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Kreml-Gegner Ilja Jaschin: Putins Macht beruht auf Propaganda und Gewalt

Kreml-Gegner Ilja Jaschin hat Euronews erzählt, was den russischen Präsidenten Wladimir Putin stürzen wird.
Kreml-Gegner Ilja Jaschin hat Euronews erzählt, was den russischen Präsidenten Wladimir Putin stürzen wird. Copyright Donogh McCabe, Berlin 2024
Copyright Donogh McCabe, Berlin 2024
Von Diana ResnikDonogh McCabe
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Kreml-Gegner Ilja Jaschin hat mit Euronews über seine Zeit im russischen Gefängnis gesprochen und darüber wie sich der russische Präsident Wladimir Putin derzeit an der Macht hält.

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Der russische Oppositionelle Ilja Jaschin ist dank eines Gefangenenaustauschs zwischen Russland und westlichen Ländern nach zwei einhalb Jahren in einem russischen Gefängnis am 1. August freigekommen. Mit Euronews sprach er in Berlin über Russland, seine Pläne und seine Zeit hinter Gittern.

"Es ist sehr wichtig, sich in einem guten emotionalen und physischen Zustand zu halten, denn sonst bricht man einfach zusammen", erzählt Jaschin, während wir in einem Berliner Park auf einer Graffiti bemalten Betonplatte sitzen. "Außerdem sind zwei Jahre kein kritischer Zeitraum", sagt er. "Man sagt, dass solche irreversiblen Veränderungen erst nach drei Jahren hinter Gittern eintreten. Danach bekommen die Menschen ernsthafte gesundheitliche Probleme: ihre Zähne fallen aus, ihre Haare fallen aus."

Jaschin war auf seine Gefängnisstrafe gut vorbereitet

Jaschin erzählt, dass er ziemlich gut auf das Gefängnis vorbereitet war. Ihm war klar, dass man ihn verhaften würde, wenn er das Land nicht verließ. In einem Interview von 2022 erzählte er dem russischen Videoblogger Juri Dud ("wDud"), dass er sich in Vorbereitung auf das Gefängnis vom Zahnarzt schon mal die Zähne machen ließ.

"Ich hatte wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht Glück, denn ich bekam viel Unterstützung, und es gab eine große Menge an Briefen", erzählt Jaschin über die Unterstützung seiner Anhänger. "Ich wusste, dass sich viele Leute Sorgen um mich gemacht haben. Das hat mir natürlich Kraft und Lebenswillen gegeben und mich irgendwie angeregt und motiviert, für mich selbst zu sorgen."

Ilja Jaschin gibt Euronews ein Exklusivinterview.
Ilja Jaschin gibt Euronews ein Exklusivinterview. Donogh McCabe, Berlin 2024

Jaschin hatte Glück im Unglück. Nachdem er am 9. Dezember 2022 wegen Verunglimfung der russischen Streitkräfte zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, saß er in seinem Gefängnis im westrussischen Smolensk zwar ab und zu im so genannten PKT-Strafblock in Einzelhaft, verbüßte seine Haftstrafe grundsätzlich aber im allgemeinen Strafvollzug. In eine PKT-Zelle verlegt zu werden, gilt in russischen Gefängnissen als die höchste Disziplinstrafe. Dort sind die Gefangenen komplett von anderen Insassen und dem Rest der Einrichtung isoliert und können sich nicht frei bewegen, die Bibliothek besuchen oder zum Beten in die Kirche gehen. "Es gibt solche speziellen Blöcke, in denen die Leute noch isolierter sitzen, so dass sie keine Handys oder andere Privilegien haben, die man ins Gefängnis schmuggeln kann", beschrieb Jaschin seine Isolationshaft. Putins größter Widersacher und der wohl prominenteste russische Oppositionelle Alexej Nawalny saß in einem solchen Strafblock, bis er am 16. Februar unter dubiosen Umständen im "Polarwolf", einer der härtesten Strafkolonien Russlands, in Sibirien, starb.

Jaschin: "Häftlinge und Gefängniswärter hatten Respekt"

Jaschin gibt zu, dass er im Vergleich zu vielen anderen politischen Gefangenen in Russland einfach Glück hatte. Er wurde nicht gefoltert oder misshandelt, sagt er. "Im Großen und Ganzen bin ich sogar manchmal auf Sympathie bei den Mitarbeitern (des Gefängnisses) gestoßen. Mir scheint, dass die rigiden Anweisungen, mich zu isolieren und unerträgliche Bedingungen für mich zu schaffen, auf der Ebene der Vollstrecker oft sogar sabotiert wurden. Denn jeder verstand, dass ich kein Krimineller war. Und die normalen Angestellten verstanden sehr gut, dass ich nicht wegen irgendeiner Straftat im Gefängnis war. Ich hatte niemanden umgebracht, niemanden vergewaltigt. Ich war dort wegen meiner Ansichten, wegen meiner Worte, wegen dessen, woran ich glaube. Und das hat bei den Häftlingen und sogar beim Personal Respekt hervorgerufen."

Ilja Jaschin
Ilja JaschinDonogh McCabe, Berlin 2024

"Insgesamt werden politische Gefangene aber unterschiedlich behandelt", sagt Jaschin. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er guckt nachdenklich zur Seite. Sein Gesichtsausdruck wirkt besorgt. "Am meisten sorge ich mich natürlich um Alexei Gorinow. Denn das ist mein Genosse, das ist ein Mann, der, wie es mir scheint, inhaftiert wurde, um mich einzuschüchtern, um mich aus dem Land zu vertreiben. Ich bin bereits frei, er sitzt immer noch, und er ist ein alter Mann, er ist 63 Jahre alt, und er hat ziemlich ernste gesundheitliche Probleme." Gorinow fehlt ein Teil der Lunge. Der russische Politiker wurde am 8. Juli 2022 zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er während einer Sitzung beim Abgeordnetenrat des Moskauer Bezirks Krasnoselskij vorgeschlagen hatte, eine Schweigeminute für die getöteten Kinder in der Ukraine abzuhalten. Jaschin will nun alles dafür tun, ihn aus dem Gefängnis rauszuholen.

In Belarus hätten es politische Gefangene noch viel schwerer, so Jaschin

Jaschin findet es auch wichtig, sich für bearussische Oppositionelle in Gefangenschaft einzusetzen. Während des Gefangenenaustauschs kam kein einziger politischer Gefangener aus Belarus frei. Dabei sei die Art und Weise, wie die belarussischen Politiker unter Druck gesetzt werden, noch schlimmer. "Sie sind viel mehr unter Druck als bei uns", sagt Jaschin eindringlich. Anwälte konnten Jahre lang nicht mehr zu den Menschen dort durchdringen. "Wir wissen seit fast zwei Jahren nicht, was mit Sjarhej Zichanouski los ist. Wir wissen nicht, was mit Maryja Kalesnikawa los ist. Sie wurden fast zwei Jahre lang gefoltert und misshandelt. Ob sie überhaupt noch leben, wissen wir nicht. Und natürlich halte ich es für richtig, eine Art gemeinsame Arbeit mit der belarussischen Opposition aufzubauen, zumindest was die Unterstützung der politischen Gefangenen angeht."

Der belarussische Videoblogger Sjarhej Zichanouski wurde im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt, wegen einer nicht genehmigten Kundgebung. Die belarussische Bürgerrechtlerin und Oppositionspolitikerin Maryja Kalesnikawa, ein Gesicht der Demokratiebewegung in Belarus, wurde zu elf Jahren Haft verurteilt.

Mit YouTube gegen Putin

Neben der Befreiung politischer Gefangener will sich Jaschin auf seine Arbeit in der Antikriegsaufklärung konzentrieren. Jaschin hat einen YouTube-Kanal mit über 1,6 Followern. Dort versucht er, die russischen Bürgen über die Kriegsverbrechen des Kremls zu informieren, darunter auch über das Massaker von Butscha, einem Vorort von Kiew. Russischen Streitkräften wird vorgeworfen, dort während der Schlacht um Kiew im Frühjahr 2022, Zivilisten gewaltsam getötet zu haben. Nach dem Abzug des russischen Militärs wurden dort insgesamt 458 Leichen gefunden. 419 davon trugen Anzeichen von Folter. Dass er davon erzählt habe, sei der formelle Grund seiner Festnahme gewesen, so Jaschin. Doch die Inhaftierung hielt ihn nicht davon ab, die Wahrheit zu sagen. Er fand einen Weg, seinen YouTube-Kanal aus dem Gefängnis weiterzuführen. Trotz Kontrollen und strenger Zensur.

"Nun, man konnte mit anderen kommunizieren, indem man Briefe austauschte. Und manchmal lässt die Zensur Dinge durch", erzählte Jaschin. "Natürlich gab es Zeiten, in denen meine Texte blockiert wurden oder etwas durchgestrichen wurde. Aber trotzdem, wenn es eine riesige Menge an Briefen gibt, und ich hatte eine riesige Menge an Briefen. Ich habe mehr als 30.000 Briefe und Postkarten in den zwei Jahren meiner Inhaftierung erhalten. Und die Zensur konnte damit nicht umgehen. Und oft kamen Dinge dann durch. So konnte ich in meinen Briefen einige Informationen weitergeben. Informationen von öffentlicher Bedeutung, die ich in meinen sozialen Netzwerken veröffentlichen wollte oder mein Team darum bat, daraus ein Video auf YouTube zu machen."

Ilja Jaschin
Ilja JaschinDonogh McCabe, Berlin 2024

Oppositionelle Kanäle hätten in den letzten zwei Jahren dramatisch an Popularität gewonnen, sagt Jaschin. "Menschen, die es gewohnt waren, sich nach Kriegsbeginn über das Fernsehen zu informieren, haben erkannt, dass das Fernsehen, wie es jetzt in Russland existiert, den Informationsbedarf der Menschen nicht befriedigt. Es ist reine Propaganda. Und so begannen die Menschen, nach alternativen Informationsquellen zu suchen, nach alternativen Meinungen, um zu verstehen, was in der Realität vor sich geht."

Ist die Zustimmung für Putin wirklich so hoch?

Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon ganze zwei Jahre. Ursprünglich war in den russischen Medien nur die Rede von einigen Wochen, höchstens Monaten. Putin hat natürlich eine gewisse Unterstützung. Doch Immer mehr Menschen in Russland sind skeptisch. "Ich denke, dass es gar nicht so viele Menschen gibt, die Putin ideologisch unterstützen und bereit wären, ihm bedingungslos zu folgen", erklärt Jaschin. "Es gibt etwa gleich viele Anhänger von Putin wie Gegner von Putin. Die russische Gesellschaft besteht größtenteils aus Menschen, die eine abwartende Haltung einnehmen", beschreibt er. "Die wirtschaftliche Lage und die soziale Lage in der russischen Gesellschaft verschlechtern sich. Und die Menschen, so scheint mir, vergleichen immer mehr. Sie bringen es mit Putins Politik in Verbindung. Der Prigoschin-Aufstand im letzten Sommer war übrigens trotz der hysterischen Reaktion Putins eine echte Rebellion. Die Gesellschaft hat darauf eher gleichgültig reagiert. Es gab keine Kundgebungen zugunsten von Putin."

Putins Macht beruht auf Propaganda, auf Manipulation und natürlich auf der Anwendung von Gewalt.
Ilja Jaschin
Russischer Oppositioneller

Die Menschen in Russland können ihre Meinung momentan nicht offen zum Ausdruck bringen. Ziviler Widerstand ist in Russland nur noch im Untergrund möglich, erzählt Jaschin. "Denn jede offene Kritik an den Behörden, jede Äußerung gegen den Krieg, bedeutet im Grunde genommen Kriminalisierung. Putins Macht beruhe auf "Propaganda, auf Manipulation und natürlich auf der Anwendung von Gewalt", so Jaschin. Dabei gibt es immer mehr unzufriedene Menschen in Russland, die bereit sind, zu handeln. Jaschin ist überzeugt: "Wenn es eine Möglichkeit gibt, ihren Protest legal auszudrücken, werden diese Menschen zweifellos diese Möglichkeit nutzen."

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