Die stille Pipeline: Geht Nord Stream 2 jemals an den Start?

Ein russisches Schiff, das beim Bau von Nord Stream 2 eingesetzt wurde, im Hafen von Mukran auf der Insel Rügen, 8. September 2020
Ein russisches Schiff, das beim Bau von Nord Stream 2 eingesetzt wurde, im Hafen von Mukran auf der Insel Rügen, 8. September 2020 Copyright Jens Buettner/(c) dpa-Zentralbild
Von Sebastian ZimmermannEuronews mit dpa
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Das Erdgaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland ist immer noch nicht in Betrieb. Was sind die Gründe? Welche Protagonisten sind für und gegen das Projekt?

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In der Ukraine-Krise wächst der Druck auf Deutschland, das Nord Stream 2-Projekt zu stoppen. Die Gaspipeline nicht in Betrieb zu nehmen, ist eine der Wirtschaftssanktionen, die im Falle eines russischen Einmarsches in der Ukraine verhängt werden könnten.

Berlin hat in den vergangenen Tagen klar gemacht, dass im Falle einer Invasion Russlands alle Optionen auf dem Tisch liegen würden, auch Konsequenzen für Nord Stream 2. Bundeskanzler Olaf Scholz ist nach langer Zurückhaltung auf diese Linie eingeschwenkt und hat seine Tonlage verschärft. Auch er droht Russland nun wie Außenministerin Annalena Baerbock mit "hohen Kosten" bei einem Einmarsch in die Ukraine.

Unterstützung kommt aus den USA: "Es ist auch erwähnenswert, dass noch kein Gas durch Nord Stream fließt, was bedeutet, dass die Pipeline ein Druckmittel für Deutschland, die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten ist, nicht für Russland", sagte US-Außenminister Antony Blinken.

Es soll das Projekt sein, mit dem Deutschland unabhängiger auf dem Energiemarkt agieren kann: die Gaspipeline Nord Stream 2. Die Ergasleitung zwischen Russland und Deutschland ist zwar offiziell fertiggestellt, doch immer noch nicht in Betrieb. Was sind die Gründe? Und wer sind die Protagonisten in diesem politischen Streit?

Der Beginn

Die Erdgasleitung Nord Stream 2 ist eine weitere Trasse, die parallel zum seit 2011 in Betrieb genommenem Projekt Nord Stream 1 auf dem Grund der Ostsee verläuft. Die Pipeline erstreckt sich über eine Länge von rund 1230 Kilometer und verbindet das russische Ust-Luga mit Greifswald im Nordosten Deutschlands. Mit dem Bau wurde im Mai 2018 begonnen, am 10. September 2021 wurde das Projekt mit einer Verspätung von anderthalb Jahren abgeschlossen.

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Eigentümer der Pipeline ist der russische Erdgasförderunternehmen Gazprom. Der Staatskonzern übernahm die Hälfte des rund 9,5 Milliarden Euro schweren Projekts. Die restlichen Kosten wurden von einem europäischen Firmenkonsortium (OMV (Österreich), Wintershall Dea (Deutschland), Engie (Frankreich), Uniper (Deutschland) und Shell (Großbritannien)) finanziert. Doch noch immer ist das Projekt nicht an den Start gegangen – für den Betrieb der Leitung braucht es unter anderem noch eine Zertifizierung der deutschen Behörden.

Die Befürworter

Sowohl Russland als auch Deutschland stehen hinter dem Projekt. In der Bundesrepublik gab es in den vergangenen Monaten, besonders vor dem Hintergrund der sich neu gebildeten Ampel-Regierung aus drei verschiedenen Parteien, immer wieder unterschiedliche Ansichten und Differenzen, ob und zu welchem Zeitpunkt man Nord Stream 2 starten solle. Die Grünen beispielsweise lehnen das Projekt aus geostrategischen und klimapolitischen Gründen ab. Auch die FDP sieht noch Handlungsbedarf.

Grundsätzlich baut Deutschland auf Gas aus Russland, das als Brückentechnologie gilt, auf dem Weg von fossilen zu erneuerbaren Energien. Mit der Pipeline hätte man eine verhältnismäßig günstige Möglichkeit, den Rohstoff zu beziehen und die Energiesicherheit im Land zu decken. Moskau würde sehr davon profitieren, da man so einen Abnehmer für sein Gas hat, das reichlich finanziellen Ertrag bringt. Etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas sollen pro Jahr von Russland durch die Ostsee nach Deutschland geliefert werden. Damit können nach Angaben der Betreibergesellschaft 26 Millionen Haushalte versorgt werden.

Die Europäische Union

Brüssel lehnt die Pipeline ab. In einer Stellungnahme von Juni 2017 heißt es, dass Nord Stream 2 nicht zu den Zielen der Energieunion beitrage. Die Pipeline soll "nicht im rechtsfreien Raum oder ausschließlich nach dem Recht eines Drittlands betrieben werden".

Nach Ansicht der Kommission trage das Projekt Nord Stream 2 nicht zu den Zielen der Energieunion bei, neue Versorgungsquellen, Routen und Anbieter zu erschließen, heißt es. "Vielmehr könnte es einem einzigen Anbieter sogar erleichtern, seine Stellung auf dem EU-Gasmarkt weiter zu stärken und mit einer weiteren Konzentration der Versorgungswege einhergehen." Es gebe derzeit gut funktionierende Gastransportinfrastrukturen, die die Energieversorgung in Europa sicherstellten. Bestehende Transportwege, insbesondere über die Ukraine, könnten durch den Bau von Nord Stream 2 jedoch möglicherweise gefährdet werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, dass die Pipeline kein europäisches Projekt sei. Sie würde "allein in der Hand der Deutschen liegen".

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Eine gemalte Karte an der Erdgasempfangsstation im Industriegebiet Lubmin, Deutschland, 16. November 2021Stefan Sauer/(c) Copyright 2021, dpa

Geopolitisch umstritten

Die Europäische Union ist nicht der einzige Protagonist, der das Projekt kritisch sieht. Auch die USA wollen, dass die Pipeline gar nicht erst in Betrieb geht. Im Rahmen von Sanktionen, die man 2020 gegen Russland verhängte, kam es zu einem Baustopp, der fast ein ganzes Jahr andauerte. Gaslieferungen aus Russland könnten in Washingtons Augen als politische Waffe genutzt werden. Im November 2018 warnte man, die "Abhängigkeit vom russischen Gas für Europa ist geopolitisch falsch". Man wolle nicht, dass "mitten im Winter das Gas abgedreht wird, wenn eine politische Krise ausbricht".

Dazu sieht man das Projekt als Konkurrenz. Die USA möchten ihrerseits lieber Geschäfte mit Europa machen und beispielsweise Flüssiggas verkaufen.

Sorge in Osteuropa

Auch aus Polen kommt scharfe Kritik an Nord Stream 2. Warschau fühlt sich als Transitland in Sachen Energielieferungen übergangen. Das Projekt könnte den Status der Pipelines, die es schon auf dem Landweg gibt, reduzieren. Wichtige Einnahmen, die man mit Transitgebühren generiert, könnten somit wegbrechen. Zudem befürchtet man, Russland könne an Macht gewinnen, indem es Europa abhängig macht von seinem Gas.

Besonders groß ist auch die Sorge in der Ukraine. Das Land ist auf die Einnahmen in Milliardenhöhe aus den Durchleitungsgebühren angewiesen.

Erst recht vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts warnt Kiew vor einer Inbetriebnahme des Projekts. Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete es als "gefährliche geopolitische Waffe des Kremls." Der staatliche ukrainische Energiekonzern Naftogaz erklärte erst vor rund einer Woche, dass es sich für die Ukraine um eine Frage der "nationalen Sicherheit" handele.

Moskaus Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze betrachtend, sei es "für den russischen Präsidenten Wladimir Putin schwieriger, einen Krieg anzufangen, wenn Gas durch die Ukraine fließe, da dann Gaslieferungen betroffen wären", so Naftogaz-Chef Jurij Witrenko. "Ich bin mir sicher: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, dann wird kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Europa geleitet."

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