Shakespeares "Richard III." wird im modernen Deutschland als Geschichte einer arabischen Gangsterkönigin namens Rashida neu interpretiert, die den Thron der Berliner Unterwelt anstrebt. Klingt nach viel? Ist es auch. Und es funktioniert.
Ein Dozent für englische Literatur, den ich an der Universität hatte, pflegte zu sagen "Don't shit on Shakespeare".
Abgesehen von der unmittelbaren Genugtuung über die freche Alliteration bezog sich sein Spruch auf die Tatsache, dass jeder, der glaubt, er könne die Werke des Barden mit relativer Leichtigkeit für seine Zwecke anpassen, sich selbst etwas vormacht. Vor allem, wenn es um das Kino geht.
Die ganze Welt mag eine Bühne sein, aber sie muss nicht immer eine Filmkulisse sein, in der Shakespeare seit "King John" von 1899 einen festen Platz hat.
Die Adaptionen reichten von pflichtbewussten historischen Versionen bis hin zu modernen Nacherzählungen in unerwarteten Genres. Es gab zahllose originalgetreue Neuinszenierungen (die unvermeidlichen Laurence-Olivier-"Prestige"-Takes), Musicals("West Side Story", "Kiss Me Kate"), Samurai-Filme (Akira Kurosawas "Thron des Blutes" und "Ran"), Science-Fiction-Abenteuer("Forbidden Planet"), Teenie-Komödien("She's The Man", "Jawbreaker"), niedliche Zeichentricklöwen("The Lion King") und kreative Mischformen (Baz Luhrmanns "William Shakespeare's Romeo + Juliet"). Und die Qualität ist gelinde gesagt durchwachsen. Auf "Viel Lärm um nichts" oder **"**10 Dinge, die ich an dir hasse" kommen ein Dutzend Filme wie "Deliver Us From Eva", "Romeo Must Die" und "Cymbeline". Falls Sie den letztgenannten Film noch nicht kennen: Es geht um dreckige Cops gegen Biker-Gangs mit Ethan Hawke und Ed Harris. Bleiben Sie weg.
Alles deutet darauf hin, dass die Neubearbeitung des berühmten englischen Dramatikers ein schwierigeres Unterfangen ist, als so mancher tollkühner Regisseur glauben möchte.
Glücklicherweise ist Burhan Qurbani weit davon entfernt, tollkühn zu sein, und schreckt vor keiner Herausforderung zurück.
"Blutig bist du, blutig wird dein Ende sein"
Nachdem er bei der 70. Berlinale das Publikum mit seiner ambitionierten Adaption von Alfred Döblins epischem Roman "Berlin Alexanderplatz" von 1929 - einem Meisterwerk der Moderne und einem der wichtigsten Werke der Weimarer Republik - begeistert hat, kehrt der afghanisch-deutsche Regisseur mit einer modernen Nacherzählung von "Richard III." zurück.
Ähnlich wie in "Berlin Alexanderplatz", wo er den klassischen Text neu kontextualisierte, indem er die Hauptfigur zu einem Flüchtling ohne Papiere aus Guinea-Bissau machte, verlegt Qurbani in seiner Shakespeare-Iteration die Geschichte in das heutige Deutschland und vertauscht die Geschlechter der zentralen Protagonisten.
"Kein Tier. So Wild." ("No Beast. So Fierce.") beginnt damit, dass ein blutiger Bandenkrieg zwischen den beiden arabischen Adelsfamilien York und Lancaster durch die jüngste York-Tochter Rashida (Kenda Hmeidan), eine Anwältin, beendet wird, die mit ihrer unkonventionellen Gerichtstaktik endlich für Frieden sorgt.
Sie muss jedoch feststellen, dass sie als Frau immer ein Spielball in der Welt der Männer sein wird. Ihr ältester Bruder Imad (Mehdi Nebbou) übernimmt sofort die Kontrolle und verdammt sie zum Gehorsam. Schlimmer noch, er und die Matriarchin Qamar (Meriam Abbas) wollen den Frieden mit den Schreien eines Neugeborenen feiern und planen, Rashida an das Ehebett zu fesseln.
Rashida macht sich über diesen Plan lustig. Sie will nicht gehorchen, sondern einen Sturm heraufbeschwören, der ihr die Freiheit und die Vorherrschaft bringen soll. Um das zu erreichen, muss sie intrigieren, verführen und mit Hilfe ihres treuen Vollstreckers Mishal (Hiam Abbass, brillant in der Rolle eines gnadenlosen Todesengels, dem ein Gewissen zu wachsen droht) Schläge verteilen. Was auch immer nötig ist, um nicht länger Schwester und Tochter derjenigen zu sein, die die Berliner Unterwelt beherrschen, sondern deren unangefochtene Königin.
"Mein Gewissen hat tausend verschiedene Zungen, und jede Zunge bringt eine andere Geschichte mit sich"
"Du kennst den Klappentext - ich habe ihn nur ein wenig umgeschrieben", sagt Rashida zu ihrer missbilligenden Mutter. Das ist die Aussage eines Regisseurs, wenn es je eine gegeben hat.
Qurbani und sein Co-Drehbuchautor Enis Maci haben geschickt klassische und moderne deutsche Dialoge mit arabischer Kultur, Sprache und zeitgenössischen Anklängen verschmolzen. Der Regisseur begnügt sich nicht damit, das zu tun, was Baz Luhrmann mit "Romeo und Julia" getan hat, sondern geht noch einen Schritt weiter, indem er Wege für Bedeutungen eröffnet, ohne jemals einen plumpen Kommentar zu erzwingen, der den Film an offenkundig gesellschaftspolitische Interpretationen fesseln würde. Er übertreibt nie und vertraut darauf, dass sein Publikum versteht, dass der Geschlechtertausch zu einer Meditation über kulturelle und zeitgenössische Haltungen gegenüber Einwanderung und Frauen führen kann, und dass das wiederholte "Freiheit", das Rashida vor ihrem ersten Monolog ausruft, vielschichtig ist.
Wer kann in einem Patriarchat frei sein? Wer kann frei sein, wenn Freiheit von einem Land versprochen wird, das von gesellschaftlicher Doppelmoral und einem gestörten Verhältnis zum Begriff "Heimat" geplagt wird? Wer kann jemals frei von seiner Vergangenheit sein?
Das exzellente Drehbuch wird durch ein Gefühl für Stil ergänzt, das diesem Gangsterthriller eine düstere und eindrucksvolle visuelle Beklemmung verleiht. Und gerade wenn man denkt, dass man sich in dieser grauen Welt eingerichtet hat, hebt eine verblüffende Wendung in der Inszenierung im dritten Akt diese Adaption auf ein neues Niveau. Kameramann Yoshi Heimrath und Szenenbildnerin Jagna Dobesz stellen sich der Herausforderung und unterstützen diesen kühnen Wechsel vom Realismus zu etwas Experimentellem, Abstraktem und Symbolischem. Auf der Bühne spiegeln sich nicht nur die korrumpierenden Auswirkungen ungezügelter Macht wider - Rashidas Politik der verbrannten Erde spiegelt sich in ihrer Umgebung wider -, sondern auch das innere Trauma, das sie verfolgt, obwohl sie ihre Version von Freiheit erreicht hat.
"Da ich mich nicht als Liebhaber erweisen kann, um diese schönen, wohl gesprochenen Tage zu unterhalten, bin ich entschlossen, mich als Schurke zu erweisen und die müßigen Vergnügungen dieser Tage zu hassen."
All das könnte nicht funktionieren ohne eine Hauptdarstellerin, die Qurbanis Ambitionen gerecht wird, und glücklicherweise ist er mit der in Deutschland lebenden syrischen Schauspielerin Kenda Hmeidan gesegnet.
Von dem Moment an, in dem sie auf der Leinwand erscheint, zaubert Hmeidan eine solche Aura, dass es unmöglich wird, den Blick abzuwenden. Die Art und Weise, wie sie sich allmählich von der intriganten Schwester in den Straßen Berlins zu einem tyrannischen Monster in der Einöde wandelt, ist herausragend, ebenso wie die Art und Weise, wie sie das Trauma einer Überlebenden des Krieges durchscheinen lässt und Rashidas bombengeschädigte Psyche dazu bringt, einen neuen Kreislauf der Gewalt zu schaffen. Wenn die Figur ihrem jüngeren Ich in einem traumähnlichen Zustand gegenübersteht und die Zeilen "Ich bin nicht dein Gegenteil, ich bin die offene Wunde" ausspricht, lässt Hmeidan uns erkennen, dass Rashidas Reich aus Rost und Staub der Ausdruck einer verletzten Seele ist, die sich durch Grausamkeit ausdrückt.
Wenn Laurence Oliviers Richard herrisch und manchmal angemessen hysterisch war, macht Kenda Hmeidan Rashida lächelnd verführerisch, brutal und verführerisch beschädigt. Wäre "Kein Tier. So Wild." beim diesjährigen Festival im Wettbewerb und nicht in der Sektion Specials gelaufen, wäre Hmeidan zweifellos die Darstellerin, die es im Kampf um einen Bären zu schlagen gilt.
Qurbanis "tyrannische und blutige Tat ist vollbracht" wird von Anfang bis Ende von dieser virtuosen Darbietung angetrieben. Seine selbstbewusste und oft düster-verspielte Adaption knickt nie unter dem kulturellen Gewicht des Textes oder seiner früheren Adaptionen ein. Was zu dem Trost führt, dass während "Kein Tier." nicht auf Shakespeare geschissen wurde. "So Wild."
Publikum und Englischdozenten dürfen sich freuen.
"Kein Tier. So Wild." hat auf der 75. Berlinale in der Sektion Berlinale Special Premiere.*