Sorge um Coronavirus-Blogger: Wo ist Chen Qiushi (34)?

Sorge um Coronavirus-Blogger: Wo ist Chen Qiushi (34)?
Copyright Screenshot eines Videos vom 4. Februar 2020 von Chen Qiushi
Copyright Screenshot eines Videos vom 4. Februar 2020 von Chen Qiushi
Von Euronews mit AP
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Eigentlich ist Chen Qiushi Anwalt, aber er hat als sogenannter "Citizen Journalist" mit Videos aus Wuhan über den Ausbruch des Coronavirus berichtet. Jetzt macht sich seine Familie große Sorgen um den 34-Jährigen.

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Auf seinen Videos, die der Video-Blogger im Internet veröffentlicht hat, sind die menschenleeren Straßen von Wuhan, dem Epizentrum des Coronavirus-Ausbruchs, zu sehen, Tote und Infizierte in überfüllten Krankenhäusern. Chen Qiushi ist 34 und eigentlich Anwalt, aber kurz bevor Wuhan abgesperrt wurde, war er in die Millionenstadt gelangt, um über die Epidemie zu berichten.

In seinen letzten mit dem Smartphone gefilmten Online-Beiträgen sah Qiushi, der aus Berufung zum Vlogger oder Videoblogger wurde, mitgenommen aus. Sein Haar ist zerzaust und seine Augen müde, Er fühlte sich von den Behörden der Kommunistischen Partei Chinas verfolgt.

Jetzt ist Chen Qiushi seit einer Woche verschwunden

Er ist eines der bekanntesten Gesichter der Jugendbewegung, die das Informationsmonopol der chinesischen Behörden in Frage stellt.

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Chen QiushiAP

"Citizen Journalists" - auch in China

Nur mit Smartphones und über die Social Media, erzählen diese "Citizen Journalists" (Bürgerjournalisten) auch aus der Provinz Hubei. Und sie fordern damit die Kommunistische Partei heraus, die seit 1949 darauf abzielt, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren.

Laut Maria Repnikowa, Professorin für Kommunikation an der Georgia State University und Expertin für chinesische Medien, ist es etwas "ganz anderes als das, was wir bisher gesehen haben".

Noch nie zuvor haben so viele Chinesen - darunter auch Opfer und Mitarbeiter des Gesundheitswesens - mit ihren Smartphones und in Ich-Erzählungen bezeugt, was es bedeutet, im Epizentrum einer Katastrophe zu leben. Die mehr als 50 Millionen Bürger in Quarantäne "fühlen sich sehr ängstlich, gelangweilt und ihr Leben ist seitdem praktisch zum Stillstand gekommen", sagt die Expertin.

Die Staatsmedien preisen die massiven Anstrengungen der Partei, blitzschnell neue Krankenhäuser aus dem Boden zu stampen, Tausende von Gesundheitskräften zu entsenden und die Produktion von Schutzmasken zu erhöhen - ohne die Realität hinter der offiziellen Erzählung genau darzustellen.

Leichen in Krankenhäusern

Chen Qiushi hat innerhalb von zwei Wochen mehr als 100 Beiträge aus Wuhan veröffentlicht, die zeigen, wie sich die Patienten in den Korridoren der Krankenhäuser drängen und wie schwierig es für die Bewohner ist, Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten.

"Warum bin ich hier? Ich halte es für meine Pflicht, mich als Bürger zu melden", sagt er in einem Video, in dem er sich mit Hilfe eines Selfie-Sticks vor einem Bahnhof selbst filmt. "Was für ein Reporter sind Sie, wenn Sie sich nicht an die Front wagen, wenn es zu einer Katastrophe kommt?

In einem anderen Film zeigte Chen am 25. Januar eine Leiche, die mit einer weißen Plane bedeckt vor einer Notaufnahme zurückgelassen wurde. In einem anderen Krankenhaus filmte er einen Toten, der an einen Rollstuhl gelehnt war, mit gesenktem Kopf und bleichem Gesicht.

Er fragte eine Frau, die den Mann festhielt: "Was ist denn mit ihm los?" Sie antwortet: "Er ist bereits tot".

"Ich habe Angst"

Chens Blog-Posts und Videos sind von Millionen angeklickt und angeschaut worden, aber dadurch hat er auch die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen. In einem Video, das am Ende der ersten Woche in Wuhan veröffentlicht wurde, sagt Chen Qiushi, dass er von den Sicherheitskräften befragt wurde. Sie wollten wissen, wo er ist, seine Eltern waren bereits gefragt worden.

"Ich habe Angst. Vor mir liegt der Virus, hinter mir die rechtliche und administrative Macht Chinas".

Seine Stimme zitterte, Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er schwor, "solange ich lebe, in dieser Stadt" weiterzumachen. "Nicht einmal der Tod macht mir Angst. Glauben Sie, ich habe Angst vor der Kommunistischen Partei?"

Seine Mutter bittet um Hilfe, um Chen zu finden

In der vergangenen Woche wurden die Beiträge von Chen immer seltener. Seine Mutter meldet sich am Freitagmorgen mit einem Videobeitrag, in dem sie Chen als vermisst meldete und um Hilfe bat, um ihn zu finden.

Später am selben Abend sagt ein Freund und Kampfsport-Champion, Xu Xiaodong, live auf Youtube, dass Chen für 14 Tage in Zwangsquarantäne genommen worden sei - für die maximale Inkubationszeit des Virus. Xiaodong berichtet, dass Chen bei guter Gesundheit und ohne Anzeichen einer Infektion war. Am Sonntag schrieb er jedoch auf Twitter, dass er die Behörden zwar darum bat, Chen anzurufen, aber niemand mit ihm in Kontakt treten konnte.

"Wenn ich die Tür öffne, bringst du mich weg."

Letzte Woche klopfte die Polizei auch an die Tür von Fang Bin, der Videos aus den Krankenhäusern von Wuhan gepostet hatte, in denen er Leichenstapel in einem Kleinbus filmte, die ins Krematorium gebracht werden sollten.

Fang, einem Verkäufer traditioneller chinesischer Kleidung, war es gelungen, eine heftige Auseinandersetzung mit einer Gruppe von vier oder fünf Agenten durch den Metallzaun an seiner Tür zu filmen. Das auf YouTube gepostete Filmmaterial zeigt der Welt, wie der Sicherheitsapparat daran arbeitet, den Zorn der Bevölkerung in Schach zu halten: "Warum gibt es so viele von euch?" fragt Fang. "Wenn ich die Tür öffne, bringst du mich weg."

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Chen hat dieses Video von Fang Bin auf seinem Twitter-Profil geteilt. Es war einer seiner letzten Tweets, bevor er verschwand.

Der Tod des Arztes, der vor dem Coronavirus in Wuhan gewarnt hatte, hat die Debatte über die Versuche der chinesischen Behörden, abweichende Meinungen zu unterdrücken, erneut entfacht. Die Polizei hatte Dr. Li Wenliang beschuldigt, unnötige Panikmache ¨über die Epidemie zu verbreiten, die einen Monat später ihn und mehr als tausend Menschen auf der ganzen Welt das Leben gekostet hat.

"Weckruf für das chinesische Volk"

Für Gao Fei, einen Wanderarbeiter, der verhaftet wurde, nachdem er den chinesischen Präsidenten Xi Jinping wegen des Managements des Coronavirus kritisiert hatte, sind der Tod des Arztes und das Verschwinden von Chen "ein Weckruf für das chinesische Volk".

"Der Hauptgrund, warum unsere Regierung nicht in der Lage war, die Ansteckung zu kontrollieren, ist, dass sie immer die Wahrheit verborgen und Informationen vor den Bürgern blockiert hat", so Gao Feis aus seiner Heimatstadt Hubei. Als professioneller Schweißer war er nur wenige Tage vor der Quarantäne-Erklärung aus Südchina nach Hause geeilt, um in Krankenhäuser und Apotheken zu gehen und alles, was er dort sah, mit seinen Anhängern zu teilen.

Nachdem er geschrieben hatte, dass Xi Jingpings Maßnahmen nicht menschlich seien, wurde er zusammen mit Drogenabhängigen und anderen Chinesen, die über überfüllte Krankenhäuser berichtet hatten, inhaftiert. Gao Fei bewundert den Mut von Chen: "Er ist das wahre Rückgrat Chinas."

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Nach dem Abschluss des Jurastudiums im Jahr 2007 arbeitete Chen als Kellner, Hotelreiniger, Synchronsprecher, Polizeireporter und schließlich als Fernsehmoderator und versuchte, eine Karriere in der Medienwelt zu starten. Er bestand 2014 die Anwaltsprüfung und hatte dann eine Kanzlei in Peking.

Im Jahr 2018 startete Chen Videoblogs auf Douyin, der chinesischen Version von TikTok, wo er schnell über eine Million Fans versammelte.

2019 geriet der Anwalt in Schwierigkeiten, nachdem er ein Video von pro-demokratischen Protesten in Hongkong veröffentlicht hatte. Dort nahm er sowohl an einer offiziellen patriotischen Kundgebung als auch an einem Protestmarsch teil, bei dem er beide Seiten zeigte, um seinem Publikum eine ausgewogene Perspektive zu bieten. Als Reaktion darauf schlossen die Behörden seine chinesischen Social-Media-Konten und riefen ihn zurück ins Mutterland.

"Singt kein Loblied auf die Mächtigen"

Von Wuhan aus postete Chen auf YouTube und Twitter, zwei soziale Medien, die in China blockiert und nur über VPN zugänglich sind. Seine YouTube-Seite steht unter dem Motto: "Singt kein Loblied auf die Reichen und Mächtigen, sprecht nur für das gewöhnliche Volk".

Einige seiner Posts waren von schwarzem Humor durchzogen, wie das Foto, bei dem er mit einer Plastikflasche auf dem Kopf posierte.

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"Leute reden zu lassen, kann nicht zum Tod führen", twitterte Chen am 28. Januar. "Sie nicht reden zu lassen, kann zu so vielen Toten führen."

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