Während Klingbeil und Merz auf dem G20-Gipfel über die Zukunft der Ukraine sprechen, spitzt sich in Deutschland der Streit um das geplante Rentenpaket weiter zu. Nun tritt ein neuer Akteur auf den Plan - und rüttelt an den Plänen der Bundesregierung.
Top-Ökonomen haben sich in den Rentenstreit eingemischt - und das direkt mit einer Maximalforderung: Das Rentenpaket müsse vollständig gestoppt werden.
Die Forderung kommt nicht von irgendwem: Unter den Unterzeichnern des Appells sind rund 20 renommierte Ökonomen und Forschende anderer Fachrichtungen, darunter auch Jörg Rocholl, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums von SPD-Chef Lars Klingbeil.
Der Plan für die Rentenpolitik müsse nachhaltig sein - bestehend aus Rentenniveau-Haltelinie, Mütterrente, Aktivrente und Frühstartrente -, verfehle dieses Ziel jedoch, so die Experten in ihrer Forderung, die dem Handelsblatt vorliegt.
Der aktuelle Plan der Koalition
CDU/CSU und SPD wollen die bisherige Haltelinie beim Rentenniveau fortführen - also die Garantie, dass die Rente weiterhin mindestens 48 Prozent des Durchschnittslohns beträgt.
Hintergrund dieser Entscheidung ist der demographische Druck: Die Bevölkerung altert, die Zahl der Beitragszahler sinkt. Schon 2007 war klar, dass das Rentensystem reagieren muss. Deshalb wurde damals das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben; 2031 ist diese Reform vollständig umgesetzt.
Doch allein dieser Schritt reicht nicht aus, um die Verschiebung zwischen Beitragszahlern und Rentnern auszugleichen. 1990 kamen auf zehn Rentner noch 27 Beitragszahler, 2007 waren es nur noch 21. Für 2035 wird mit rund 18 gerechnet. Um die Beiträge dennoch tragfähig zu halten, gilt seit 2007 der sogenannte "Nachhaltigkeitsfaktor", der Rentenerhöhungen dämpft, wenn sich das Verhältnis verschlechtert.
Genau an diesem Punkt setzt die Koalition deshalb nun erneut an - und erschafft damit einen neuen Streitpunkt: Für die Zeit nach 2031 will sie das Rentenniveau wieder an den Nachhaltigkeitsfaktor koppeln. Der Regierungsentwurf sieht vor, ab 2032 bei 48 Prozent zu starten und das Niveau anschließend entsprechend der demografischen Entwicklung sinken zu lassen.
Junge Union im Zentrum des Streits
Mit ihrem jüngsten Protest schließen sich die Top-Ökonomen der Jungen Union (JU), den Protagonisten des aktuellen Rentenstreits, an.
Die JU verweigert dem Rentenpaket der Bundesregierung schon seit längerem die Zustimmung. Zwar trägt sie die Haltelinie von 48 Prozent bis 2031 mit, lehnt jedoch den vorgesehenen Mechanismus für die Zeit danach ab und verlangt eine andere Berechnungsgrundlage.
Kern ihrer Kritik: Nach 2031 sollen aus ihrer Sicht weniger Steuermittel in die Stabilisierung der gesetzlichen Rente fließen. Die Junge Union fordert, ab 2032 so zu rechnen, als hätte es die Stabilisierung der vergangenen Jahre nicht gegeben. Das hätte spürbare Folgen: Das Rentenniveau läge 2035 nicht bei 46,7 Prozent, sondern bei 45,7 Prozent; 2040 fiele es statt 46 auf 45 Prozent.
Im politischen Schlagabtausch rund um das Renten-Thema wurde der Ton in der letzten Woche immer schärfer. Vertreter von CDU und CSU werfen der Jungen Gruppe vor, unter dem Schlagwort "Generationengerechtigkeit" in Wahrheit einen "Etikettenschwindel" zu betreiben.
Und Bundeskanzler Friedrich Merz? Der stellt sich hinter die Gesetzesvorlage, die im Haus der Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) erarbeitet wurde. Diese wurde im August im Kabinett beschlossen und im Oktober im Bundestag in erster Lesung behandelt.
An sich sind Unstimmigkeiten innerhalb einer Partei bei Gesetzesentscheidungen nichts Ungewöhnliches und meist kein Problem. In diesem Fall ist die Lage jedoch anders: Die JU verfügt über 18 Stimmen mit der "Jungen Gruppe" in der Unionsfraktion - damit kann sie eine Mehrheitsabstimmung der Koalitionsparteien gefährden, da diese nur eine Mehrheit von 12 Stimmen hat. Wenn die Junge Gruppe bei ihrer Position bleibt, kann sie der Bundesregierung also tatsächlich einen Strich durch ihre Renten-Rechnung machen.
"Abgehoben", "Popanz" - scharfe Kritik an JU
Wie erwartet stellt sich die SPD hinter den Gesetzentwurf, der in ihrem Ressort erarbeitet wurde. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas tritt dabei zunehmend offensiv auf. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung betonte sie, dass sie den Konflikt kaum nachvollziehen könne. Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion baue einen "Popanz" auf, der "echt überzogen" sei. Aus diesem Streit dürfe keine Koalitionsfrage gemacht werden.
Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer erteilt Zugeständnissen eine klare Absage. Die SPD bleibe bei ihrer Linie und lehne ein niedrigeres Rentenniveau ab 2031 ab. Die Rente sei "kein Charity-Projekt", sagte Schweitzer dem stern. Menschen hätten sich ihre Ansprüche erarbeitet; ein abgesenktes Rentenniveau könne dazu führen, dass Rentner in die Grundsicherung rutschen - ohne dass der Staat dabei spare.
Er kritisierte zudem, es sei "sehr abgehoben, wenn junge Berufspolitiker aus der Jungen Union, die noch nie in die Rentenkasse eingezahlt haben, so über Rentnerinnen und Rentner reden". Beim Rentenniveau dürfe es "keinen Unterbietungswettbewerb in der Union" geben.
Junge SPD vs. Junge Union
Auch aus der Jugendorganisation des Koalitionspartners kann die Junge Union nicht auf Unterstützung hoffen. Die rund 30 jüngeren Abgeordneten der SPD stellen sich klar gegen ihre Alterskollegen aus der Union. In einem Papier, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, betonen sie, man wolle nicht zulassen, dass die Rentenfrage als Generationenkonflikt inszeniert werde.
Es gehe nicht um "Jung gegen Alt", heißt es darin, sondern "um Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich". Das Rentenpaket sei dringend nötig, um Altersarmut zu verhindern. Der richtige Ort, um Fragen zu diskutieren, die über den Gesetzentwurf hinausgehen, sei die zeitnah beginnende Rentenkommission. Bis dort Ergebnisse vorliegen, solle die Rente vor allem stabil bleiben.
Die Zeit drängt
Die Zeit wird langsam knapp: Maßnahmen wie die Aktivrente und die Ausweitung der Mütterrente auf alle Jahrgänge sollen bereits zum 1. Januar in Kraft treten - also in weniger als sechs Wochen. Gleichzeitig läuft die 2018 unter Angela Merkel (CDU) gemeinsam mit der SPD beschlossene Haltelinie von 48 Prozent aus.
Die jungen Abgeordneten der Union bleiben jedoch bei ihrer Linie. Es gehe um eine sachliche Frage, betont der hessische CDU-Abgeordnete Pascal Reddig, Vorsitzender der Jungen Gruppe. "Deswegen kann ich alle, unter anderem auch die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas, nur davor warnen, das hier zu einer Machtfrage zu machen, die rein parteipolitisch geprägt ist."
Die öffentliche Warnung der Ökonomen könnte dem Vorhaben der jungen Abgeordneten nun zusätzlichen Schwung geben - und ihre Motivation stärken, an ihrer Position festzuhalten.