Die NATO sieht sich zunehmend mit hybriden Angriffen wie Cyberattacken, Desinformation und Drohnenangriffen konfrontiert. CIO Manfred Boudreaux-Dehmer erklärt im Gespräch mit Euronews, das Bündnis bereite sich darauf vor, seine Cyberabwehr auszubauen und die Mitgliedsstaaten besser zu schützen.
Die NATO-Mitglieder, vor allem in Europa, sehen sich zunehmend mit sogenannten hybriden Angriffen konfrontiert. Diese reichen von Cyberattacken über gezielte Desinformationskampagnen bis hin zu Drohnenangriffen.
Der moderne Krieg wird online und aus der Luft geführt, mit kostengünstigen Technologien, die leicht in die Hände der Angreifer gelangen. Ziel solcher Attacken ist es, alltägliche Abläufe zu stören und die Moral der Bevölkerung zu schwächen.
Manfred Boudreaux-Dehmer, der erste Chief Information Officer (CIO) der NATO, geht davon aus, dass solche Angriffe künftig noch häufiger auftreten werden.
In einem Interview mit Euronews im Rahmen des IT Directors Forum 2025 erklärte er, das Bündnis bereite sich darauf vor, die eine Milliarde Bürger seiner 32 Mitgliedsstaaten besser zu schützen. Dabei betonte er die wachsende Bedeutung von Cyber-Resilienz und der Rolle der CIOs innerhalb der NATO-Strukturen.
Euronews: Die NATO-Länder sehen sich zunehmend mit hybriden Angriffen konfrontiert, bei denen Cyberangriffe, Desinformation und Drohneneinsätze kombiniert werden. Wie gut ist das Bündnis auf diese neue Art der hybriden Kriegsführung vorbereitet?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ich denke, wir sind sehr gut vorbereitet und wir tun immer mehr. Sie haben völlig Recht, der Krieg der Zukunft ist kein Krieg auf dem Schlachtfeld mehr, wie wir ihn aus der Vergangenheit kennen. Es wird eine Zunahme von Cyberangriffen geben. Wir verwenden viel Zeit, viel Energie und viel Mühe darauf, uns so gut wie möglich auf diese Form der hybriden Kriegsführung vorzubereiten.
Euronews: Zeigen die jüngsten Drohnenvorfälle, bei denen europäische Flughäfen und der Luftraum gestört wurden, Lücken in den kollektiven Verteidigungsmechanismen der NATO?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ich glaube nicht, dass es sich um Lücken handelt. Ich denke, dass sich die Technologie weiterentwickelt, und jetzt gibt es diese vermehrten Drohnenangriffe, die uns in der gesamten Allianz Sorgen bereiten. Und sie haben enorme Störungen verursacht. So waren viele Flughäfen betroffen, unter anderem in Brüssel oder München. Wir haben sofort Maßnahmen ergriffen. Jetzt konzentrieren wir uns speziell auf die Bedrohung durch Drohnen, die auch auf EU-Ebene diskutiert wurde. Ich denke, dass es von nun an immer eine Aufrüstung der Technologie von der anderen Seite geben wird, und das ist etwas, worüber wir uns im Klaren sein und mit dem wir umgehen müssen, uns ständig vorbereiten und besser werden müssen in dem, was wir zur Verteidigung des Bündnisses tun.
Euronews: Hätten wir proaktiver sein müssen?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ich denke, so etwas ist nicht vorhersehbar. Ich denke, es findet eine Aktion statt, richtig? Wir müssen auf diese Aktion reagieren. Wenn ich mir anschaue, was die Teams in den verschiedenen Ländern und auch die NATO getan haben, bin ich wirklich stolz darauf, wie schnell wir darauf reagiert haben.
Die Spirale der feindlichen Technologie
Euronews: Es scheint, dass die Technologie die Konflikte unberechenbarer macht. Welche Botschaft würden Sie den Europäern mitgeben, die befürchten, dass die digitale Kriegsführung unsere Fähigkeit, uns selbst zu verteidigen, übersteigt?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Ich denke, es gibt immer eine Spirale, die sich nach oben dreht. Neue technische Möglichkeiten entstehen und werden von unseren Gegnern genutzt, aber auch von uns.
Es ist einfach unsere Pflicht, uns so gut wie möglich vorzubereiten, um schneller zu sein, die Technologie klug einzusetzen und auf die Bedrohungen zu reagieren, denen wir gegenüberstehen.
Euronews: Können Sie ein Beispiel für einen Cyberangriff oder einen Angriffsversuch nennen, den die NATO erfolgreich aufgedeckt oder neutralisiert hat?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, kann ich nicht über konkrete Angriffe sprechen, aber wir haben ein sehr, sehr starkes Team zur Abwehr von Bedrohungen, so dass wir einen risikobasierten Ansatz verfolgen, der die sich ständig ändernden Bedrohungen berücksichtigt, und so bereiten wir uns vor.
Wir haben auch ein neues, in die NATO eingebettetes Cyber-Abwehrzentrum, das wir in Belgien aufbauen. Und das ist einer der grundlegenden Bausteine, die wir haben, um sicherzustellen, dass wir zunehmend auf Cyberangriffe und andere Arten von Angriffen vorbereitet sind.
Euronews: Das Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence der NATO meldete eine Zunahme der Cyberangriffe auf die maritime Infrastruktur in Europa und insbesondere im Mittelmeerraum. Wie bemüht sich das Bündnis angesichts der strategischen Rolle Griechenlands in der Region um den Schutz griechischer Einrichtungen?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Griechenland hat Maßnahmen ergriffen, um sich selbst zu schützen, und wir prüfen dies für das gesamte Bündnis, denn Cyberangriffe sind nicht nur geografisch begrenzt. Der Cyberspace ist ein sehr fließender Mechanismus."
Euronews: Müssen Länder wie Griechenland ihre Verteidigungsstrategien anpassen, und wenn ja, in welche Richtung?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Das ist eine Frage, die Griechenland beantworten muss. Generell denken wir im Bündnis mehr und mehr darüber nach, wie wir mit diesen hybriden Bedrohungen umgehen können.
Die Herausforderung der Koordination
Euronews: Ist es einfach, all diese verschiedenen Staaten zu koordinieren, um eine gemeinsame Strategie zu verfolgen?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ob es einfach ist? Ich denke, das ist eine gute Frage, denn es sind 32 Verbündete, die sich zusammenschließen, um die Sicherheit von einer Milliarde Menschen auf dem Planeten zu schützen, die in den verbündeten Ländern leben. Es gibt eine Menge geografischer Unterschiede. Jeder Verbündete hat ein spezifisches Profil in Bezug auf Geografie, Bedürfnisse und andere Dinge. Ich würde sagen, dass es einfacher ist, die verschiedenen Ansätze zwischen den Nationen zu harmonisieren, weil wir ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die Sicherheit des Bündnisses zu gewährleisten.
Die Bedeutung des Privatsektors
Euronews: Wir sehen, dass die Verteidigung, insbesondere die Cyberverteidigung, auch zu einer wirtschaftlichen Säule wird. Wie arbeiten Sie mit dem privaten Sektor zusammen, um das Ziel der Stärkung unserer Verteidigung zu erreichen?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Das ist eine ausgezeichnete Frage. Cybersicherheit und Cyberverteidigung ist ein Mannschaftssport. Es ist also immer erforderlich, dass sich alle daran beteiligen. Die Regierungen spielen eine große Rolle, die NATO spielt eine Rolle, die Wissenschaft , aber auch die Privatwirtschaft. Und man muss bedenken, dass viele der von uns genutzten Technologien von Unternehmen der Privatwirtschaft entwickelt wurden. Das erleichtert automatisch die notwendige Interaktion, es gibt aber auch viel Fachwissen im privaten Sektor, das für die Cybersicherheit und die Cyberverteidigung und unsere Sicherheit unerlässlich ist."
Euronews: Kommt diese Technologie hauptsächlich aus Europa oder aus dem außereuropäischen Ausland? Sind Sie auch in Griechenland tätig?
Manfred Boudreaux-Dehmer: Ich kann nicht für bestimmte Unternehmen sprechen, aber es gibt eine Verteilung zwischen den beiden Kontinenten. Es gibt natürlich große amerikanische Technologieunternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, das sind die großen Namen. Aber es gibt auch viele europäische Unternehmen, die aufgrund der gestiegenen Verteidigungsausgaben einen Aufschwung erlebt haben. Wir sehen, dass eine Menge Geld in den Verteidigungssektor fließt, was ein großartiges Ergebnis ist, und dass eine Menge Geld in den privaten Sektor fließt, um viele Unternehmen zu modernisieren.