Arafat rettet Rumäniens Rettungsdienst

Arafat rettet Rumäniens Rettungsdienst
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Von Euronews
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Das Gesundheitssystem Rumäniens krankt an Misswirtschaft, Geldmangel und Korruption. Gut ausgebildete Mediziner und Krankenpfleger verlassen das Land zu Tausenden. Patienten beklagen sich über katastrophale Zustände in öffentlichen Krankenhäusern.

Doch es gibt Aussicht auf Besserung: zumindest der Notfalldienst SMURD wurde in den vergangenen Jahren von Grund auf erneuert und gilt nun als Modell dafür, wie mit wenig Mitteln, dafür aber mit gutem Finanz- und Personalmanagement gerettet wird, was (und wer) gerettet werden kann.

Die Männer in roten Overalls bringen einen Notfall. Wir sind in Rumänien, in Targu Mures, Grossstadt im Herzen Transsilvaniens. Hier pocht die Lebensader des Rettungsdienstes SMURD.

Gegründet wurde SMURD 1990, kurz nach der rumänischen Revolution. Ein junger Notfallarzt hatte damals die Initiative ergriffen: er wollte es nicht länger hinnehmen, dass die Menschen in den rumänischen Notfallstationen dahinstarben wie die Fliegen. Sein Name ist in Rumänien mittlerweile bekannt wie der eines Popstars: Doktor Raed Arafat.

Den Nahen Osten verliess der Palästinenser als Teenager, seine Mediziner-Ausbildung durchlief er in Rumänien, zunächst in Cluj, danach zog es ihn nach Targu Mures. Arafats “Männer in Rot” gelten als Volkshelden. Doch der Rest des rumänischen Gesundheitssystems steht mehr oder weniger vor dem Kollaps…

“Wir brauchen Geld und Personal”, fordert Arafat. “Wir müssen insbesondere Anreize schaffen, um das medizinische Fachpersonal hier bei uns in Rumänien zu halten.” Auch um die Infrastruktur sei es schlecht bestellt, immer noch, über zwanzig Jahre nach der Revolution. “Unsere Krankenhäuser sind sehr alt”, sagt Arafat, “Gebäude und Ausrüstung müssten auf Vordermann gebracht werden, damit wir effizienter arbeiten können.”

Tausende gutausgebildeter Mediziner wandern ab nach Westen, wo wie mehr verdienen. Aus Sprachgründen – das Rumänische ist mit dem Italienischen und Französischen verwandt – zieht es viele rumänische Mediziner Richtung Rom oder Paris. Aber auch auch Grossbritannien ist ein beliebtes Zielland. Rumänien hat dadurch ein echtes Problem. Es fehlen 40.000 medizinische Fachleute, die daheim, in Bukarest, Cluj, Iasi, Targu Mures mit Skalpell und Sonde hantieren.

Ein junger Doktor verdient in Rumänien gelegentlich nur 350 Euro pro Monat, eine hochqualifizierte Spitzenkraft mit langjähriger Erfahrung im OP bringt es auf tausend Euro monatlich… Hinzu kommt, dass die Regierung vor einiger Zeit Gehaltskürzungen für den öffentlichen Dienst erzwang, aus Krisengründen und Spardiktatszwängen. 2008 wurde Rumänien von der Krise an den internationalen Märkten schwer gebeutelt. Das Land musste beim Internationalen Währungfonds um Hilfe bitten. Im Gegenzug legte Bucharest ein Sparversprechen ab, an das sich seitdem alle Regierungen – ob rechts, mitte, liberal, oder links – mehr oder weniger hielten. Im Sommer 2010 wurden die Gehälter im öffentlichen Dienst um ein Viertel gekürzt. Auch bei Renten und Sozialleistungen wurde das Skalpell angesetzt.

Rumänien gibt etwas weniger als vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Gesundheitsdienste aus. Das ist gerade mal die Hälfte des europäischen Durchschnitts.

Raed Arafat: “Unsere öffentlichen Krankenhäuser haben heute immer noch darunter zu leiden, dass sie vom Staat ein Budget zugewiesen bekommen, das ihre realen Kosten nur ansatzweise deckt. Das ist der Kern des Problems. Und das ist der Hauptgrund, warum die Krankenhäuser überall im Zahlungsrückstand sind.”

Im Prinzip ist das Problem einfach zu verstehen: es gibt zu wenig Einzahler in das Gesundheitssystem. Und andererseits zu viele Empfänger. An der Zahl der Empfänger lässt sich nichts ändern – krank ist krank. An der Zahl der Einzahler schon. Doch als die damalige Mitte-Rechts-Regierung vor Monaten versuchte, auch untere Einkommensschichten in die Sozialversicherungsbeitragspflicht zu nehmen, bekam sie den Volkszorn zu spüren… und stürzte. Jetzt regiert eine Mitte-Links-Regierung. Und die Probleme der Unterfinanzierung des rumänischen Gesundheitssystems liegen immer noch ungelöst auf dem Tisch im Bukarester Ministerium.

Es gibt Pläne, derzeit noch in der Diskussion, ein sogenanntes “Basispaket” zu schnüren, in dem grundlegende Gesundheitsleistungen weiterhin vom Staat “geliefert” werden. Daneben soll es ein “Zusatzpaket” geben, das Extra-Leistungen umfasst, die nicht unbedingt notwendig sind für eine Heilung… und deshalb dem staatlich Versicherten auch nicht staatlicherseits bezahlt werden. Wer Gesundheitsleistungen aus dem Extra-Paket möchte, der müsste eine (private) Zusatzversicherung abschliessen, so die Idee. Entsteht da eine Zweiklassenmedizin für eine Zweiklassengesellschaft? Oder kopiert Rumänien einfach nur, was anderswo, in Westeuropa, seit Jahrzehnten schon üblich ist?

Wie dem auch sei, Experten schätzen, dass durch Teilprivatisierungsschritte des rumänischen Gesundheitsdienstes ein Markt von 4,5 Milliarden Euro aufgetan werden könnte… Hinzu kämen 1,5 Milliarden Euro für den Markt von Zusatzversicherungen. Diese Schätzungen sind ungenau. Aber sie geben eine ungefähre Vorstellung von den Grössenordnungen, um die es hier geht.

Privatisierung ist allerdings ein Reizwort für die überwiegende Mehrheit der Rumänen. Sie haben schlichtweg Angst, dass sich die Privatkassen die “Rosinen aus dem Kuchen picken” werden, sprich: die Armen bleiben aussen vor (das heisst, weiterhim im unterfinanzierten staatlichen System versichert). Hinzu kommt ein weitverbreitetes Misstrauen der Bevölkerung gegen die politische Klasse, egal ob rechts oder links im politischen Spektrum angesiedelt, der man zutraut, sich auf Kosten der Volksgesundheit zu bereichern.

Wir treffen Alexandra Dragusin und ihre Tochter Ariana auf einem Spielplatz in Bukarest. Sie hat sich bereit erklärt, uns die haarsträubenden Zustände in einem Kinderkrankenhaus der rumänischen Hauptstadt zu schildern.

Ihre Tochter musste – von einem gefährlichen Virus befallen – mehrere Tage stationär behandelt werden. Ihre Mutter blieb bei der Kleinen… und musste auf dem blossen Boden schlafen. Als ihr Mann im Baumarkt eine einfache Liege erstand, machte die Oberschwester einen Aufstand. Alexandra musste auf einem einfachen Laken auf dem kalten Boden liegen… Rumäniens Gesundheitssystem krankt an Korruption. Alexandra bestätigt das: “Die Krankenschwestern kümmerten sich schlicht und einfach um gar nichts… nur um’s Geld. Wenn die Laken im Baby-Bett gewechselt werden mussten, dann ging das nur, wenn man dafür den Geldbeutel aufmachte. Wer nicht zahlt, der existiert nicht. Für alles, was die Krankenschwester machte, für jeden Handgriff musste ich zahlen, musste ich ihr ein Schmiergeld in die Tasche schieben…”

Per Zufall entdeckte Alexandra, dass ihr kleines Töchterchen die falsche Medizin bekam, die ihr zudem auch noch im falschen Stundentakt verabreicht wurde, ein im Kleinstkindalter extrem gefährlicher Fehler, der Folgen haben kann…

Ariana erbrach sich tage- und nächtelang, schliesslich musste der ausgelaugte Kinderkörper an eine Infustionsnadel gehängt werden. Der reinste Albtraum folgte, erzählt die Mutter:
“Die Krankenschwester, die die Infusion legen sollte, hatte keine Erfahrung, das sah man schon daran, dass ihre Hände zitterten… Ich war mit meinen Nerven fix und fertig, vorallem als ich bemerkte, dass die Infusionsnadel, die sie in den Arm meiner Tochter stechen wollte, schadhaft war. Angebrochen. Ich sagte zu ihr: das darf ja wohl nicht wahr sein… wollen sie eine kaputte Nadel in diese Kinderhand rammen? Das geht doch nicht…!”

Nur wenige Stunden später entdeckte Alexandra fünfzig Zentimeter Luft im Infusionsschlauch ihres Töchterchens. Gerade noch rechtzeitig konnte sie Alarm schlagen.

Heute geht es der kleinen Ariana wieder gut. Doch ihre Mutter befürchtet, dass auch in anderen rumänischen Krankenhäusern lebensgefährlicher Schlendrian herrscht und fordert, dass sich etwas ändert. Hier und heute. Und rasch.

Der Internationale Währungsfonds fordert ebenfalls eine Reform des Gesundheitssystems. Betont in erster Linie die Notwendigkeit eines besseren Finanzmanagements. So sollen die Krankenhausverwaltungen regelmässig unabhängige Finanzprüfer einen Blick in die Bücher werfen lassen, Mediziner dazu angehalten werden Generika zu verschreiben, beziehungsweise ihre Verschreibungspraxis generell zu überdenken (Rumänien kämpft mit einer Kostenexplosion bei den Arzneimittelausgaben)…

Der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Cristian Romulus Parvulescu meint: “Das System, so wie es heute ist, kann nicht weiter finanziert werden. Es funktioniert einfach nicht: Die rumänischen Bürger werden ungleich behandelt, es herrscht eine Zweiklassengesellschaft. Und ausserdem explodieren die Kosten.”

In der rumänischen Verfassung steht ein Satz, der es in sich hat. Alle Bürger haben einen Anspruch darauf, gleich behandelt zu werden. Auf diesen Satz pochen Mediziner oft, vorallem dann, wenn sie die Unterschiede der medizinischen Versorgung in städtischen und ländlichen Gebieten anprangern.

Von Bucharest nach Targu Mures sind es fünf Stunden Autofahrt. Mindestens. Es geht vorbei an sanftwelligen Hügellandschaften, an Verkaufsständen mit Gartenzwergen, Holzspielzeug, Plastikschrott made in China, später kommen dann die Himbeer- und Erdbeerverkäufer, die den Autoverkäufern an jeder Bahnschranke ihre Ware anbieten. Kurz vor Targu Mures dann erreichen wir die Zwiebelregion: die Erdbeeren werden abgelöst durch rote, süsslich schmeckende Zwiebeln, am Strassenrand auf hölzernen Verkaufsgerüsten kunstvoll zu langen Zwiebelzöpfen geflochten.

In der Hauptstadt Bukarest arbeitet Raed Arafat als stellvertetender Gesundheitsminister… Während der Wochenenden daheim in Targu Mures ist er dann wieder einer der “Männer in Rot”, das Superhirn der rumänischen Nothilfe, “Mister Smurd”. Freizeit kennt Arafat nicht. “Doch, doch”, schmunelt er. “Mein Hobby ist mein Job: Nothilfe. Und mein Job ist mein Hobby: ebenfalls Nothilfe.” Ausserdem will er nicht den Bezug zur Praxis verlieren, will weiterhin mit seinen “Männern in Rot” sprechen, verstehen, wo es hakt, Rat geben, wo er kann. Und als ganz normaler Doktor im Notfallhubschrauber rettet er immer noch Leben. Woche für Woche. Vermutlich ist es gerade die für einen rumänischen Spitzenbeamten so ungewöhnliche Verwurzelung im Lokalen, im Erdreich der realen Probleme, die Arafat so beliebt gemacht haben. Alte Mütterchen sprechen ihn an, bitten um ein Autogramm. Jugendliche winken freundlich hinüber… Arafat ist eine Hoffnung. Wenn er es geschafft hat, sich hier in Rumänien von ganz unten bis ganz nach oben hochzuarbeiten, etwas Gutes auf die Beine zu stellen, und dazu auch noch etwas von Dauer, dann ist die Hoffnung nicht verloren, für Rumänien… so denken die Leute hier in Targu Mures, aber nicht nur hier.

Arafat durchlief im Laufe seiner Ausbildung nicht nur die üblichen Stationen, die ein Mediziner in Rumänien durchläuft. Er bemühte sich Praktika und Einsätze im Ausland, ging in die USA, nach Skandinavien, nach Frankreich, tauschte sich mit Kollegen aus aller Welt aus, blieb neugierig, wissbegierig, aufgeschlossen, lernbereit… und setzte das erlernte Wissen dann daheim bei sich in Rumänien in die Praxis um.

Das können Kleinigkeiten sein. Aber Kleinigkeiten, die Leben retten: Feuerwehrmänner brauchen eine Erste-Hilfe-Ausbildung. Banal? Vielleicht. Doch lange Zeit war das in Rumänien nicht üblich. Diese Erkenntnis hat Arafat bei der Pariser Feuerwehr gelernt. Jetzt überträgt er das französische Modell auf Rumänien. Schliesslich ist es fast immer die Feuerwehr, die zuerst am Unfallort auftaucht. Was nützt der beste Feuerlöscher, wenn es darum geht, jemanden vor dem Verbluten zu retten? Kurzerhand verordnete Arafat seinen Kollegen von der Feuerwehr eine Radikalkur: seitdem schwitzen sie in sommerlicher Hitze, üben sich an verstümmelten Gummipuppen in Beatmungs- und Wiederbelebungstechniken, in Mund-zu-Mund-Beatmung… Systematisch schleust Arafat sämtliche Feuerwehrmänner Rumäniens durch diese Ausbildungsschleife, die er, Arafat, hier eingeführt hat. Ergebnis: “Ich habe die Mortalitätsrate im Bereich der Notfallhilfe um 50 Prozent nach unten geschraubt.” Der Satz hat es in sich. Der Satz zeigt: so “einfach” kann es manchmal sein, ein System zu ändern. Nachhaltig. Zum Guten hin.

Vor zwei Jahrzehnten war die Lage noch schlimm, erinnert sich Arafat: “Wir sahen damals als Studenten, dass die Patienten tot oder viel zu spät im Krankenhaus ankamen, sie bekamen keine Hilfe oder sie litten an Komplikationen, weil ihnen keine angemessene Notfallversorgung zuteil wurde…” Der junge Arzt stellt selbt sein Auto zur Verfügung, ein anderer Kollege – damals in Deutschland – sammelte Geld für eine Gebrauchtwagenambulanz. Langsam entstand da etwas, ganz klein zunächst, auf lokaler Ebene. Und es funktionierte. Zunächst mit Spenden. Dann auch mit staatlichen Mitteln. Das SMURD-Projekt nahm immer grössere Ausmasse an, wurde von der lokalen auf die regionale, von der regionalen schliesslich auf die nationale Ebene übertragen.

Auch international machte SMURD auf sich aufmerksam. Bei einer Tagung traf Arafat Notfallkollegen aus Schottland. Die waren so beeindruckt von Arafats Idee, seiner Tatkraft, seinem Managementtalent, dass die kurzerhand ein komplettes, mobiles Notfalllazarett auf Sattelschlepper luden, durch halb Europa fuhren und bei Arafat in Targu Mures “vor der Haustüre” – also vor dem städtischen Krankenhaus – abstellten. Ausgelegt auf 8.000 Notfallpatienten pro Jahr, platzt das Notfalllazarett mittlerweile aus allen Nähten: es sind heute etwa 65.000 Patienten, die in Targu Mures Notfallhilfe suchen.

Alarm auf der Feuerwache von Targu Mures. In Sekundenschnelle sind die Männer ausgerückt. Im Januar war es Arafat, der Alarm geschlagen hatte, öffentlich im Fernsehen, da warnte er vor einer weitreichenden Liberalisierung des Rettungsdienstes.

Der Präsident Rumäniens, Traian Basescu, griff zum Telephon und feuerte Arafat vor laufender Kamera, beschimpfte ihn als “Feind der Gesundheitsreform”. Nach Arafats Rücktritt vom Amt des stellvertretenden Gesundheitsministers erlebte Rumänien etwas noch nie da gewesenes: Stunden später demonstrierten zehntausende Rumänen, in allen Städten Rumäniens, spontan, gegen Präsident Basescu… und für Arafat. Dabei bemüht sich Arafat darum, jegliche politische Vereinnahmung von links wie von rechts zu vermeiden. Arafat ist einer der ganz wenigen “Unpolitischen” im Spitzenapparat der Regierung… und überlebte so bereits mehrere Regierungen unterschiedlichster Couleur. Nachdem sich der Proteststurm gelegt hatte, willigte Arafat ein, sein Amt wieder aufzunehmen. Und ist heute wieder unterwegs zwischen Bukarest und Targu Murres, zwischen Ministerium und Rettungshubschrauber.

“Wenn man alles dem Wettbewerb ausliefert, dann zerfällt das öffentliche Gesundheitssystem und der integrierte Ansatz bei der Notfallhilfe wird zerstört”, lautet Arafats Glaubenssatz. “Denn dann werden sich alle nur noch darum streiten, den anderen das grösste Stück des Kuchens wegzunehmen, es gäbe ein Hauen und Stechen um Marktanteile.”

Als Beispiel erzählt er vom Druck seitens der Hubschrauberfirmen: die wollten alle im Handstreich die Luftnotfallversorgung Rumäniens übernehmen, versprächen das Blaue vom Himmel und könnten vermutlich in der Anlaufphase sogar mehr Hubschrauber im Land stationieren als er das mit seinem schmalen staatlichen Budget könne. Nur, und das sei eben die Kehrseite der Medaille, die Privaten würden dann im nächsten Schritt den Staat zur Kasse bitten, teuere Wartezeiten berechnen, kurz, den Gesundheitshaushalt schröpfen.

Integrierter Ansatz. Das ist Arafats zweites Credo. Und mehr als nur eine schöne Idee. Arafat brachte tatsächlich alle, die in Rumänien mit Notfallsituationen zu tun haben, unter einen organisatorischen Hut. Statt vieler Notfallnummern gibt es heute nur noch eine einzige, beispielsweise. Stolz zeigt uns Arafat die neue Notfall-Leitzentrale in Targu Mures, deutet mit grossen Gesten um sich:
“Hier sitzen alle beieinander: da drüben ist die Polizei, dort die Gendarmerie, der medizinische Notfalldienst, die 112-Notfallnummer, die Feuerwehr… Durch diese Zusammenarbeit haben wir nun die Kosten besser im Griff und… die Informationen, vorallem bei Unglücken mit vielen Verletzten. Durch die Vernetzung wurden wir schneller, besser und billiger.”

Rumänien braucht Stabilität, betont Arafat, während er uns durch das neue Notfallzentrum führt, in das die “Männer in Rot” im Herbst umziehen werden. 22 Gesundheitsminister in 21 Jahren, das sei einfach zu viel.

“Was wir hier geschafft haben”, sagt Arafat und deutet dabei auf die neue Notfallabteilung, “das sollte auch in anderen Krankenhäusern geschehen. Und die Europäischen Union sollte speziell Strukturhilfefonds für Gesundheitsinfrastruktur bereitstellen, dann könnten wir das Gesundheitssystem Rumäniens besser modernisieren.” Arafat kritisiert die Bürokratie Brüssels. Zuviel Papierkram. Zuviel Zeitaufwand. Und die “Gesundheit” sei bei den Strukturfonds einfach in viel zu vielen anderen Programmtiteln versteckt. Das solle sich ändern. Schliesslich gehe es um Leben und Tod.

Die Zustände sind vorallem auf dem flachen Land sind in Rumänien teilweise eine Katastrophe. Arafat hat deshalb damit begonnen, seine “Männer in Rot”, den SMURD-Notfalldienst, auch in der Provinz zu stationieren, so wie hier in dem kleinen Dorf Raciu, etwas 30 Kilometer von Targu Mures entfernt.

Die Initiative kam ursprünglich von Dorfbürgermeister Vasu, ein stattlicher Mann mit rotem Fussballer-T-Shirt, der mittlerweile bereits seine fünfte Amtszeit absolviert. Die Leute hier im Dorf mögen den jovialen Vasu. Nicht ohne Grund: Mit EU-Geldern renovierte Vasu Wasser- und Stromleitungen. Doch für die SMURD-Notfallstation klopfe er bei Arafat an. Das Finanzierungsmodell für die ländlischen SMURD-Stationen basiert ebenfalls auf dem Stichwort “Integration”. Arafat erklärt, was damit gemeint ist: Innenministerium, Gesundheitsministerium und die lokalen Gebietskörperschaften geben jeweils ihren Anteil hinzu. Jeder zahlt ein, alle fühlen sich verantwortlich, alle machen mit.

Ganz einfach ist es nicht, für ein kleines Dorf mitten in Rumänien, so ein Projekt zu stemmen, erinnert sich Dorfbürgermeister Vasu: “Das Problem war das Geld. Ein Dorf allein kann sich das nicht leisten. Deshalb musste ich erstmal sechs weitere Bürgermeister überzeugen, eine Dorfgenossenschaft zu gründen. Das dauerte zehn Jahre… Schliesslich einigten wir uns. Und deshalb haben wir nun “Die Männer in Rot” auch bei uns”, lächelt Vasu breit und zufrieden. Zwei Arbeitsplätze hat er dadurch geschaffen, denn zwei der roten SMURD-Overallträger wurden hier, vor Ort rekrutiert und ausgebildet.

Am Eröffnungstag der neuen SMURD-Station wurde ein Bauer von einem Pferdehuf am Kopf getroffen. Die “Männer in Rot” retteten den Mann mit dem Schädel-Trauma, leisteten Nothilfe, riefen den Hubschrauber. Dem Mann geht es heute wieder gut. Dank SMURD. Dank Arafat. Dank Vasu.

Noch in diesem Jahr sollen zwanzig weitere Notfallstationen in den ländlichen Gebieten eingerichtet werden. 2013 kommen weitere hinzu. Arafat betont, dass es wichtig sei, Schritt für Schritt vorzugehen, sich nicht zu übernehmen, weder finanziell noch vom Personal her. Nachhaltigkeit, Erfolg und Effizienz kommen nicht von heute auf morgen. Da braucht man einen langen Atem. Auch das eine der Arafatschen Lebensweisheiten.

Auf der Rückfahrt treffen wir Istvan, stolzer Besitzer von hundert Ziegen und fünfzig Kühen. Der Mitfünfziger mit schickem, rumänischen Cowboyhut auf dem kantigen Schädel, ist Arafat-Fan. Er klettert von seinem Pferdefuhrwerk und erzählt: “Als mein Sohn einen Holzpfosten im Bauch hatte, kamen sofort die “Männer in Rot” und brachten ihn nach Targu Mures. Jetzt geht’s ihm wieder gut, er ist wieder auf den Beinen, fährt problemlos Traktor, kümmert sich um die Tiere…”

Zurück in Targu Mures wird der scharlachrote SMURD-Hubschrauber gerade mit Kerosin nachgetankt. Und wieder ein Notruf. Doktor Arafat und Commander Romeo Lupu besprechen sich kurz: der Hubschrauber muss ein Neugeborenes mit Herzfehler abholen. Rasch wird der Brutkasten in den Hubschraber verladen. Die Zeit läuft, wieder einmal, viel zu schnell. Die “Männer in Rot” müssen ein weiteres Leben retten…

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