Maia Sandu: "Es ist Zeit, in der Politik Moldaus aufzuräumen"

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Von Rosie Wright, Sabine Sans
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Die ehemalige Ministerpräsidentin und aktuelle Präsidentschaftskandidatin des osteuropäischen Lands fordert freie und faire Wahlen im November.

Im November finden in dem zerrissenen Land Moldau Präsidentschaftswahlen statt. Den Moldauern wird die Wahl zwischen Ost und West angeboten. Der prorussische Amtsinhaber Igor Dodon und seine proeuropäische Herausforderin Maia Sandu. Euronews hat beide zu einem Interview eingeladen, und Maia Sandu hat zugesagt.

Moldau am Scheideweg

Euronews-Reporterin Rosie Wright:
Die ehemalige Ministerpräsidentin Moldaus und aktuelle Präsidentschaftskandidatin Maia Sandu ist uns zugeschaltet. Vielen Dank, dass Sie unser Gast sind. Wie wollen Sie die stark gespaltene Bevölkerung Moldaus davon überzeugen, dass Sie eine geeignete Präsidentschaftskandidatin sind?

Maia Sandu:
Moldau steht am Scheideweg. Entweder entwickelt sich das Land zu einem funktionsfähigen Staat mit einer kompetenten Führung oder der Staat scheitert. Ein funktionsfähiger Staat bedeutet zunächst einmal einen Staat, der der Korruption Einhalt gebietet, der Unternehmen fördert, die ihrerseits Arbeitsplätze schaffen, Renten und Gehälter zahlen. So einfach ist das. Und das ist es, was alle Moldauer wollen. Zum Beispiel steht jetzt ein Drittel der moldauischen Unternehmen am Rande des Bankrotts, weil die Behörden die Wirtschaft überhaupt nicht unterstützen. Heute erhalten die meisten Rentner eine Rente, die unter der Armutsgrenze liegt. Das sind die Probleme, die alle Menschen unabhängig von ihren geopolitischen Präferenzen haben. Und wir versuchen, die Menschen hinter diesen Zielen zu versammeln.

Euronews:
Wir kommen gleich auf das Thema Korruption zurück. Aber wenn Sie über die Geopolitik Moldaus sprechen, in puncto Außenpolitik haben Sie einmal gesagt, dass es an der Zeit ist, wieder eine dynamische, verantwortungsvolle Außenpolitik zu betreiben. Wie würde sie aussehen und wie ist Ihre Vision der politischen Positionierung Moldaus?

Maia Sandu:
Unter dem derzeitigen Präsidenten ist die Außenpolitik des Landes völlig unausgewogen. Moldau hat zwei Nachbarn, Rumänien und die Ukraine. Und unter Präsident Dodon sind die Beziehungen zu diesen Ländern völlig eingefroren. Die Beziehungen zur EU und zu den USA haben sich verschlechtert, weil Igor Dodon, wie Sie wissen, versucht hat, nur mit Russland gute Beziehungen aufzubauen. Aber selbst mit Russland hat er das für seine persönlichen Interessen und nicht zur Lösung der Probleme des Landes genutzt. Dazu kommt, dass Russland weder technische Unterstützung noch Entwicklungshilfe leistet. Deshalb müssen wir zu einer ausgewogenen Außenpolitik zurückkehren und wieder gute Beziehungen zu Rumänien, zur Ukraine, zur EU und zu den USA aufbauen. Und ja, ich habe mich für die EU-Integration eingesetzt, die EU-Integration Moldaus. Dafür stehe ich auch als Präsidentin ein.

Ausgewogene Außenpolitik

Euronews:
Sie haben gerade dargelegt, welche Spannungen im Land herrschen, die Menschen sind teils prowestlich, teils prorussisch eingestellt. Wie würden Sie als Präsidentin versuchen, auf beide einzugehen und einen Kompromiss zu finden?

Maia Sandu:
Wie ich bereits sagte, wollen die meisten Moldauer oder wahrscheinlich alle Moldauer einen guten Lebensstandard haben. Sie wollen ein Ende der Korruption. Ich sollte Sie daran erinnern, dass ein Drittel der Bevölkerung das Land verlassen hat, weil sie zu Hause keine Perspektiven hatten. Das sind die Probleme, die wir lösen müssen. Und wir brauchen einen Präsidenten, der die nationalen Interessen Moldaus verteidigt, unabhängig davon, ob das die Beziehungen zu Russland oder zu anderen Ländern betrifft. Und wir versprechen, dass wir zu einer ausgewogenen Außenpolitik zurückkehren.

Euronews:
Was die Art der Annäherung an die EU anbelangt, haben Sie bereits einige Dinge angedeutet und vorgeschlagen. Dazu gibt es eine Sache, zu der die Europäische Kommission Moldau wiederholt aufgerufen hat - die Sorge um die Rechtsstaatlichkeit, um die Korruption, die Sie bereits erwähnt haben. Wenn Sie am Ruder wären, mit ihrer Vision, die Werte Moldaus in Einklang mit der EU zu bringen, wie wollen Sie diese Probleme angehen? Korruption, Rechtsstaatlichkeit?

Maia Sandu:
Das ist ein Thema, das mich und meine Kollegen dazu bewogen hat, in die Politik zu gehen. Denn als wir entdeckten, dass moldauische Autoritäten der moldauischen Bevölkerung Milliarden (Leu) gestohlen hatten, dachten wir, dass es an der Zeit sei, in der Politik Moldaus aufzuräumen. Wir haben für eine unabhängige Justiz gekämpft, und wir haben für starke Institutionen zur Korruptionsbekämpfung gekämpft. Wir haben diese Reformen vergangenes Jahr begonnen, als ich Ministerpräsidentin war. Dann haben korrupte Politiker die Regierung entlassen. Aber wir werden weiter unsere Ziele verfolgen. Und eines unserer Hauptziele ist, die Korruption zu stoppen, einen starken Staat mit funktionierenden Institutionen aufzubauen, der die Menschen verteidigt, der die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet.

Reformen und in der Politk aufräumen

Euronews:
Wird es vielleicht eine radikale Reform des Justizsystems geben?

Maia Sandu:
Auf jeden Fall. Das ist die Reform, die ich im vergangenen Jahr vorgeschlagen habe, aufräumen im Justizsektor, aufräumen in der Staatsanwaltschaft. Und das war eines der Hauptgründe, warum die korrupte politische Klasse die Regierung entlassen hat. Aber das ist eines der Hauptziele meines Präsidentschaftsprogramms.

Euronews:
Mit Blick auf den Ausgang der Wahlen haben Sie bereits vor einer Art weißrussischem Szenario gewarnt, möglicherweise vor Massenunruhen, Straßenprotesten. Glauben Sie, dass Moldau, wenn es dazu käme, diese Situation finanziell verkraften und auch mit diesem Ausmaß an sozialen Unruhen fertig werden könnte?

Maia Sandu:
Wir wollen freie und faire Wahlen. Das ist es, was wir den Verantwortlichen immer wieder sagen. Das Problem ist, dass der amtierende Präsident, Igor Dodon, weiß, dass er die Wahlen nicht gewinnen kann, dass er das zweite Mandat bei freien und fairen Wahlen nicht gewinnen kann. Denn die Menschen haben inzwischen gesehen, dass er korrupt ist, dass er lügt und dass er inkompetent ist. Also versucht er, die Wahlen zu manipulieren. Wir haben starke Botschaften ausgesandt, um ihn daran zu hindern. Aber für den Fall, dass er seine Pläne weiterverfolgt, warnen wir ihn, dass die Menschen auf die Straße gehen werden, denn das ist es, was die Menschen uns erzählen. Wir haben diese Erfahrungen bereits 2016 gemacht, bei den Parlamentswahlen 2019, als die Wahlen nicht frei und fair waren. Und die Menschen sagten: "Genug ist genug".

Euronews:
Darf ich an diesem Punkt kurz einhaken und fragen, warum Sie sich dieses Mal so sicher sind, dass es keine freien und fairen Wahlen sein werden. Auf welche Beweise stützen Sie sich dabei?

Maia Sandu:
Es gab bereits bestimmte Vorfälle. Als zum Beispiel das Plahotniuc-Regime zusammen mit Dodon Stimmen aus der Region Transnistrien - das ist die abtrünnige Region - organisierte und kaufte. Und es gibt in der Presse Beweise dafür, dass Menschen für Wahlstimmen organisiert, transportiert und bezahlt wurden. Dann sehen wir auf der rechten Seite der Republik Moldau - auf der rechten Seite des Flusses Dnister - Menschen, die für ihre Stimme bestochen wurden, vor allem arme Menschen, von korrupten moldauischen Politikern.

Mehr Tests und die Wirtschaft finanziell unterstützen

Euronews:
Darf ich Sie abschließend noch etwas fragen: Eine der größten Herausforderungen, die Sie oder der amtierende Präsident bei der Wahl zu bewältigen haben werden, ist die Coronavirus-Pandemie. Die Fälle in Moldau nehmen stetig zu. Was werden Sie dagegen tun, damit die Bevölkerung sicher bleibt, aber die Wirtschaft nicht lahmgelegt wird?

Maia Sandu:
Die Lage ist wirklich sehr schlecht. Und als Erstes muss mehr getestet werden. Die moldauischen Behörden haben nicht auf den Rat der Mediziner gehört. Sie haben nur sehr wenige Menschen getestet. Sie haben keine Maßnahmen ergriffen, um die Kranken zu isolieren. Und dann müssen wir natürlich dem medizinischen Personal helfen, das an der Belastungsgrenze steht. Das sind die ersten Dinge, die getan werden müssen. Auch im Hinblick auf die Wirtschaftskrise müssen wir sofort handeln, denn, wie ich bereits sagte, steht ein Drittel der moldauischen Unternehmen am Rande des Bankrotts. Wir müssen Geld auftreiben und diese Unternehmen, vor allem kleine und mittlere Firmen, auch finanziell unterstützen.

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