sich ein deutscher Schneider mit seinem Einkommen ein Häuschen bauen, er konnte sich ein Auto leisten, einen Opel Kadett, oder was es damals als Kleinwagen gab, und er konnte seine Familie ernähren. Und da sind wir heute in den aktuellen Produktionsländern, auch den europäischen Produktionsländern wie Bulgarien, Rumänien oder der Slowakei weit entfernt davon, diesen Menschen den Standard, die Möglichkeiten zu geben, sich mit diesem doch ehrbaren Handwerk, diesem ehrbaren Beruf, einen auskömlichen Lebensunterhalt leisten zu können. Das ist auch der Hauptgrund, dass die Branche in den vergangenen Jahren so massiv an Personal verliert. Weil die Leute keine Perspektive sehen, dass sich ihre wirtschaftliche Situation mittelfristig und langfristig verbessern könnte."

Schärfste Konkurenz kommt aus der Türkei

Euronews:"Welche Konkurrenz macht Ihnen am meisten zu schaffen?"

Bertram Rollmann:"Es gibt im Land Konkurrenten, es gibt im Ausland Konkurrenten, es gibt durch die verschiedenen Währungsschwankungen entsprechende Wettbewerbsvorteile unserer klassischen Konkurrenten zum Beispiel in der Türkei. In der Türkei war die Produktion in den vergangenen 18 Monaten günstiger als in Bulgarien. Die schärfste Konkurrenz kommt im Moment wieder aus der Türkei. Das war vor drei Jahren noch kein Thema. Aber das ist eine politische Entwicklung, die die türkische Währung so schwach hat werden lassen, dass sie heute weitaus günstiger exportieren können, als das vor zwei drei Jahren der Fall war. Wir haben im Land Konkurrenz, die sich im Laufe der Jahre auch durch massives Lohn- und auch Sozialdumping entwickeln konnte. Das ist in der Zwischenzeit aufgrund der massiven Aktivitäten der internationalen Marken hier in Bulgarien fast abgestellt. Die sogenannte Schattenökonomie oder graue Ökonomie wie man sie hier in Bulgarien nennt, wird aufgrund der Aktivitäten der internationalen Marken ziemlich ausgedünnt: Bei uns in der Firma gibt es zwei bis drei Sozialaudits pro Jahr. Einerseits verlangen die internationalen Marken, dass wir internationale, europäische Standards bieten, im sozialen Bereich, bei den Arbeitsbedingungen, bei den Arbeitszeiten, auf der anderen Seite wollen sie dafür aber nicht das Nötige bezahlen."

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