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Wo sind die Roma-freundlichsten Städte auf dem Westbalkan?

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Copyright euronews
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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Roma werden in ihrem Umfeld nicht immer akzeptiert bzw. integriert. Für echten Wandel braucht es politischen Willen, Geld, Geduld – und Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten: Behörden und Roma.

In Europa gibt es geschätzt zehn bis zwölf Millionen Roma – davon leben sechs Millionen in der Europäischen Union, drei Millionen in der Türkei und eine Million in den Westbalkanstaaten. Immer noch gibt es Vorurteile gegen Roma – aber auch Menschen, die dagegen ankämpfen. Was wird konkret getan, um die Situation der Roma in den Westbalkanstaaten zu verbessern? Eine Spurensuche unseres Reporters Hans von der Brelie, der für Euronews Witness quer durch Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro tourte: 1000 Kilometer in einer Woche, Temperaturen bei knapp 40 Grad Celsius – und jede Menge freundliche Menschen.

Auf meiner Reise sehe ich Kinder, die im Müll spielen - aber auch Kinder, die in den Sommerferien mit Betreuern basteln und malen.

Ich sehe katastrophale Wohnverhältnisse, Menschen, die in baufälligen Häusern ohne sanitäre Einrichtungen leben – aber auch Familien, die sich in jahrelanger Arbeit hübsche Anwesen mit Innendekoration und Garten hergerichtet haben.

Ich treffe Roma, die mir von krassen Vorurteilen und Stigmatisierungen im Alltagsleben berichten – und solche, die spannungsfrei in einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis mit Nicht-Roma Tür an Tür leben.

Roma-Kinder spielen im Müll
Roma-Kinder spielen im Mülleuronews

Erste Station: Montenegro

Doch beginnen wir mit Ramiz Šakoli. Im Alter von zwei Jahren kam er aus dem Kosovo nach Nikšić, einer großen Stadt in Montenegro. Ich treffe ihn am Stadtrand, in einer Roma-Siedlung. "Unsere Kinder haben nicht genug zu essen, es gibt Probleme mit der Krankenversicherung. Wenn Du fünf, sechs, neun Kinder hast, dann kannst Du nicht immer allen ausreichende Mahlzeiten auf den Tisch stellen – und auch nicht alle zur Schule schicken."

Šakoli redet schnell, unterstreicht Wörter, die ihm wichtig sind, mit energischen Handbewegungen: "Warum gehen nicht alle Kinder zu Schule? Es wird immer gesagt, das sei die Schuld der Eltern. Aber das ist es nicht. Wenn Du zehn Kinder hast, dann musst Du genau überlegen, wen Du in die Schule schickst. Wenn Kinder in die Schule gehen, brauchen sie Sneakers, Schuhe, sie brauchen jede Menge. Ich weiss, von was ich rede, ich bin selber in eine weiterführende Schule gegangen, Grundschule plus Sekundarstufe, ich habe zwölf Jahre Schulbildung genossen."

Ramiz Šakoli findet, Roma könnten besser integriert werden
Ramiz Šakoli findet, Roma könnten besser integriert werdeneuronews

Damit ist Šakoli eine Ausnahme. Sehr viele Roma-Kinder, in manchen Vierteln die große Mehrheit von ihnen, hören nach der Grundschule auf, müssen hinzuverdienen, damit die Familie sich über Wasser halten kann. Šakoli schlug eine Sportlerkarriere ein, wurde Judoka, hatte sportliche Erfolge. Er kann mit Menschen umgehen und klar artikulieren, Probleme benennen: "99 Prozent der Roma hier leben kein richtiges Leben. In der Siedlung gibt es riesige Ratten. Da drüben siehst Du die Müllhaufen, es gibt Schlangen. Die Kinder laufen da rum…"

Wie ist das Verhältnis von Roma und Nicht-Roma in Nikšić, frage ich Šakoli. "In der Stadt zeigen die Leute auf uns und sagen: Da kommen die Zigeuner! Im Café dasselbe: Da kommen die Zigeuner! Verstehst Du, was ich sagen will? Die Beziehungen sind nicht gut, wirklich nicht."

Balkanbürgermeister für Roma-Politik ausgezeichnet

Doch in manchen Westbalkan-Städten ändert sich was, wenn auch meist nicht von heute auf morgen. Die Europäische Kommission zeichnete 7 Bürgermeister mit einem Preis für ihre Roma-freundliche Politik aus. Pro Land gab es jeweils einen Gewinner. In Montenegro heißt er Marko Kovačević, der Bürgermeister von Nikšić.

In der zweitgrößten Stadt Montenegros leben rund 70.000 Menschen, darunter geschätzt 1.500 Roma. In der Laudatio der Europäischen Kommission heisst es: "Die Roma werden in Nikšić aktiv in kommunale Entscheidungsfindungsprozesse miteinbezogen. Bürgermeister Marko Kovačevićs Stadtverwaltung organisiert häufig Konsultationen, um Roma-Gesichtspunkte und deren Belange zu berücksichtigen." Und für den Zeitraum 2024 bis 2027 wird eine mehrjährige "Roma-Strategie" erarbeitet. Was soll das konkret heißen, will ich von Kovačević wissen.

Marko Kovačević:"Was 2024-2027 im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stehen wird, ist die soziale Miteinbeziehung der Roma-Gemeinde. Dafür benötigen wir einen umfassenden Ansatz. Also haben wir hier in der Stadtverwaltung eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die ein Dokument erarbeitet, das die Grundlage zur Lösung sämtlicher Probleme im Zusammenhang mit der Roma-Gemeinde bilden wird."

Marko Kovačević bezieht Roma in lokale Entscheidungsfindungsprozesse mit ein
Marko Kovačević bezieht Roma in lokale Entscheidungsfindungsprozesse mit eineuronews

Dass das keine leeren Worte sind, zeigt eine erste, vorsichtige Bilanz bisheriger Projekte. Die Stadt initiierte oder beteiligte sich an speziell auf Roma-Bedürfnisse zugeschnittene Gesundheits- und Vorsorgeprogrammen. Mittel im Bereich Schule und Ausbildung wurden etwas aufgestockt, auch für außerschulische Aktivitäten und Nachhilfe.

Die Situation ändert sich viel zu langsam

Bürgermeister Kovačević hat zudem 31 Sozialwohnungen für Vertriebene bauen lassen, 17 davon vergab er an Roma-Familien. Allerdings verlief die Umsetzung des Projekts nicht ganz reibungslos: "Die Dinge ändern sich viel zu langsam. Der Grund dafür liegt in dem völlig anderen Lebensstil der Roma und demjenigen der restlichen Bürger von Nikšić, die oft nicht akzeptieren können, wenn wir (als Stadt) etwas für das Gemeinwohl tun wollen. -  Neulich zum Beispiel wollten wir zehn Sozialwohnungen in einem bestimmten Stadtteil bauen. Dagegen gab es Widerstand im Rest der Bevölkerung vor Ort. Die Anwohner dort waren gegen den Bau dieser Sozialwohnungen (für Roma) in ihrer Nachbarschaft."

Euronews:"Im Rückblick, auf was sind Sie am meisten stolz?"

Marko Kovačević:"Wir haben versucht, die Probleme der Roma-Gemeinde zu evaluieren. Dann haben wir jeweils nach dem effizientesten Lösungsweg gesucht. Ein konkretes Beispiel: Die Stadt wollte ein neues Feuerwehrhaus bauen. Gleichzeitig gibt es das Problem der Wohnungsnot bei vielen Roma-Familien. Also haben wir versucht, beides miteinander zu verbinden, indem wir das Feuerwehrhaus dort gebaut haben, wo Roma in schlechten Wohnverhältnissen lebten – und haben die Roma umgesiedelt. Das Ergebnis: Die Roma haben brandneue Wohnungen bekommen und die Stadt wird eine schicke, neue Feuerwehrstation haben."

Euronews:"Was könnten Bürgermeisterkollegen anderswo in Europa von Ihnen lernen?"

Marko Kovačević:"Es geht eigentlich um gute Organisation, gute Mitarbeiter, gute Team-Arbeit."

"Wenn das gemeinsame Wohl der gesamten lokalen Bevölkerung im Mittelpunkt steht, nicht ausschließlich das der Roma, dann klappt das. Genau das ist der Schlüssel zum Erfolg."
Marko Kovačević

Gesundheit, Schule, Arbeit, Wohnen – alles hängt zusammen

Ich mache mich auf den Weg zum "Zentrum für Roma-Initiativen". Die Sonne brennt vom Himmel. Das Navi leitet mich ins Herz einer riesigen Plattenbausiedlung. Einzige Farbflecken im einheitlichen Waschbetongrau sind die bunten Wäschestücke, die hoch droben im siebten und neunten Stock vor den Fenstern hängen. Unten auf Straßenniveau sieht es weniger lustig aus: eingeschlagene Scheiben, aggressive Wandsprüche, in den Hinterhöfen wird bereits das Brennholz für den kommenden Winter angeliefert. Hier hat das "Roma-Zentrum" ein paar bescheidene Büroräume angemietet.

Der in ganz Montenegro für seine solide Arbeit bekannte und international vielfach ausgezeichnete Verein kümmert sich seit vielen Jahren um Roma-Rechte im weitesten Sinn. Einer der Schwerpunkte der Arbeit sind Frauenrechte innerhalb der Roma-Gemeinde, aber nicht nur: Gesundheit, Schule, Arbeit, Wohnen – alles hängt zusammen, meint Direktorin Fana Delija. Viel wäre schon gewonnen, könnte man die in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens unglaublich verworrenen Grundbesitzverhältnisse klären, seufzt Delija.

Fana Delija:"Allgemein gesagt, könnte eines der größten Probleme (das Wohn-Elend) dadurch gelöst werden, dass man Grund- und Bodenbesitz der hier lebenden Roma legalisiert."

Euronews:"Warum ist ausgerechnet das so wichtig?"

Fana Delija:"Es ist wichtig für die Menschen zu wissen, dass ihnen ein Stück Boden gehört. Dann können sie auf dem eigenen Grund und Boden bauen – und ihre Lebensbedingungen verbessern sich."

Fana Delija meint, man sollte die Roma kennenlernen
Fana Delija meint, man sollte die Roma kennenlerneneuronews

Euronews:"Rückblickend auf ihre jahrzehntelange Vereinsarbeit, was würden Sie heute als Ihren größten Erfolg bezeichnen?"

Fana Delija:"Einen der wichtigsten Fortschritte haben wir im Bereich der Erziehung gemacht. Roma-Kinder brauchen gute Bildung. Und heute besuchen mehr und mehr Kinder (der Roma-Gemeinde) Schulen. Die Zahl der Schulmeldungen steigt jedes Jahr."

Euronews:"Andererseits kommen viele Roma-Kinder nicht über die Grundschule hinaus und es gibt immer noch Teenager-Schwangerschaften und Zwangsheiraten, oder?"

Fana Delija:"Verfrühte Heiraten und frühe Schwangerschaften sind immer noch eine große Herausforderung. An dem Thema sind wir konkret seit zwölf Jahren dran. Denn an dem Problem der frühen Heiraten hängt ein ganzer Rattenschwanz weiterer Folgeprobleme. Das wird auch in Zukunft einer unserer Arbeitsschwerpunkte bleiben. Was uns wieder zum Thema Schule und Bildung bringt: Wenn Mädchen zur (weiterführenden) Schule gehen, dann ändert sich die gesamte Situation für diese Mädchen – und damit auch für die Roma-Gemeinde."

Vorurteile gegen Roma: eine gesellschaftliche Baustelle

Euronews:"Gibt es noch Vorurteile?"

Fana Delija:“Leider wartet da noch Arbeit auf uns! Vorurteile müssen weiter abgebaut werden. Doch geht die Entwicklung mitterweile in die richtige Richtung. Allerdings muss die Gesellschaft als Ganze da noch einiges leisten, denn es gibt immer noch Vorurteile. Doch noch einmal: Es gibt auch Verbesserungen, ganz klar. Das Thema ist jedenfalls immer noch eine gesellschaftliche Baustelle.”

Euronews:"Was könnte man anderswo in Europa von Ihnen und der Arbeit ihrer Teamkollegen lernen? Haben Sie so etwas wie einen Tipp?"

Fana Delija:"Der beste Rat ist der, die lokale Roma-Gemeinde gut kennenzulernen. Man muss sich freundlich einander annähern."

"Als Gesellschaft muss man den Problemen auf den Grund gehen. Es braucht sozusagen eine Wurzelbehandlung."

Fana Delija

Wohnverhältnisse sind entscheidend

Manche Roma besitzen eigene Häuser. Viele andere nicht. Am Stadtrand von Nikšić, im Viertel Gracanica, wurden vor einigen Jahren auf städtischem Terrain Sozialwohnungen errichtet, direkt neben der Straße zum riesigen Bauxit-Tagebau, für den die Stadt europaweit bekannt ist. Im Minutentakt donnern Lkw an den niedrigen Häusern vorbei, wirbeln rötlichen Staub auf.

Im Volksmund wird die Stadtrandsiedlung "das Barackenviertel" genannt. Dabei sehen etliche der Häuser eigentlich recht nett aus, einige haben kleine Terrassen, manche Mauern sind frisch gestrichen, Kleinkinder planschen in Plastik-Wasserbecken, Jugendliche schauen neugierig aber nicht unfreundlich zu mir rüber. Trügt der erste Eindruck vorstädtischer Sommeridylle?

Eine ältere Frau ohne Schneidezähne zupft mich am Ärmel. Sie will mir was zeigen. Damit ich besser verstehe, was das Problem ist. Denn hier leben Roma-Großfamilien auf engstem Raum zusammen, 300 Menschen sind es geschätzt, die im "Barackenviertel" zusammengedrängt sind. Und nicht allen geht es gut. Auch Bukurija Sejdi wohnt hier. Mit einer Armbewegung und einigen Brocken Deutsch lädt sie mich ein, ihr zu folgen: "Komm mit, komm mit!"

Bukurija Sejd zeigt dem Reporter das "Barackenviertel"
Bukurija Sejd zeigt dem Reporter das "Barackenviertel"euronews

Ich folge ihr durch ein niedriges Tor, hinter dem Kinder aller Altersstufen herumwimmeln. Bukurija Sejdi stellt sich in den Schatten an die hellblaue Wand: "In diesem Haus leben 14 Menschen, zusammen mit den Enkeln, auch mein Sohn, mit einem kranken Baby…" – Mittlerweile hat sich die Familie um uns herum versammelt, hört aufmerksam zu. "Dieses Haus ist das reinste Chaos", fasst Sejdi zusammen. "Niemand hat Arbeit, nur eine Person bekommt Sozialhilfe." Die Umstehenden nicken zustimmend. Sejdi redet weiter: "Es gibt keine Jobs. Es ist extrem schwierig für uns, Arbeit zu finden. Wir leben von der Hand in den Mund."

Ein Mann mittleren Alters, Sorgenfalten und Bartstoppeln im Gesicht, ergreift das Wort. Er heiße Ševćet Saiti stellt er sich vor: "Wir brauchen mehr Wohnraum für uns, unsere Kinder, für die Kranken. Die Kinder brauchen einen Platz zum Schlafen, wir haben nur zwei Räume, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer." – Nach seiner Zählweise leben sogar 20 Menschen in dem Haus. "Niemand kümmert sich um uns. Wir haben ein krankes Baby mit einem Nasenkatheter, das nicht richtig atmen kann", sagt Saiti und bittet mich hinein. 

Ein großer Standventilator bläst Luft in eine Zimmerecke, wo in einem Gitterbettchen ein gelähmter Säugling mit Plastikschlauch in der Nase liegt. Diverse medizinische Apparaturen geben leise Maschinenlaute von sich, ergänzt gelegentlich durch ein Gurgeln des Babies. Sofort spring eines der Kinder, dann die Mutter auf, sie wischen, säubern, führen den Nasenschlauch wieder in die Nase ein. An den Wänden sind Matratzen gestapelt, die beim Einbruch der Nacht auf dem Boden ausgebreitet werden, damit alle Familienmitglieder schlafen können.

Wie kann man eine bleibende Veränderung bewirken?

Wohnungsnot, Schulprobleme, Arbeitslosigkeit – und jetzt auch noch ein schwerkranker Säugling – seit 20 Jahren versucht Fana Delija zu helfen, wo sie kann. Doch zaubern kann auch sie nicht. Während ich mit Einwilligung der Familienmitglieder filme, knüpft Delija Gespräche an, hört zu, gibt Ratschläge.

Nach vorne geblickt auf den Rest des Jahrzehnts, was sollte ihrer Meinung nach getan werden, um eine nachhaltige, bleibende Veränderung zu bewirken, frage ich sie?

Fana Delija:"Was meiner Meinung nach für arbeitsfähige Menschen wirklich wichtig ist, man sollte sich in den kommenden vier Jahren hier in der Gemeinde auf den Arbeitsmarkt, auf Arbeitsmöglichkeiten konzentrieren. Aber auch ausreichender Wohnraum ist wichtig, damit Menschen in diesem 21. Jahrhundert ein menschenwürdiges Leben leben können." Hinzu kommen Erziehung und Ausbildung, "damit die Menschen einen Weg aus der Armut finden."

Sie macht eine kleine Pause, dann fährt sie mit etwas leiserer Stimme fort: "Ich habe 20 Jahre meines Lebens in diese Arbeit gesteckt, meine Nerven aufgerieben – und wenn man dann zurückblickt, sieht man, dass der Fortschritt so klein ist." – Doch nach einem tiefen Luftholen wirkt Delija schon wieder forsch und frischen Mutes: "Ich sage immer, es reicht schon, ein einziges Problem zu lösen, eine einzige Kinder-Heirat zu verhindern, in einem einzigen Fall eine bessere Gesundheitsversorgung zu erzielen und das ist bereits ein kleiner Glücksmoment." Dann zieht sie den Vergleich gestern/heute für den Schulsektor: "Vor 20 Jahren konnte hier niemand sagen, wir haben 180 Roma-Kinder, die jeden Tag in die Schule gehen. Und heute sind es sogar mehr als das!"

Um Arbeit zu finden, braucht es eine solide Ausbildung

Zoja Tarlamišaj ist Roma-Beauftrage der auf Wirtschaft und Hotelgewerbe spezialisierten örtlichen Realschule. Seit Frühling 2024 hat sie einen Festvertrag, doch die Leute hier im Barackenviertel kennt sie schon sehr viel länger. Sie ist selber eine Rom, allerdings aus einer anderen Stadt. Vor einigen Jahren zog sie für ihr Pädagogik-Studium nach Nikšić. Die Frau mit den großen runden Augen wirkt zugleich resolut und einfühlsam, beide Eigenschaften braucht sie täglich bei ihrer Arbeit.

Zoja Tarlamišaj macht oft Hausbesuche
Zoja Tarlamišaj macht oft Hausbesucheeuronews

Heute macht sie einen Hausbesuch bei Amela. Die sechsfache Mutter und gelernte Elektrotrechnikerin ist mit einem Rom verheiratet, eine Mischehe. Auch Amela wohnt im "Barackenviertel", gerade backt sie Fladenbrot, es riecht so gut, dass mein Magen anfängt zu knurren. Kleine Kinder kommen angerannt, setzen sich zu uns auf das ordentlich geglättete Sofa. Die Wohnküche ist perfekt aufgeräumt, kein Staubkörnchen, kein herumliegendes Spielzeug.

Die Frauen setzen sich aufs Sofa, diskutieren Schulangelegenheiten. Beide wissen: Um Arbeit zu finden, braucht es eine solide Ausbildung. Amelas Kinder sind zwei, sieben, zehn, zwölf, 17 und 19 Jahre alt. Und Amela besteht darauf, dass ihre Kinder nach der Grundschule auch die Sekundarstufe besuchen. Ihr Ältester hat den Schulabschluss bereits geschafft, der Zweitälteste wird demnächst seine Abschlussprüfungen absolvieren – "und ich ermutige sie, weiterzumachen, an der Universität zu studieren", sagt Amela. Ein in Roma-Familien heute immer noch kein selbstverständlicher Satz. Die Berufsziele der Teenager? Kriminalistik und Pädagogik, die jüngeren wissen noch nicht so recht, meint Amela. Zoja und Amela beschließen das Gespräch mit der Formel: Lernen ist wichtig, um sich für eine gute Arbeit zu qualifizieren!

Deshalb verfolgt Zoja Tarlamišaj genau die Schulnoten der wenigen Roma-Kinder, die es bis an die weiterführende Schule geschafft haben. Zurück im Schulgebäude zeigt sie mir den Schrank mit den Klassenbüchern, ihr Büro im zweiten Stock, ihre zahlreichen Diplome. Tarlamišaj spricht vier Sprachen, unter anderem auch Albanisch, Serbisch und Türkisch.

Auch Tarlamišaj ist eine Rom - und sie hat einen Universitätsabschluß – eine Rarität für Roma in Montenegro. "Bei mir waren es die Eltern, die mich motiviert haben", erinnert sie sich. Damit mehr Kinder eine weiterführende Schule und später vielleicht auch eine Universität besuchen, fordert die Schulbeauftragte von den Politikern ein grundlegendes Umdenken.

"Würde man eine Schulpflicht für weiterführende Schulen einführen", so der Vorschlag von Zoja Tarlamišaj, "gäbe es weniger Roma-Schüler, die so früh das Schulsystem verließen. Sie könnten einen qualifizierten Abschluss erwerben und ihr Leben wäre besser." Schaut man sich ein paar Zahlen an, wird das Ausmaß des Problems deutlich. An Tarlamišajs Realschule sind weit über 1000 Kinder, schätzt die Roma-Beauftragte, "doch darunter sind gerade einmal 15 Roma-Kinder." Dann lächelt sie: "Aber es wird besser, im September bekommen wir hoffentlich zwei oder drei mehr Roma-Schüler hinzu."

Euronews:"Was ist für Sie die größte Herausforderung?"

Zoja Tarlamiša:"Die besteht darin, die Eltern zu überzeugen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, auch zur weiterführenden Schule."

Euronews:"Was sind denn die Gründe für den frühen Schulabbruch?"

Tarlamišaj:"Manche Mädchen beginnen eine weiterführende Schule, doch wenn sie jung verheiratet werden, dann gehen sie von der Schule ab. Bei den jungen Männern (Teenagern) ist es oft so, dass sie ihre großen Familien unterstützen und arbeiten müssen. Und dann ist da noch das Problem der Grundschulen, dort ist die Qualität des Unterrichts einfach zu schlecht, die Kinder bekommen dort kein gutes Rüstzeug mit auf den Weg und wenn die Grundlagen wackelig sind, nun, dann hat man nichts, auf das man anschließend aufbauen kann."

Zweite Station: Bosnien-Herzegowina

Von Montenegro reise ich weiter nach Bosnien-Herzegowina, die Fahrt über die engen Passstraßen des Grenzgebirges ist atemberaubend. Die Naturschönheit der wilden Bergschluchten wechselt ab mit Seen, Sumpfgebieten, einer flachen Ebene. Dann erneut Berge, dramatische Felslandschaften, die schließlich ausrollen in sanftgrünes Hügel- und Weideland, dann weite Felder, Kartoffelgegend. Mein Ziel heißt Bijeljina und liegt im Norden Bosnien-Herzegowinas, in der Region "Republika Srpska".

Weit über 100.000 Menschen leben im weiteren Einzugsgebiet der Stadt – darunter 2.000 bis 2.500 Roma, inoffiziellen Schätzungen zufolge. Im Stadtzentrum steht ein großes rotes Herz mit Durchblick, ein beliebter Fotohintergrund. Der weite Promenadenplatz ist eingerahmt von einem modernen Kulturzentrum und einem altösterreichisch-kaiserlich wirkenden Bürgermeisteramt.

In dem sitzt und arbeitet Ljubiša Petrović zwischen unzähligen Kinderzeichnungen. Auf die ist der Bürgermeister sichtlich stolz, denn sie sind ihm geschenkt worden bei seinen Kindergarten- und Schulbesuchen. Einige der Bilder wurden von Roma-Kindern gemalt, andere von Nicht-Roma-Kindern - und klar, die im Bild festgehaltenen Wunsch- und Glückslandschaften, mit glücklichen Eltern, glücklichen Geschwistern, Haus, Baum, Garten, Blumen, Obst und Gemüse gleichen sich wie ein Ei dem anderen, ganz gleich ob Rom oder nicht Rom.

Ljubiša Petrović ist stolz auf seine Auszeichnung
Ljubiša Petrović ist stolz auf seine Auszeichnungeuronews

Stolz ist Petrović auch auf die in Brüssel erhaltene Auszeichnung als Roma-freundlichster Bürgermeister ganz Bosnien-Herzegowinas, die Urkunde steht an prominenter Stelle mitten im Regal seines Arbeitszimmers. Also, was tut die Stadt konkret dafür, damit das Miteinander besser klappt? Bijeljina baut Sozialwohnungen – auch für Roma. Die Stadt baut ein Heim für ausgebeutete Kinder – auch für Roma. Und sie unterstützt im Sommer ein auch bei Nicht-Roma-Bürgern beliebtes Roma-Festival.

Soeben hat Bürgermeister Ljubiša Petrović seinen Roma-Aktionsplan für den Zeitraum 2024 bis 2027 vorgelegt. Es ist dies bereits die zweite mehrjährige "Roma-Strategie" der Stadtverwaltung. Auch dies war ein Grund für die Europäische Kommission, Petrović auf die Gewinnerliste zu setzen. Denn für eine erfolgreiche Roma-Politik braucht es einen langen Atem, mittel- und langfristige Perspektiven, Beständigkeit, Ausdauer und jede Menge Geduld.

Euronews-Reporter Hans von der Brelie:"Was ist für Sie das Wichtigste in dieser Roma-Strategie?"

Bürgermeister Ljubiša Petrović:"Eine der Vorbedingungen für eine bessere Eingliederung der nationalen Roma-Minderheit ist Erziehung, Erziehung und noch einmal Erziehung. Ich wiederhole das immer wieder, weil jemand mit guter Bildung und Ausbildung ganz einfach bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Das gilt auch für ganz praktische und handwerkliche Fähigkeiten. Wer in diesem Bereich Qualifikationen nachweisen kann, der ist auf dem Jobmarkt wettbewerbsfähig. Die Unternehmen wollen solche Leute."

Euronews:"Bleiben wir einen Moment beim Arbeitsmarkt. Wie kann die Stadt da Hilfestellung leisten?"

Ljubiša Petrović:"Wir können als Mittler dienen für Firmen des Privatsektors und auch haushaltstechnische Anreize dafür schaffen, dass Menschen der nationalen Roma-Minderheit eingestellt werden. Das wird Resultate bringen und dazu führen, dass mehr Roma in Bijeljina und Bosnien-Herzegowina bleiben."

Euronews:"Was konkret hat sich geändert im Bereich Ausbildung und Schule?"

Ljubiša Petrović:"Bei der Zahl der Einschulungen sieht man, dass Dutzende weitere Roma-Kinder jetzt in das Schulsystem integriert sind und zumindest die Grundschule regelmäßig besuchen, was früher nicht immer der Fall war."

Euronews:"Ich komme jetzt zu meiner Standard-Frage, die ich allen Bürgermeistern auf dieser Reportage-Reise quer durch den Westbalkan stelle: Was kann man von Ihnen lernen? Welchen Ratschlag können sie Ihren Bürgermeisterkollegen anderswo in Europa geben?"

Ljubiša Petrović: "Mein Team und ich stellen uns auf eine gemeinsame Wertegrundlage mit der nationalen Minderheit der Roma. Das heisst konkret, dass wir Freude und Leid teilen. Bei wichtigen Anlässen, auch privater Natur, lachen und feiern wir gemeinsam, da reicht manchmal schon ein Kindergeburtstag. Das gilt auch für traurige Anlässe, wenn jemand verstirbt und zu Grabe getragen wird. Wir geben uns einfach so, wie wir sind. Es muss für alle klar werden, dass diese Menschen in der Stadtverwaltung, genauso wie die Menschen der Roma-Gemeinde, ganz normale Menschen aus Fleisch und Blut sind, Menschen wie Du und ich.

Wir sind alle gleich, und wenn das bei jedem angekommen ist, dann teilt man auf gleicher Ebene ein Kinderlächeln, Freude und auch menschliches Leid.
Ljubiša Petrović

Diese gemeinsamen Werte sind die Prinzipien des Humanismus, der Gleichberechtigung und der Solidarität, in dem Sinne, dass wir füreinander einstehen, helfen und uns schützen."

Euronews:"Sie haben ja einen beruflichen Hintergrund als Mediziner, spielt das eine Rolle bei Ihrer Arbeit als Bürgermeister, der sich für Roma engagiert?"

Ljubiša Petrović:"Als Mediziner und Bürgermeister muss ich sagen, dass jedem einzelnen Mitglied der Roma-Gemeinde Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, jedes Mitglied der nationalen Roma-Minderheit hat gleiche Rechte wie jeder andere Bürger von Bijeljina auch, ganz egal ob es um Sozialhilfe geht oder um Gesundheitsversorgung."

Euronews:"Sie wirken geradezu begeistert. Was gibt Ihnen das persönlich, nicht als Bürgermeister, sondern als Mensch?"

Ljubiša Petrović:"Es gibt in der Welt nichts schöneres als lächelnde Kinder."

Betreuung von Rom-Kindern

Die lächelnden Kinder finde ich dann etwas später in der Kindertagesstätte des Otaharin-Vereins, allerdings nur fünf. Was vermutlich daran liegt, dass gerade Schulferien sind. Oder das Wetter ist einfach zu sommerlich für Basteln und Malen. Üblicherweise kommen täglich etwa 20 Kinder zu den Freizeit-Workshops.

Draußen am Kanal angeln zwei Jungs, zwischen den Häusern kicken andere Kinder einen Ball hin und her. Im angenehm temperierten Vereinslokal füllen Valentina, Manuela, Gabrijela und Mersudin Zahlenbilder aus. Wer fertig ist, darf den Tisch wechseln und mit knalligen Farben Eierkartons bemalen, aus denen die Kinder anschließend schmucke Deko-Leinen fabrizieren, die sie quer durchs Zimmer hängen. 

Der Roma-Verein Otaharin (der Name bedeutet so viel wie Morgendämmerung oder Morgenröte) bietet bereits seit mehreren Jahren eine ganzjährige Betreuung für Roma-Kinder an, freiwillig, versteht sich. Während der Schulzeit gibt es Hausaufgabenhilfe, in den Ferien Bastelkurse. Gerne würde die Koordinatorin auch Musikkurse anbieten, in der Vergangenheit gab es das bereits einmal, doch dafür fehlt es derzeit an freiwilligen Helfern.

Machen wir erst einmal eine Vorstellungsrunde.

Valentina:"Wenn ich groß bin, möchte ich Friseurin werden."

Manuela:"Ich bin zwölf Jahre alt und wenn ich erwachsen bin, möchte ich ebenfalls Friseurin werden."

Gabrijela:"Ich heiße Gabrijela Ramić, ich bin 8 Jahre alt – und wenn ich groß bin, möchte ich einmal Lehrerin werden."

Mersudin:"Ich bin Mersudin Ramić. Ich bin 8 Jahre alt. Ich möchte Lehrer werden – und zwar Mathematiklehrer."

Valentina, Manuela, Gabrijela und Mersudin (von li.)  erzählen von ihren Zukunftsplänen
Valentina, Manuela, Gabrijela und Mersudin (von li.) erzählen von ihren Zukunftspläneneuronews

Der Verein Otaharin hilft nicht nur bei kleinen oder großen Schulproblemen, sondern bietet auch psychologische Betreuung. Und: Es gibt jeden Tag etwas zu essen! Otaharin ist nicht nur für die Kinder da. Auf der anderen Seite des Gebäudes können Erwachsene die Waschmaschine benutzen oder die Dusche. Es gibt konkrete Hilfe und Beratung in unterschiedlichsten Lebenslagen. Das Tageszentrum beschäftigt mehrere Angestellte, eine davon ist Sanita Smajić, seit zwei Jahren ist sie festes Mitglied im Team, doch schon zuvor engagierte sie sich als Freiwillige.

"Das Tages-Zentrum gibt es seit 2014", informiert Smajić, "der Verein startete schon früher, im Jahr 2005." Die Zahl der Roma-Kinder in der Stadt schätzt sie auf "über 500", davon seien "etwa 150" ins Grundschul-System integriert. "In der Stadt gibt es sieben Roma-Gruppen", berichtet die junge Frau, insgesamt handele es sich um die größte Roma-Gemeinde in der Republika Srpska.

Smajić wuchs zweisprachig auf, mit Romani und Serbisch. Deshalb kann sie bei der Hausaufgabenhilfe und auch sonst im Leben der Kinder viel erklären. Allerdings haben nicht alle Kinder der Roma-Gemeinde dieses Glück der Zweisprachigkeit. Viele Roma-Kinder sprechen bei der Einschulung kaum Serbisch, berichtet Smajić. Die Roma-Koordinatorin und Pädagogin fordert deshalb massive Sprachförderung so früh und so lange wie möglich.

Sanita Smajić:"Mein Vorschlag ist, dass an Grundschulen unbedingt Romani sprechende Hilfslehrer als Assistenten angestellt werden sollten. Denn in der ersten und zweiten Klasse verstehen die Roma-Kinder die Unterrichtssprache Serbisch nicht."

Euronews:"Was motiviert Sie, hier zu arbeiten?"

Sanita Smajić:"Ich habe schon immer davon geträumt, Lehrer zu werden. Ich unterrichte gerne kleine Kinder. Und es macht mir Spaß, bei Sprachproblemen Brücken zu bauen. Schon als kleines Mädchen habe ich mir das als Berufsziel vorgenommen. Das ist mein Lebenstraum."

Sanita Smajić wollte schon immer Lehrerin werden
Sanita Smajić wollte schon immer Lehrerin werdeneuronews

Euronews:"Warum schaffen so wenige Kinder den Sprung von der Grundschule auf eine weiterführende Schule? Wie erklären Sie sich das?"

Sanita Smajić:"Das hängt teilweise mit einer Art positiven Diskriminierung in der Grundschule zusammen. Viele Kinder bekommen die notwendigen Noten zur Versetzung von einem Grundschuljahr zum anderen einfach so. Wenn sie dann die sechste Klasse erreichen, stellt sich heraus, dass sie fast kein Grundwissen haben. Und dann sind sie eben draußen aus dem Schulsystem."

Langfristige Arbeit ist für Roma schwer zu finden

Am Stadtrand von Bijeljina liegt AGROPLAN, eine kleine landwirtschaftliche Kooperative, in deren Gewächshäusern Erdbeeren wachsen, Paprika und Tomaten. Vesida Beganović hat einen Festvertrag auf dem Gemüsehof. Auch dies ist keine Selbstverständlichkeit. Aus Sicht mancher Roma-Familien in den Westbalkanstaaten ist es einfacher, Jobs als Tagelöhner anzunehmen. Vesida bestätigt das, auch wenn sie sich persönlich anders entschieden hat. Sie ist eine Rom, hat aber einen differenziert-kritischen Blick auf einige Mitglieder der Roma-Community. Langfristrige Arbeitsverhältnisse seien für manche Roma nicht nur schwierig zu finden, sondern auch schwierig zu akzeptieren, meint Vesida. "Es müssten feste Arbeitszeiten eingehalten werden", sagt sie - und manchen Roma fehle es auch an der nötigen Arbeitsmoral. "Die geben sich nicht immer soviel Mühe, wie notwendig wäre", so Vesida.

Vesida Beganović arbeitet gern auf einem Gemüse-Hof
Vesida Beganović arbeitet gern auf einem Gemüse-Hofeuronews

Realität oder Vorurteil? Nun, es kommt immer auf den Einzelfall an. Fakt ist, dass Roma in den Westbalkanstaaten gerne als Saisonarbeiter und Erntehelfer genommen werden – und von den Bauern und Betrieben nicht immer offiziell bei den Steuerbehörden gemeldet werden, wie mir mehrere Quellen berichten. Im Klartext: Schwarzarbeit war, ist und bleibt ein Problem.

Nicht bei AGROPLAN, versteht sich, hier ist alles ganz offiziell und seriös organisiert. Die Österreichische Entwicklungshilfe, der Roma-Verein Otaharin und die Stadt Bijeljina unterstützen das AGROPLAN Gemüse-Projekt, das vorallem Frauen hilft. "Ich bin sehr zufrieden mit meinem Job", meint Vesida Beganović. "Und ich kann mich glücklich schätzen, denn ich weiß, wie schwierig es ist, sich ohne Job im Leben durchschlagen zu müssen, als Mensch. Es gibt nun mal Grundbedürfnisse – und Rechnungen, die bezahlt werden müssen."

Grundbedürfnisse wie beispielsweise ein festes Dach über dem Kopf zu haben, sich waschen und kochen zu können. Für die ärmsten der Armen hat die Stadt gleich neben dem Gemüsehof Sozialwohnungen errichtet, hübsche Mehrfamilienhäuser. Auch Vesida bekam hier eine kleine Wohnung zugeteilt. Finanziert wird das kostspielige Projekt aus internationalen Spendengeldern, beispielsweise der Schweizer Caritas, und Zuschüssen aus dem Haushalt der Gemeinde und dem bosnischen Staatsbudget.

"Wir sind hier seit März", erzählt bereitwillig einer der Männer, der im Schatten auf die Abendkühle wartet. Denis Beganović heisst er und spricht etwas Deutsch. Manchmal pendelt er nach Deutschland, verdient dort Geld auf Baustellen, unlängst war er im Nordosten der Bundesrepublik malochen. Denis meint, dass sich die Zeiten langsam ändern – und zwar zum besseren. "Die Behörden behandeln uns gut, wir haben einen Platz zum Schlafen. Früher hatten die Menschen nichts zum Essen. Heute gibt es etwas Geld (Sozialhilfe) vom bosnischen Staat, so dass man sich ernähren kann." Für kinderreiche Familien sollten die bosnischen Sozialhilfesätze allerdings aufgestockt werden, meint er. "In manchen Familien reicht die Sozialhilfe 15 oder 20 Tage, für den Rest des Monats müssen die sich dann Geld leihen, um Essen auf den Tisch zu bringen, dann sind sie verschuldet – und dann fehlt es im kommenden Monat erneut an Geld."

Das ist einer der Gründe, warum Denis gelegentlich nach Deutschland zum Arbeiten fährt. Einen Teil des dort erwirtschafteten Einkommens stellt er dem Rest seiner Familie zur Verfügung, damit sich alle einigermaßen über Wasser halten können.

Seine Mutter, Rajfa Beganović, hat aufmerksam zugehört. Sie will auch etwas sagen: "Pro Monat bekommen wir 750 KM (umgerechnet etwa 380 Euro), davon muss ich die Strom- und Wasserrechnungen bezahlen und zwei meiner Kinder gehen noch zur Schule. Insgesamt sind wir zu fünft in der Wohnung, wenn mein Sohn Denis aus Deutschland zurückkommt, sind wir zu sechst. Es ist eine 2-Zimmer-Wohnung, ein kleines Schlafzimmer, ein Wohnzimmer. Das reicht nicht. Wir benötigen mehr Platz. Sicher, es ist besser als nichts und ich bin dankbar, dass wir endlich eine Bleibe mit fließend Wasser und Stromanschluss haben in dieser Sozialwohnung. Davor bin ich so oft umgezogen, habe an derart vielen Orten ohne Wasseranschluss gelebt… Deshalb möchte ich mich für die Wohnung bedanken, dafür, dass wir nicht weiter auf der Straße leben müssen. Aber der Raum reicht nicht (für sechs Personen)."

Dragan Joković schaut vorbei, er ist einer der Gründer und Direktor des Roma-Hilfsvereins Otaharin. Die 24 Sozialwohnungen in den drei Häuserblocks bezeichnet er als "ersten Schritt" hin zu gesellschaftlicher Integration der Roma in Bijeljina, "doch wir sind immer noch meilenweit entfernt von unserem Ziel."

Euronews:"Warum?"

Dragan Joković:"Wir wollen, dass sich das Programm weiterentwickelt, insbesondere Familien benötigen mehr Hilfe zur Selbsthilfe, bis hin zu einem Punkt, von dem ab sich die Gemeinschaft nachhaltig über Wasser halten kann, als gute, mitverantwortliche Bürger."

Euronews:"Was ist denn das Problem?"

Dragan Joković:"Was die Wohnungsprogramme betrifft, so sind die (vom Ministerium definierten) Vergabekriterien zu eng gefasst, nur die Allerärmsten ohne jegliche Perspektive bekommen eine Sozialwohnung. Dadurch gibt es aber ein Problem für jüngere Paare, tatkräftige Menschen mit konkreten Lebenszielen – die haben keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Es wäre nötig, eine bessere Ausgewogenheit innerhalb der Sozialwohnungsviertel zu erzielen, dass also auch junge Familien hier einziehen könnten. Die müssten dann nicht nach Deutschland auswandern, sondern blieben hier vor Ort und würden zur Entwicklung der Region hier bei uns was beitragen."

Joković sieht die Gefahr, dass sich soziale Brennpunkte bilden, wenn man systematisch nur den Allerbedürftigsten Wohnraum zuteile. "Etliche dieser Menschen bräuchten eigentlich betreutes Wohnen." Anderswo im Stadtgebiet ging die Entwicklung bereits in die falsche Richtung, oft reichen ein, zwei "Problemfamilien", um eine Straße "umkippen" zu lassen. Kinderarbeit, betteln statt Schulbesuch, Kriminalität, Gewalt, Polizei-Einsätze, Entzug des Sorgerechts… auch Bijeljina kennt die Schattenseiten sozialer Verwahrlosung, trotz aller Bemühungen der städtischen Behörden.

Euronews:"Ist es einfach oder schwierig für Roma, hier einen Arbeitsplatz zu finden?"

Dragan Joković:"Es ist sehr schwierig für Mitglieder von Roma-Gemeinden. Nicht nur hier in Bijeljina, sondern überall in der Region. Der Grund hierfür sind die zahlreichen Vorurteile gegenüber Roma. Antitsiganismus ist eine Realität hier. Kinder erleben das schon in der Schule und das begleitet sie dann ihr ganzes Leben, diese Erfahrung. Und dieses Denken in Stereotypen ist zweischneidig. Es erschwert den Einstieg in den Arbeitsmarkt, weil die Arbeitgeber oft Vorurteile haben. Andererseits misstrauen aber auch die Roma dem ganzen System, eben weil ihnen oft nur mit Ablehnung begegnet wird. Wir versuchen, auf beiden Seiten etwas dagegen zu tun, indem wir direkt mit Unternehmern reden, aber auch mit den Roma. Ziel ist es, ein tolerantes Umfeld zu schaffen, so dass die Menschen wieder einander vertrauen."

Euronews:"Ist das denn heute nicht der Fall?"

Dragan Joković:"Nein, bis jetzt ist das nicht der Fall."

Euronews:"Warum ist denn das so schwierig?"

Dragan Joković:"Der Einstieg in ein reguläres Arbeitsverhältnis ist nicht einfach. Stereotypen und Diskriminierung gibt es seit über 600 Jahren."

Euronews:"Und was ist der Ausweg?"

Dragan Joković:"Wir versuchen, die Roma-Gemeinde wirtschaftlich zu stärken. Das fängt an mit Schulabschluss und Ausbildung. Wir ermöglichen ihnen, den Führerschein zu machen. Wir versuchen alles, um Roma auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu machen."

Einen Großteil seiner Zeit verbringt der Otaharin-Direktor damit, Hilfsprojekte zu entwickeln – und Geld dafür aufzutreiben. Derzeit bereitet er für die Internationale Arbeitsorganisation ILO ein 16-monatiges Ausbildungsprojekt vor, mit dem unqualifizierte Roma-Arbeiter in Lohn gebracht werden sollen. Die Idee: Ein halbes Jahr lang zahlt die ILO Unternehmen 90 Prozent des Gehalts der Roma-Arbeiter, im Gegenzug verpflichtet sich die Firma vertraglich dazu, die Roma nach Ablauf dieser Zeit zu übernehmen.

Joković erkennt die Bemühungen der Stadt zwar an, ärgert sich aber doch gelegentlich, dass sein Verein quasi stellvertretend Aufgaben übernimmt, die eigentlich im Verantwortungsbereich der öffentlichen Hand liegen sollten. Das hängt mit allgemeinen Finanzproblemen zusammen: "Das Budget Bosnien-Herzegowinas für Roma-Inklusion befindet sich seit Jahren im freien Fall", kritisiert Joković.

Dritte Station: Serbien

Weiter geht es von Bosnien-Herzegowina über die Grenze nach Serbien. Letzte Station meiner Reportagereise ist das Kurbad Vrnjačka Banja. Die Stadt im Zentrum Serbiens lebt recht gut vom Tourismus und gibt sich weltoffen. Rund 400 Roma wohnen hier.

Trinkwasser, Strom, Baumaterial, Berufsausbildung, Beschulung – in den vergangenen acht Jahren floß eine Million Euro internationaler Hilfe in Roma-Projekte, ergänzt durch knapp 200.000 Euro Eigenbeteiligung der Stadt. Europäische Union, Europarat, Unterorganisationen der Vereinten Nationen… die Liste der Geber ist lang. Schauen wir uns doch einmal konkret an, was mit Geld und gutem Willen in den vergangenen Jahren geleistet wurde.

2016: Vrnjačka Banja schafft die Stelle eines Roma-Koordinators in der Stadtverwaltung

2017: Städtebauliche Verbesserungen in einem Roma-Viertel

2018: Die Stadt eröffnet ein “Büro für Roma-Angelegenheiten” und organisiert zusammen mit dem Europarat eine institutionelle Mitbestimmung und Konsultationsprozesse der Roma im Gemeinderat

2019: In einem von Roma bewohnten Dorf wird eine Hilfskraft eingestellt, die Roma-Kindern beim Lernen hilft

2020: Mit EU-Geld wird ein Ausbildungs- und Trainingsprogramm auf die Beine gestellt, mit dem 25 Roma ein sechsmonatiges Praktikum in Betrieben absolvieren können, Ziel ist die Übernahme in metallverarbeitenden Firmen

2021: Der Europarat finanziert Baumaterial für vier Roma-Familien, zehn Roma erhalten die Möglichkeit, sich eine selbstständige Existenz aufzubauen (Erwerb von Arbeitsinstrumenten)

2022: UNO und EU finanzieren den Bau von Sozialwohnungen für 13 Familien, es gibt Schulgeld; Erwachsene bekommen Zuschüsse für den Kauf von Instrumenten, Werkzeugen, Materialien; einige Roma werden in Handwerksberufen ausgebildet (Fliesenleger, Frisör…)

2023: Die deutsche Entwicklungshilfe (DGIZ) finanziert zusammen mit der Stadt für 24 Roma Praktika in holz- und metallverarbeitenden Betrieben.

Ich habe mich mit Bürgermeister Boban Đurović für ein kurzes Interview verabredet. Auch er ist einer der von der Europäischen Kommission geehrten Mandatsträger und kann sich nun mit dem Ehrentitel "Romafreundlichster Bürgermeister Serbiens" schmücken.

Euronews:"Was können Bürgermeisterkollegen anderswo in Europa von Ihnen lernen?"

Boban Đurović:"Zunächst einmal sollte man die Roma-Bevölkerung als völlig gleichberechtigen Teil der Stadtgemeinde betrachten. Man sollte die Institutionen öffnen, so dass Roma ihre Interessen einbringen können, so wie wir das hier in der Stadt mit der Einrichtung eines Roma-Büros getan haben. Und man braucht einen Roma-Koordinator, der alle Roma betreffenden Dossiers kennt und Lösungen vorschlägt."

Für Bürgermeister Boban Đurović ist das Wohnen das größte Problem
Für Bürgermeister Boban Đurović ist das Wohnen das größte Problemeuronews

Euronews:"Was ist, aus Ihrer Perspektive, das größte Problem?"

Boban Đurović:"Das größte Problem ist das Wohnen. Wir haben hier eine Strategie erarbeitet, damit sich die Lebensqualität aller Bürger verbessert."

Euronews:"Und was heißt das konkret?"

Boban Đurović:"Für solche Familien, die in allerschlimmsten Wohnverhältnissen hausen mussten, haben wir Sozialwohnungen gebaut und ihnen den Umzug ermöglicht."

Euronews:"Was kann die Stadt tun, um Roma den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ebnen?"

Boban Đurović:"Wir kontaktieren Staatsbetriebe und Institutionen der öffentlichen Hand und bitten darum, bei Einstellungen Roma einen Startvorteil einzuräumen, falls die notwendigen Eingangsqualifikationen erfüllt sind. Im Privatsektor bemühen wir uns ebenfalls, Türen zu öffnen. Unser Roma-Büro leitet Bewerbungsschreiben von Roma an Betriebe weiter, die möglicherweise interessiert sein könnten. Aber auch hier ist natürlich die Voraussetzung, dass das Anforderungsprofil passt. Doch am allerwichtigsten scheint mir, soweit ich das beobachtet habe, die Unterstützung für eigene unternehmerische Initiativen zu sein, indem wir beispielsweise Roma den Kauf von Werkzeugen und Handwerksutensilien finanzieren."

Seit 2016 gibt es in Vrnjačka Banja einen Roma-Beauftragten. Ich fahre mit Dejan Pavlović nach Gračac, mit 250 Menschen die größte Roma-Siedlung im Gemeindegebiet von Vrnjačka Banja. Das kleine Dorf liegt etwa neun Kilometer außerhalb der Stadtgrenze. Am Eingang der Siedlung begrüßt uns ein imposantes, ochsenblutrot gestrichenes Haus mit Vorgarten. Hier wohnt Živoslav Vujičić mit seiner Frau.

Vujičić hat lange Jahre in Deutschland gearbeitet, in Düsseldorf. Nach der Rückkehr nach Serbien baute er sich ein schmuckes Haus mit schicker Innen-Deko. Als Dorfsprecher betont er den guten Draht zum Bürgermeister.

Živoslav Vujičić:"(Der Bürgermeister) gibt jedem eine Antwort. Nicht nur auf Facebook, Viber oder Messenger. Die Leute können auch direkt zu ihm nach Hause gehen und um Hilfe bitten. Und er gibt Antworten. Der ist halt so ein (zugänglicher) Typ."

Roma-Beauftragter Živoslav Vujičić
Roma-Beauftragter Živoslav Vujičićeuronews

Euronews:"Also keine Probleme in Gračac?"

Živoslav Vujičić: "Probleme gibt es genug, überall. Doch was wir wirklich brauchen, ist der Anschluss an das Kanalsystem. Doch das Problem betrifft nicht nur unser Dorf, es betrifft auch andere Gemeindegebiete."

Euronews:"Wie sieht es aus mit Schule?"

Živoslav Vujičić:"Hier im Dorf gibt es 55 Kinder. Es gibt eine Schule – und die Kinder besuchen sie. Probleme gibt es in diesem Zusammenhang keine. Es gibt Workshops und Hausaufgabenhilfe, das war eines dieser offiziellen Programme, und es wurde ein hochqualifizierter Assistent eingestellt, der speziell den Roma-Kindern hilft."

Euronews:"Ist es einfach, Arbeit zu finden?"

Živoslav Vujičić:"Die meisten unserer Leute sind bedürftig, weil sie keinen festen Arbeitsplatz haben. Die meisten verdienen sich Geld als Saisonarbeiter und Erntehelfer, da kann man am einfachsten etwas verdienen, beim Himbeerpflücken beispielsweise. Das Arbeitsamt bietet auch Ausbildungsprogramme an, doch die meisten (der Roma hier im Dorf) bevorzugen schnelles Geld, also Aushilfstätigkeiten und Saisonarbeit."

Das hängt auch damit zusammen, dass viele Roma hoch verschuldet sind, erklärt mir Vujičić. Würden sie einen festen – also "offiziellen" – Arbeitsplatzvertrag unterschreiben, würde ihnen ihr Gehalt automatisch am Monatsende überwiesen – "und von der Bank dann gleich wieder gepfändet, um die Schuldner zu bedienen." Was die Vorliebe für inoffizielle Arrangements und Barzahlung auf die Hand erklärt.

Ich gehe durch die Siedlung. Gleich neben dem prächtigen Haus des Dorfsprechers steht ein heruntergekommener Bau, umgeben von Sperrmüll und großen Säcken voller Plastikflaschen. Hier wohnen zwei Brüder, ihre Sozialhilfe bessern sie mit Flaschensammeln auf.

Vladica Simić hat Zucker, sein Bruder sei herzkrank, sagt er. Auch Simić spricht recht gut Deutsch, so wie viele der Roma in den Westbalkanstaaten. Die Sozialhilfe reiche kaum zum Leben, sagt er.

Da es im Haus keine Toilette gibt, müssen er und sein Bruder ihre Notdurft im Schuppen verrichten. Er zeigt mir die Stelle hinter einer Plastikplane. Ein Eimer steht dort, Papier liegt herum.

Die Stadt hat Baumaterial zur Renovierung geliefert. Simić zeigt auf einen Stapel Zementsäcke und ordentlich geschichtete Backsteinblöcke. Doch weder er noch sein Bruder können die Bauarbeiten selber in die Hand nehmen, aus gesundheitlichen Gründen.

Wer bezahlt nun die Arbeiter? "Der Plan war, ein Badezimmer einzubauen und uns (ordnungsgemäß) ans Stromnetz anzuschließen", sagt Simić. "Wir haben das Baumaterial, aber warten immer noch auf die Arbeiter."

Ich streife auf kleinen Wegen in der Siedlung umher. Kinder baden in Planschbecken. Trotz sommerlicher Gluthitze entfacht ein Mann in einem Vorgarten ein Grillfeuer. Zwei Männer sitzen im Schatten auf einer Bank vor einem Haus und diskutieren. Ein paar starke Muskel-Männer transportieren große Elektrogeräte. Ein Lieferwagen fährt im Schritttempo durch das Dorf. Jugendliche schauen neugierig. Ein Hahn kräht.

Viele Häuser im Dorf der kleinen Romasiedlung wirken recht hübsch und gepflegt. Aber nicht alle. Roma-Beauftragter Dejan Pavlović zeigt mir eine Ruine ohne Fensterscheiben. Hier lebte eine Großfamilie. Durch das Dach kam Regen. Vor einem Jahr fanden Sozialdienst und Stadt endlich eine Lösung.

Dejan Pavlović: "In diesem Haus lebten sechs Menschen. Sie konnten in ein neues Gebäude umziehen, das dank eines Sozialwohnungsprogramms der Stadt Vrnjačka Banja errichtet wurde, fast im Stadtzentrum."

Ich werde neugierig und frage, ob ich mir die neuen Wohnungen einmal ansehen kann. Klar, meint Pavlović. Ein kurzer Anruf, dann die Bestätigung mit Einladung: "Komm, schauen wir mal nach, was aus der Familie geworden ist!"

Dejan Pavlović führt den Reporter durch die Siedlung
Dejan Pavlović führt den Reporter durch die Siedlungeuronews

Nach einer kurzen Autofahrt stehe ich in einer anderen Welt. Blendend weiße Mehrfamilienhäuser schmücken eine ruhige Wohngegend, vor dem Eingang ein knallig bunter Spielplatz mit Schaukel, Rutsche und Klettergerüst. Ein Mädchen schaukelt in der leichten Sommerbrise.

Mit dem Umzug aus der Ruine in die neue Wohnung begann für die siebenjährige Melissa und ihre Familie ein neues Leben. Melissas Vater ist Schneider, doch da er in seinem erlernten Beruf keine Arbeit findet, verdient er meist Geld auf Baustellen. Um die Familie wirtschaftlich zu stabilisieren, organisierte die Stadtverwaltung für zwei der Söhne eine Ausbildung zum Fliesenleger und Friseur. Insbesondere der Fliesenleger ist richtig gut mit Aufträgen eingedeckt, hier ist eine positive Entwicklung ins Rollen gekommen.

Mutter Sonja kann aufatmen.

Sonja Ibić freut sich über das neue Haus
Sonja Ibić freut sich über das neue Hauseuronews

Sonja Ibić: "Wir haben jetzt genug Platz zum Schlafen. Wir sind nicht mehr zusammengepfercht wie Sardinen in der Dose."

Ihre Teenager-Tochter Kristina hat bereits ein Baby, den kleinen Gabriel. Schulabbruch und frühe Schwangerschaften sind auch in Vrnjačka Banja ein Problem.

Ich frage Kristina nach ihrem Berufsziel. "Vielleicht Friseuse", meint sie etwas zögerlich. "Ich habe nur ein Kind und ich bin 17 Jahre alt. - Hier in der neuen Wohnung haben wir eine Küche und ein Badezimmer. Wir können uns baden! Früher mussten wir das im Freien tun. Hier ist es super!"

Teenager-Tochter Kristina weiß noch nicht genau, was sie beruflich machen will
Teenager-Tochter Kristina weiß noch nicht genau, was sie beruflich machen willeuronews

Für echten Wandel braucht es politischen Willen, Geld, Geduld – und Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten: Bürgermeister, Lokalpolitiker, städtische Verwaltung, Gesundheits- und Jugendämter, Schulbehörden, Sozialdienste und Roma müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit sich etwas ändert. Und manchmal klappt es ja sogar.

Weitere Quellen • Reporter & MoJo-Kamera: Hans von der Brelie; Fixer & Übersetzer: Asim Bešlija; Videoschnitt & Farben: Stéphane Petit; Tonmischung: Nathalie Vanel; Produktion: Alice Vignon; Grafiken: Mathieu Carbonell; Produktionsleitung: Jeremy Wilks

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