Wegen mutmaßlichen Antisemitismus hat eine Universität in Lyon den Geschichtsprofessor Julien Théry vorläufig suspendiert. Er hatte auf Facebook eine Liste mit Namen geteilt, die als "zu boykottierende Völkermörder" bezeichnet wurden. Sie hatten sich gegen die Anerkennung Palästinas ausgesprochen.
Nach einer hitzigen Debatte vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs hat die Universität Lumière Lyon 2 den Geschichtsprofessor Julien Théry suspendiert. Ihm werden mutmaßlich antisemitische Stellungnahmen in sozialen Medien vorgeworfen. Ein Disziplinarverfahren soll nun über das Schicksal des Wissenschaftlers entscheiden.
Auf seiner Facebook-Seite hatte der Professor für mittelalterliche Geschichte eine Liste mit den Namen von 20 Persönlichkeiten, überwiegend jüdischen Glaubens, geteilt, die als "zu boykottierende Völkermörder” bezeichnet wurden.
"Offener Brief der Schande" gegen Anerkennung Palästinas
Entdeckt wurde dieser Post von der Licra (Ligue internationale contre le racisme et l'antisémitisme), einer NGO, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Die Liste war ursprünglich am 20. September von der Autorin Sophie Trégan als "offener Brief der Schande" veröffentlicht worden. Darin kritisierte sie die Persönlichkeiten, die sich gegen die Anerkennung Palästinas eingesetzt hatten. "Von ihrem Luxuswohnsitz aus, 5000 Kilometer von den Bomben und den Massakern an Zehntausenden Zivilisten entfernt, haben einige Bourgeois ihre schönste Feder zur Hand genommen, um einen offenen Brief an Emmanuel Macron zu schreiben", kritisierte Trégan.
Zu den laut Liste zu boykottierenden Personen gehören unter anderem der Comic-Autor Joann Sfar, die Philosophen Bernard-Henri Lévy und Raphaël Enthoven, der Schauspieler Yvan Attal, der Moderator Arthur, der Unternehmer Alain Minc sowie der Vorsitzende des Rates der jüdischen Institutionen in Frankreich Yonathan Arfi.
Weiterer "antisemitischer" Post des Professors
Eine rechte Studierendenvertretung macht dem Professor weitere Vorwürfe.
Auf ihrem X-Account gibt die Gewerkschaft UNI an, "mit Erstaunen" entdeckt zu haben, dass Théry ein Bild geteilt hat, das sie als_"antisemitisch_" bezeichnet. Das Bild, das am 20. Januar 2024 auf dem inzwischen nicht mehr öffentlichen Facebook-Konto des Lehrers geteilt wurde, zeigt einen jungen Mann mit Kippa und Davidstern, der einer blonden jungen Frau eine Tasche stiehlt. Die Frau hat eine palästinensische Flagge in der Hand.
Die Studentengewerkschaft hatte die Leitung der Universität aufgefordert, "sofort Disziplinarmaßnahmen gegen diesen notorischen Antisemiten" zu ergreifen.
Die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (Licra) "verurteilt erneut den antisemitischen Charakter der Äußerungen auf dem geteilten Bild". Gegenüber Euronews sagte die Organisation, sie prüfe "die Möglichkeiten einer Klage" und hoffe, "dass es zu einer Verurteilung kommt".
Die Universität Lumière Lyon II hat auf Anfrage nicht reagiert.
"Ein Ausbruch von Hass"
Im Streit um den Professor hat sich der Chef der Konservativen im Parlament in Paris - der zuvor Regionalpräsident in Lyon war - gegen Julien Théry ausgesprochen. Laurent Wauquiez spricht vom "alltäglichen Antisemitismus der extremen Linken an unseren Universitäten“, während Politiker und Politierinnen der Linken den Professor verteidigen.
In einer am Montag, den 1. Dezember, veröffentlichten Erklärung forderten die Gewerkschaften CGT Lyon 2 und Sud Education Lyon 2 ein Ende der "Stigmatisierung" der Universität. "Seit dem 21. November ist unser Kollege Julien Théry [...] Opfer eines Ausbruchs von Hass und Lügen gegen ihn. [...] Ausgehend von einem manipulativen Tweet der Licra, der von einem lokalen Medium aufgegriffen und dann von der rechten und rechtsextremen Presse weiterverbreitet wurde, wurde diese Polemik auch von rechten Politikern getragen", beklagen die linken Gewerkschaften.
"Unser Kollege hat lediglich politisch auf diese Tribüne reagiert, und in keinem Fall hat er eine Liste von Persönlichkeiten im Namen ihrer angeblichen Herkunft zusammengestellt, was natürlich keine Gewerkschaftsorganisation hätte unterstützen können".
Sie werfen auch der Präsidentin der Universität vor, sich "an diesem Konzert der Verleumdungen beteiligt zu haben, indem sie es entschieden verurteilt hat". " Anstatt einen ihrer Beamten zu unterstützen, der persönlich von der extremen Rechten bedroht wird und der Belästigungen und Drohungen gegen seine Familienmitglieder ausgesetzt ist, schreit die Präsidentin mit der Meute und liefert unseren Kollegen einer Rachsucht von extremer Gewalt aus".
Im Club Mediapart, der zuvor die umstrittene Namensliste veröffentlicht hatte, wurde ein Beitrag zur Unterstützung von Julien Théry veröffentlicht. "Die gewalttätige Hasskampagne gegen den Historiker Julien Théry, die auf einer groben Manipulation beruht, ist Teil einer allgemeinen Offensive gegen die akademischen Freiheiten. Ohne eine schnelle Reaktion wird diese Zensurwelle eine bleierne Decke über die Forschung und das intellektuelle Leben Frankreichs legen", heißt es dort.
Die Tribüne wurde von zahlreichen Personen unterzeichnet, darunter Clémence Guetté, Vizepräsidentin der Nationalversammlung, Nadège Abomangoli, Vize-Parlamentspräsidentin, und Gabriel Amard, Abgeordneter der LFI des Departements Rhône. Auch mehrere Institutionen schlossen sich der Liste an, wie das Kollektiv 69 Palästina und die Französische Jüdische Union für den Frieden.