Trotz gerichtlichem Verbot fand in Pécs die einzige Pride außerhalb Budapests statt. EU-Politikerinnen wie Terry Reintke sehen darin ein Signal, dass der Kampf um Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn nicht aufgegeben wird.
Trotz eines offiziellen Verbots ist in der südungarischen Stadt Pécs am Wochenende erneut eine Pride-Parade abgehalten worden. Es ist die einzige Stadt außerhalb Budapests, in der eine solche Demonstration stattfindet - in diesem Jahr bereits zum fünften Mal.
Die Veranstaltung begann mit einer Pressekonferenz vor dem Rathaus. Géza Buzás-Hábel, Direktor des veranstaltenden Diverse Youth Network, erklärte, die Pride stehe inzwischen nicht mehr allein für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft, sondern auch für grundlegende demokratische Werte wie das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden und die freie Meinungsäußerung.
Mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments reisten nach Pécs, um ihre Solidarität zu zeigen. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Nicolae Ştefănuţă, sagte, man sei gekommen, "um die Freiheit zu verteidigen".
EU-Abgeordnete zeigen Solidarität mit Ungarns Zivilgesellschaft
Die Co-Vorsitzende der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament, Terry Reintke, betonte bei der Veranstaltung, dass das Versammlungsrecht kein Privileg, sondern ein Grundrecht in der Europäischen Union sei und damit auch für alle ungarischen Staatsbürger gelte. Die Pride in Pécs sei ihrer Ansicht nach ein weiterer Wendepunkt im Kampf für Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, ähnlich wie die Parade in Budapest im Sommer.
Reintke erklärte zudem, die Europäische Kommission müsse nicht nur jene unterstützen, die in Ungarn für demokratische Rechte eintreten, sondern auch konsequent darauf hinwirken, dass EU-Recht im Land durchgesetzt wird.
Bereits am Vormittag hatten sich in Pécs Gegendemonstranten versammelt. Sie trugen Fahnen mit der Aufschrift "Mi Hazánk" (Unser Vaterland) sowie Schilder mit Slogans wie "Wir schützen die Unschuldigen". Nach eigenen Angaben richtete sich ihr Protest "gegen die gewalttätige Gender-Theorie" und sollte dem Schutz von Kindern dienen. Die Kundgebung war von der Polizei in Pécs genehmigt worden.
Bereits zwei Tage vor der Parade hatten Vertreter von Amnesty International versucht, der Polizei eine Petition mit mehr als 25.000 Unterschriften zu überreichen. Darin forderten sie die Behörden auf, die Pécs Pride zu sichern – trotz des zuvor ausgesprochenen Verbots. Dieses Verbot war Mitte September auch vom Obersten Gerichtshof Ungarns bestätigt worden. Die Polizei lehnte die Annahme der Petition und der ausgedruckten Unterschriften jedoch ab.
Der Veranstalter, das Diverse Youth Network, hatte schon nach dem polizeilichen Verbot angekündigt, die Veranstaltung trotzdem stattfinden zu lassen. Diese Entscheidung wurde auch nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs bekräftigt. Die Organisatoren riefen die Teilnehmenden dazu auf, ruhig zu bleiben, stets ihren Ausweis mitzuführen und sich einer Identitätskontrolle nicht zu widersetzen. Sollte es zu Festnahmen kommen, so der Hinweis, sollten Aussagen nur in Anwesenheit eines Anwalts gemacht werden.
Um die Pride in Pécs trotz des gerichtlichen Verbots rechtlich abzusichern, fanden die Organisatoren eine ungewöhnliche Lösung: Eine lokale Initiative meldete offiziell eine Demonstration gegen die Überzüchtung von Rehen und Hirschen an – mit Verweis auf den Weltjagdtag. Die Genehmigung wurde erteilt, und die Demonstration führte den Zug an. Damit galt die Teilnahme für alle, die sich anschlossen, als Teilnahme an einer legalen Veranstaltung. Laut hvg.hu wurde der Marsch von Péter Heindl, einem Geschichtslehrer und Juristen aus Pécs, organisiert.
Bürgermeister Péterffy kritisiert Regierung: "Menschenrechte mit Füßen getreten"
Der Umzug begann am frühen Samstagnachmittag. Auf der Fußgängerzone der Stadt versuchten fünf bis sechs Mitglieder der rechtsextremen Jugendbewegung "Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom" (HVIM), den Zug mit einem Transparent zu blockieren. Die Polizei forderte sie mehrfach auf, den Weg freizugeben. Als sie der Aufforderung nicht nachkamen, drängten rund 20 Polizisten die Gruppe beiseite, sodass der Pride-Zug ungehindert fortgesetzt werden konnte.
Später kam es zu einem weiteren Zwischenfall: Ein Gegendemonstrant schlug mit einer Flasche auf Teilnehmende ein. Die Polizei überwältigte den Angreifer, legte ihm Handschellen an und führte ihn ab.
Der Bürgermeister von Pécs, Attila Péterffy (Opposition), nahm erstmals persönlich an der Pride teil. Er kritisierte die ungarische Regierung dafür, "in Pécs die Menschenrechte mit Füßen zu treten, während sie sich auf den Kinderschutz berufe".
Neben Péterffy sprachen bei der Veranstaltung auch der Dramaturg und Jászai-Mari-Preisträger László Upor, die Aktivistin Lili Kiss und der YouTuber István Kersák.