20 Tage Ausharren im Keller: "Mariupol war wie die Hölle, wie ein Computerspiel"

Flucht aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine
Flucht aus den umkämpften Gebieten in der Ukraine Copyright NIKOLAY DOYCHINOV/AFP
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Von Anelise Borges
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Natalya hat 20 Tage ohne Strom, fließend Wasser und mit nur sehr wenig Nahrung im Keller ihres Hauses in Mariupol überlebt. Alle paar Minuten bebte die Erde. "Wir saßen da und dachten, der nächste Schlag trifft uns."

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Natalya hat in Mariupol unvorstellbares Leid erlebt. Wochenlang bangte sie im Keller ihres Hauses um ihr Leben. Jetzt ist ihr endlich die Flucht aus der besetzten Stadt gelungen. Doch der Schock sitzt tief.

"Mariupol war eine so schöne Stadt"

Im Interview mit Euronews erzählt Natalya: "Ich bin in Mariupol geboren und habe mein ganzes Leben dort verbracht. Bis der Krieg begann, war es eine so schöne Stadt. Man konnte dort sehr gut leben. Wir hatten das Meer, alles war gut. Ich liebe das Meer so sehr. Und jetzt werde ich das Meer wohl nie wieder sehen."

Natalya beginnt zu schluchzen. Heute liegt ihre Heimat in Schutt und Asche, nach über einem Monat Krieg und fast pausenlosem Beschuss. Die Hafenstadt, in der einst rund 500.000 Menschen lebten, gleicht einem Trümmerfeld. Natalya hat den Horror vom Keller ihres Hauses aus miterlebt.

"Die Angriffe spielten sich direkt über uns ab. Die Bomber flogen ab drei Uhr morgens, alle 10 Minuten hörte man ein Flugzeug vorbeifliegen", erzählt die Ukrainerin. "Wahrscheinlich war es auch unsere Luftabwehr. Jedes Mal wenn ein Ziel getroffen wurde, bebte alles. Wir saßen nur da und dachten, der nächste Schlag trifft uns... der nächste Schlag trifft uns."

Wir saßen nur da und dachten, der nächste Schlag trifft uns... der nächste Schlag trifft uns.
Natalya
Geflüchtete aus Mariupol

Natalya überlebte 20 Tage ohne Strom, fließend Wasser und mit nur sehr wenig Nahrung.Viele ihrer Nachbarn hatten nicht so viel Glück.

"Das Haus neben uns wurde von einer Bombe getroffen. Es wurde komplett zerstört, und unser Nachbar wurde unter dem Trümmerhaufen begraben. Zwei andere Nachbarn wollten ihn da herausholen und wurden dabei selbst durch den Beschuss getötet", berichtet Natalya.

Immer wieder habe es Angriffe auf die humanitären Fluchkorridore gegeben. Natalja schaffte es nicht raus aus der Stadt. Und so machte sich ihr Schwiegersohn auf den Weg und holte Natalya aus dem umkämpften Gebiet. Sie fuhren Richtung Westen nach Lwiw. Jetzt ist Natalya auf der Flucht im eigenen Land.

Ihr Schwiegersohn Viktor ist noch immer fassungslos: "In Mariupol sah es aus wie in der Hölle. 90 Prozent der Gebäude wurden getroffen, die Hälfte von ihnen war ausgebrannt. Auf der Straße irrten viele Hunde umher, auf der Suche nach Futter. Überall lagen Haufen von Müll und Schutt."

In Mariupol sah es aus wie in der Hölle.
Viktor
Schwiegersohn von Natalya

Er habe zwei Leichen gesehen. "Mitten auf der Straße. Eine war zugedeckt und die andere, ein Mann, lag einfach so da. Und die ganze Zeit gab es Explosionen, und Flieger am Himmel. Ich hatte das Gefühl, in einem Computerspiel zu sein. Das war unvorstellbar, ich kann noch immer nicht glauben, was da passiert."

Viktor möchte unerkannt bleiben, aus Angst, dass ihm sonst der Zugang zu den von Russland kontrollierten Gebieten verweigert wird. Denn er hofft, den Menschen in den besetzten Städten weiter helfen zu können.

Für Mariupol hat er jede Hoffnung aufgegeben, er glaubt nicht, dass die Stadt je wieder aufgebaut werden kann: "Es ist schwierig zu sagen, wie es dort aussehen wird. Aber ich sehe dort keine Zukunft. Zumindest nicht für die nächsten 10 bis 20 Jahre."

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