50 Prozent Sozialabgaben - so lautet die Prognose von Wirtschaftsweise Martin Werding. Müssen Arbeitnehmer bald auf die Hälfte ihres Bruttolohns verzichten?
Rund 42 Prozent des Einkommens geben Arbeitnehmer derzeit für Sozialabgaben ab. Laut Wirtschaftsweise Martin Werding könnten sie in Zukunft auf 50 Prozent des Bruttoeinkommens steigen. Bleibt dann nur noch etwa die Hälfte vom Bruttolohn?
Im Gespräch mit der Rheinischen Post bezeichnete Werding die Entwicklung als "atemberaubend". Weiter sagte er: "Die Frage ist nicht, ob die Beitragssätze irgendwann 50 Prozent erreichen, sondern wann das geschieht".
Darunter fällt nicht nur die Sozialversicherung, sondern auch Beiträge für Krankenkasse, Rentenversicherung und manchmal zur Arbeitslosenversicherung oder Pflegeversicherung. Weil die Prozentsätze der einzelnen Abgaben auch jeweils mehr steigen, kumuliert sich ein Aufwärtstrend.
Immer höhere Sozialabgaben: Krankenkassen erhöhen Beitragssatz
Krankenkassen haben ihre Beiträge zuletzt auf durchschnittlich etwa 17,5 Prozent erhöht. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung lag der Beitragssatz zuletzt 10 Jahre lang konstant bei 14,6 Prozent, gibt das Statistische Bundesamt an. Im Jahr 2025 wurde der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz jedoch um 0,8 Prozentpunkte angehoben - so viel wie noch nie.
Die höheren Zusatzbeiträge seien laut Krankenkassen notwendig, um alle Kosten, die nicht aus dem Gesundheitsfonds abgedeckt werden können, auszugleichen. Die Kosten der Krankenkassen übersteigen die Auszahlungen aus dem Gesundheitsfonds seit Jahren. Dies führte letztendlich zur größten Erhöhung, die es bisher gegeben hat.
Bei der Pflegeversicherung werde zum Jahreswechsel ebenfalls mit einer Anhebung zu rechnen sein, so der Wirtschaftsweise. Für die Rentenkasse gilt dieselbe Prognose: 2027 oder spätestens 2028 würden die Beiträge, die lange Zeit bei 18,6 Prozent konstant geblieben sind, sprunghaft auf annähernd 20 Prozent steigen.
Insgesamt sei laut Werding noch im laufenden Jahr mit Sozialabgaben von 43 Prozent zu rechnen, sowie im kommenden Jahr mit einer erneuten Beitragserhöhung.
Sozialsystem unter Reformdruck
Der Experte aus dem Sachverständigenrat Wirtschaft mahnt Reformen an. Das aktuelle System ist nicht für die tatsächliche Alterung der Gesellschaft vorbereitet.
Einerseits wird darüber diskutiert, ob Beamte ebenso in die Sozialversicherungen einbezogen werden, andererseits mahnt Werding, dass dies bei weitem nicht ausreichen würde. "Teilweise reißt es einfach Löcher an anderer Stelle auf - etwa in den Haushalten der Länder, die die Mehrzahl der Beamten beschäftigen", so Werding.
Deshalb würde es Diskussionen über Ausgabenentwicklung, Zielgenauigkeit bestehender Leistungen sowie aktuelle Pläne brauchen.
Deutschland im OECD-Vergleich weit über dem Durchschnitt
Auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hält Reformen für notwendig. Wichtig wäre für sie unter anderem, länger und flexibler zu arbeiten. Nach zwei Rezessionsjahren sei Wirtschaftswachstum ein entscheidender Faktor.
“Mir scheint wichtig, dass es Konsens sein sollte in der Regierung, dass die Belastung des Faktors Arbeit mit hohen Sozialabgaben hemmend wirkt und wir auch hier wettbewerbsfähiger sein müssen”, sagte Reiche nach einem Treffen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Deutschland müsse seine Hausaufgaben machen und habe es mit Strukturreformen selbst in der Hand, das Bruttoinlandsprodukt in den nächsten Jahren deutlich zu steigern, sagte Reiche.
"Wir müssen an der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten." Damit meint sie geplante Maßnahmen der Bundesregierung, um Anreize für längeres Arbeiten zu setzen sowie Firmen steuerlich zu entlasten. Auch das Thema Frühverrentung sei ein Problem.