Johannes Hahn: Wiederaufbau-Mittel für eine leistungsfähigere europäische Wirtschaft

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Von Isabel Marques da SilvaSabine Sans
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Der EU-Haushaltskommissar plädiert für Subventionen, aber dafür müssen Reformen angestoßen werden.

Wegen Covid-19 steht die Europäische Union vor einer Rezession historischen Ausmaßes. Um den Wiederaufschwung zu fördern, hat der EU-Kommissar ein Budget vorgeschlagen, das zwischen 2021 und 2027 verwendet werden soll und einen neuen Fonds umfasst. Unser Gast in The Global Conversation ist der EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn.

Unterstützung gibt es nicht umsonst

Euronews-Reporterin Isabel Marques da Silva:
Herr Kommissar, vielen Dank, dass Sie unser Gast sind. Die Hauptempfänger dieses mit 750 Milliarden Euro dotierten Wiederaufbaufonds sind einige der größten europäischen Volkswirtschaften: Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland - u.a. Länder, die am stärksten von Covid-19 betroffen sind. Es gibt eine Gruppe der sogenannten "sparsamen" Länder, darunter die Niederlande und Österreich, die nicht so viel Geld ausgeben wollen. Was ist Ihre Einschätzung: Wer ist bereit, Zugeständnisse zu machen und zur Überbrückung dieser Kluft beizutragen?

Johannes Hahn, EU-Haushaltskommissar:
Jedes europäische Land exportiert zwei Drittel seiner Exporte in ein anderes europäisches Land. Wenn wir uns erholen wollen, die Wirtschaft wieder ankurbeln wollen, muss das überall passieren, idealerweise zur gleichen Zeit, denn es gibt z.B. Lieferketten. Deshalb müssen wir diejenigen unterstützen, die mehr als andere in Not sind. Wir haben nicht nur eine Bedarfsanalyse gemacht, um zu wissen was notwendig ist, sondern auch die Art und Weise bestimmt, wie das Geld verteilt werden sollte - übrigens nicht als "kostenloses Mittagessen", sondern in Verbindung mit bestimmten Reformmaßnahmen. Die sollen den Ländern übrigens nicht nur helfen, sich wirtschaftlich zu erholen, sondern auch widerstandsfähiger zu werden, besser gerüstet zu sein für die nächste Krise.

Die "Sparsamen Vier" bremsen

Euronews:
Letztlich müssen die Mitgliedstaaten eine Art Gleichgewicht zwischen der Auszahlung der Mittel als Transfers, d.h. ohne Rückzahlung, und als Darlehen herstellen. Die bekannten "Sparsamen Vier" - Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark pochen auf ein anderes Verhältnis, ihnen sind zwei Drittel der Mittel als Transfers zu viel. Was ist Ihre Meinung dazu?

Johannes Hahn:
Die sogenannten "Sparsamen" sollten verstehen, dass es sich um eine Investition handelt. Wir investieren in die bessere Leistung der europäischen Wirtschaft. Jeder muss meiner Meinung nach dazu seinen Beitrag leisten und die gegenseitigen Abhängigkeiten verstehen. Ich kenne zum Beispiel am besten mein Land - Österreich. Unser zweitgrößtes Exportziel ist Italien. Wenn Italien also in keiner guten wirtschaftlichen Verfassung ist, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft, wo jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist."

Euronews:

Können Sie uns konkrete Reform-Beispiele nennen, die die Länder für einen Zugang zu den Mitteln erfüllen müssen?

Johannes Hahn:
Kroatien ist ein großartiges kleines Land in der Europäischen Union. Aber es ist das Land in Europa, das am meisten von Einnahmen aus dem Tourismussektor abhängig ist. Rund 25 Prozent seiner nationalen Wirtschaftsleistung basieren auf dem Tourismus. Wenn es also etwas gibt, das sich auf den Tourismussektor auswirkt, dann hat das sofort einen enormen Einfluss auf die Gesamtsituation in diesem Land. Um eine bessere Risiko-Verteilung zu erreichen, liegt es im Interesse Kroatiens, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Und genau das versuchen wir jetzt zu erreichen: Wir nutzen die Coronakrise, um in die Diversifizierung der kroatischen Wirtschaft zu investieren. Das macht das Land widerstandsfähiger, wenn etwas passiert.

Euronews:

Es muss eine Beteiligung des Privatsektors geben. Einige Mitgliedstaaten halten an der Idee fest, "Europameister" zu entwickeln, d.h. die Fusion europäischer Unternehmen in Sektoren wie der Automobilindustrie oder der Luftfahrt. Andere Mitgliedsstaaten sind mehr daran interessiert, leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen zu haben. Was ist Ihre Meinung dazu, vor dem Hintergrund, Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig eine starke Wirtschaft zu fördern?

Johannes Hahn:
Kleine und mittlere Unternehmen sind immer das Rückgrat einer Volkswirtschaft. Sie stellen in der Regel 80 bis 90 Prozent aller Arbeitsplätze. Andererseits sind kleine und mittlere Unternehmen sehr oft Zulieferer der Industrie. Wir brauchen also eigentlich beides.

Aber mit dieser Idee der europäischen Eigeneinnnahmen verfolgen wir auch unsere politischen Prioritäten.
Johannes Hahn
EU-Haushaltskommissar

Euronews:

Sprechen wir darüber, woher all das Geld kommen soll, für all die von ihnen erläuterten Vorschläge. Die Kommission schlägt eine europäische Steuer für große Unternehmen vor, die viel Profit aus dem Binnenmarkt ziehen, sogar eine spezifische Steuer für den digitalen Sektor, für die großen Technologieunternehmen. Mit welchen Argumenten kann man die Mitgliedstaaten davon überzeugen, dass es eine gute Idee ist, neue Steuern einzuführen und diese Sektoren gezielt zu besteuern?

Johannes Hahn:
Wir müssen vor allem bei den Subventionen sehen, wie man sie gegenfinanziert. Da gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, in Zukunft die nationalen Beiträge der Mitgliedstaaten zum europäischen Haushalt zu erhöhen, die zweite ist die Erschließung neuer Einkommensquellen; dadurch wird vermieden, dass die Mitgliedstaaten später etwas beisteuern müssen. Und ich sehe bei keinem Mitgliedstaat den Wunsch, in Zukunft höhere Beiträge zu leisten. Diese zweite Option ist also realistischer. Mit unseren Vorschlägen zielen wir überhaupt nicht auf Einzelpersonen - die europäischen Steuerzahler - ab, da sie in dieser Krise bereits sehr stark leiden. Und in vielen Ländern ist die Besteuerung bereits hoch. Aber mit dieser Idee der europäischen Eigeneinnahmen verfolgen wir auch unsere politischen Prioritäten.

Euronews:

Sie sagten, Europa müsse auch in einer Welt wettbewerbsfähig sein, in der andere geopolitische Mächte wie China und die USA ihre eigenen Konjunkturpakete haben. Ist dieser Haushalt stark genug, um der Europäischen Union die Position einer Großmacht zu verschaffen?

Einigung auf EU-Wiederaufbauplan im Juli?

Johannes Hahn:
Wenn wir diesen Haushalt beschließen, sind wir meines Erachtens gut gerüstet. Es wird genug finanzielle Feuerkraft vorhanden sein, um die gegenwärtige Krise zu bewältigen. Und, was noch wichtiger ist, Europa und seinen Mitgliedstaaten, seinen Bürgern zu helfen, aus dieser Krise gestärkt hervorzugehen.

Euronews:
Letzte Frage: Wird Ihrer Meinung nach bereits im Juli eine Einigung auf dem Tisch liegen? Oder vielleicht erst nach dem Sommer, im September, wenn Deutschland mehr Zeit hatte, sich in die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft einzufinden?

Johannes Hahn:
Nein, ich erwarte eine Einigung im Juli. Ich weiß, dass der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel die Federführung hat, um das zu organisieren. Und ich weiß, dass er alles vorbereitet. Ich bin sehr zuversichtlich. Und ich glaube auch, dass die Mitgliedstaaten die Dringlichkeit verstehen. Denn sie erleben jeden Tag vor Ort die Stimmung in Bezug auf die Krise und müssen richtig darauf reagieren.

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