Die Woche in Europa: Charles Michels Knalleffekt schockt Brüssel

Charles Michels Karrierepläne haben Brüssel überrascht - vorsichtig formuliert
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Von Stefan Grobe
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In dieser Ausgabe befasst sich Moderator Stefan Grobe vor allem mit der Ankündigung von EU-Ratspräsident Charles Michel, im Frühjahr zurückzutreten, um für einen Sitz im Europäischen Parlament zu kandidieren.

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Wenn Ukrainer den europäischen Staats- und Regierungschefs zuhören, wie sie über ihre Unterstützung für die Kriegsanstrengungen sprechen, haben sie allen Grund, sich über den Mangel an Taten zu ärgern - wenn "ärgern" das richtige Wort ist, wenn man sich in einem blutigen Zermürbungskrieg mit Russland befindet...

So blockiert Ungarn weiterhin ein 50-Milliarden-Euro-Paket an Militärhilfe auf europäischer Ebene. Und auch die einzelnen Mitgliedsstaaten machen viele Worte, kneifen aber, wenn es um konkrete Zusagen geht.

Diese Woche läutete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Alarmglocken.

Mit 17 Milliarden Euro ist sein Land nach den USA der zweitgrößte Geber von Militärhilfe für die Ukraine.

Wenn Europa einen russischen Sieg verhindern wolle, sollten sich seine Kollegen stärker engagieren, sagte Scholz in Berlin.

"So wichtig unser deutscher Beitrag auch ist, er allein wird nicht ausreichen, um die Sicherheit der Ukraine langfristig zu gewährleisten, deshalb rufe ich ich unsere Verbündeten in der Europäischen Union auf, ihre Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine zu verstärken. Die bisher von der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten geplanten Waffenlieferungen für die Ukraine sind jedenfalls zu gering."

Wen hat Scholz gemeint? Namen nannte er keine, aber Frankreich, Italien und Spanien gaben zusammen nur 1,6 Milliarden Euro an Militärhilfe für die Ukraine - das ist weniger als ein Zehntel des deutschen Beitrags.

Ein peinliches Zeugnis der europäische Solidarität!

Der Mann, der für die Koordinierung der EU-Politik, die Erleichterung der Entscheidungsfindung und die europäische Solidarität zuständig ist, heißt Charles Michel.

Als Präsident des Europäischen Rates, der die nationalen Regierungen vertritt, ist es seine Aufgabe, die Tagesordnung festzulegen, Kompromisse zu finden und Blockaden zu lösen.

Etwas, bei dem er nicht immer erfolgreich war.

Vielleicht ist das der Grund, warum er aufhören will. Diese Woche kündigte der frühere belgische Ministerpräsident an, dass er zurücktreten werde, um für einen Sitz im Europäischen Parlament zu kandidieren.

Das offizielle Brüssel war fassungslos. Michel selbst sieht es als eine fast natürliche Entscheidung an.

"Nicht zu kandidieren, wäre eine Form der Flucht gewesen. Ein Kandidat zu sein bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Vier Jahre lang habe ich im Herzen des Europäischen Rates an grundlegenden Entscheidungen für 450 Millionen europäische Bürger mitgewirkt. Es ist also normal, Rechenschaft abzulegen, Entscheidungen zu erklären und zu erklären, was wir für die Zukunft wollen."

Zu Charles Michels Rücktrittsankündigung ein Interview mit Doru Frantescu, Direktor und Gründer der Forschungsplattform EUMatrix.

Euronews: Politiker treten immer wieder zurück, das ist nichts Ungewöhnliches - warum ist der Rücktritt von Charles Michel so wichtig?

Frantescu: In diesem speziellen Fall ist das von Bedeutung, weil es eine ganze Kettenreaktion auslöst, die in Brüssel und in anderen europäischen Hauptstädten für viel Aufregung gesorgt hat, denn der Rücktritt des Ratspräsidenten lässt dieses Amt theoretisch für etwa sechs Monate offen. Das ist ein sehr schwieriger Plan, sehr kompliziert, zu einem Zeitpunkt direkt nach den Europawahlen. 

Zu diesem Zeitpunkt müssen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs über die Zusammensetzung der nächsten Europäischen Kommission, über die nächsten beiden Spitzenposten, aber auch über die nächste legislative Agenda und die Prioritäten einigen. Und in diesem speziellen Fall würde das Ausscheiden von Charles Michel auch eine Art Macht- und Rechtsvakuum schaffen, denn in Ermangelung einer anderen Person, die den Ratsvorsitz übernehmen würde, würde der Vorsitz an den Chef der rotierenden Präsidentschaft gehen, in diesem Fall an Viktor Orban aus Ungarn, der, wie wir wissen, im Laufe der Zeit ein schwieriges Verhältnis zu Brüssel hatte. Und das ist es, was einige EU-Politiker beunruhigt, die versuchen, eine Lösung zu finden, damit dies nicht passiert.

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Euronews: Michel wäre der erste EU-Ratspräsident, der zurücktritt, um für das Parlament zu kandidieren. Ist das nicht ein merkwürdiges Signal für die Bedeutung seines Amtes?

Frantescu: Nun, in gewisser Weise ja. Aber ich denke, dass die Entscheidung, für das Parlament zu kandidieren, auch aus der Einsicht heraus getroffen wurde, dass es für ihn schwierig gewesen wäre, in der nächsten Legislaturperiode länger als Ratspräsident zu bleiben. Er würde seinen Posten auf jeden Fall für eine mögliche Wiederwahl in diesem Sommer zur Disposition stellen, wenn alle Machtpositionen in den EU-Institutionen von den politischen Familien und den europäischen Regierungen neu ausgehandelt werden. Es war also nicht sicher, bei weitem nicht sicher, dass Charles Michel Präsident des Rates bleiben würde.

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