Russland: "Keine Wahl, eine Auswahl!"

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Von Euronews
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Trotz aller Kritik am Verlauf der Wahlen in Russland, darf nicht übersehen werden, dass die Unterstützung für Putin sehr groß war. Der Europaparlamentarier Vytautas Landsbergis, der nach der Unabhängigkeit Litauens das erste Staatsoberhaupt seines Landes war, meint zu der Wahl: “Wie soll man denn die Unterstützung für Stalin erklären? 100 Prozent der Menschen der Sowjetunion gaben ihm seine Stimme. Heute ist es genauso. Wie in der UdSSR gibt es in Russland keine Wahl sondern nur eine Auswahl.” Viele Menschen vergleichen Putin mit dem russischen Zaren. Unser Korrespondent Andrej Beketov ging in Brüssel ins Königliche Museum für Militärgeschichte, wo er Sergej Petrosov, den Vorsitzenden der Russischen Gemeinschaft in Europa traf. “Putin verkörpert das, was für die russische Bevölkerung am wichtigsten ist. Er gibt unserem Land erneut das Image einer Großmacht. Die Proteste in Russland und im Ausland führten auch dazu, dass die Wählerschaft Putins mobilisiert wurde.” “Hier in Brüssel sind die Politiker über die möglichen autoritären Tendenzen besorgt”, ergänzt unser Korrespondent. “Ebenso über Putins Einlassung über ‘äußere Feinde’ und seine Entschlossenheit, die Militärausgaben zu erhöhen. Über die Wahlen selbst sprach mein Kollege Paul Hackett mit dem Europaabgeordneten Graham Watson.”

Euronews:
Bei der Präsidentschaftswahl in Russland soll es Unregelmäßigkeiten gegeben haben. Sind die Ergebnisse rechtmäßig?

Graham Watson:
Es ist sehr besorgniserregend, weil die Ergebnisse nicht rechtmäßig sind. Erstens, weil Putin sich eines Tricks bedient hat. Nach zwei Amtszeiten als Präsident war er Regierungschef und nun kehrt er ins Präsidialamt zurück. Die Verfassung sieht das nicht vor. Zudem bin ich besorgt, weil auch die anderen Parteien von unfairen Wahlen ausgehen. Wie sie manipuliert wurden, ist schwer zu sagen. Es könnte in unterschiedlicher Weise an verschiedenen Orten stattgefunden haben. Der Prozess begann, bevor eine einzige Stimme abgegeben war, möglicherweise mit dem neuen Parteiengesetz.

Euronews:
Offziellen Ergebnissen zufolge erhielt Putin über 60 Prozent der Stimmen. Doch auch internationale Beobachter gehen von mehr als 50 Prozent aus. In gewisser Weise ist das ein faires Ergebnis, nicht?

Graham Watson:
Nun, möglicherweise hat er mehr als 50 Prozent bekommen, doch aus meiner Sicht ist das kein faires Ergebnis, weil die anderen Parteien nicht den gleichen Zugang zu den Medien hatten wie Putins Partei. Auch war es für die andern weniger einfach, Kandidaten aufzustellen. Man kann bestenfalls von einer gesteuerten Demokratie sprechen.

Euronews:
Gibt es zur Zeit Alternativen? Es gibt keine richtigen Alternativen, nicht wahr?

Graham Watson:
Es gäbe Alternativen, hätte man sie zugelassen. Ich erwähne das, weil die Proteste, die wir in der jüngsten Zeit beobachten konnten, von einem ganz anderen Geist durchdrungen waren. Es waren andere Menschen, die auf die Straßen gingen. Putins Gegner ist heute die Mittelschicht. Es geht dabei nicht nur um die liberale Minderheit oder um Menschen, die aus irgendeinem Grund zornig sind. Für einen großen Teil der städtischen Bevölkerung ist die Zeit Putins vorbei.

Euronews:
Es gibt historische und politische Unterschiede. Wir sollten keine Ratschläge erteilen.

Graham Watson:
Freilich unterscheidet sich Russland historisch und politisch, wie sich China oder jedes andere Land der Welt von den meisten westlichen Ländern unterscheiden. Die Grundprinzipien aber sind die gleichen. Menschenrechte sind Menschenrechte. das gilt auch für Demokratie und faire Wahlen. Hier aber haben wir eine Regierung, die sich weigert, eine UN-Resolution darüber zu unterstützen, wie Syrien sein Volk behandelt. Hoffentlich müssen wir so etwas nicht auch in Russland mitansehen.

Euronews:
Weil von Syrien die Rede ist: Glauben Sie, dass sich Russlands Syrien-Politik unter Putin ändern wird?

Graham Watson:
Ich habe Zweifel daran, dass sie sich ändern wird, weil Putin vor der öffentlichen Meinung seines Landes Angst hat. Diesen Preis zahlen Autokraten überall in der Welt, in Russland China oder sonstwo. Sie leben in ständiger Angst vor ihrem Volk. Vermutlich haben sie in Russland dafür gute Gründe.

Euronews:
Es ist leicht, hier zu sitzen und den Mangel an Demokratie in Russland zu beklagen. Doch was können die Europäische Union, Europa tun? Nicht viel, nicht wahr?

Graham Watson:
Selbstverständlich wird Europa in Russland nicht militärisch intervenieren, noch sollten wir das.

Euronews:
Warum aber tun wir nichts, was den Handel betrifft? Wir sind so sehr von russischem Öl und Gas abhängig, dass unser Einfluss vernachlässigbar ist, nicht wahr?

Graham Watson:
Es stimmt leider, dass Europa meiner Meinung nach von russischem Öl und Gas beängstigend abhängig ist. Das sollte aber kein Grund zur Untätigkeit sein. Ich denke, dass zur Zeit eine Menge getan wird. Auch wurde einiges getan, um die Regierung politisch in die Schranken zu weisen.

Euronews:
Wie werden sich die Dinge in den nächsten sechs Jahren gestalten? Wird Putin seine Amtszeit beenden?

Graham Watson:
Meine russischen Freunde behaupten, dass er möglicherweise nicht bis zum Ende seiner Zeit im Amt bleiben wird. Sie behaupten, dass der Widerstand gegen seine Wiederwahl in der Öffentlichkeit so groß ist, dass er nur zwei Jahre im Amt bleiben könnte. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass es so schnell wie möglich zu Veränderungen kommt.

Euronews:
Wir Russland den gleichen Weg wie die arabische Welt gehen?

Graham Watson:
Das ist schwer zu sagen. Man könnte meinen, dass der Duft von Jasmin in der Luft liegt. Freunde halten sich zur Zeit dort auf, auch in den nächsten Tagen. Ich bin auf ihre Berichte neugierig. Eine Art russische Revolution würde ich aber nicht ausschließen.

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