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Haben Bio-Bauern noch eine Chance in Europa?

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Von Hans von der Brelie
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Seit gut einem Jahr gärt es in der Europäischen Landwirtschaftspolitik.

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Mit medienwirksamen Misthaufen-Aktionen, Autobahnblockaden und Traktor-Sternfahrten in die Hauptstädte versuchen insbesondere die großen Bauernverbände mit ihren überwiegend konventionell wirtschaftenden Mitgliedern, den „Green Deal“ der Europäischen Kommission zur Schlachtbank zu zerren. Aber wie ist es um die klimabewusst produzierenden Landwirte bestellt, die durch den „Green Deal“ Vorteile für sich, ihren Boden und die Natur erhofft hatten? Eine Recherche unseres Reporters Hans von der Brelie in Auersthal, einem kleinen Dorf ganz im Osten der Republik Österreich.

Herbert Zetner steht jeden Tag um vier Uhr morgens auf. Draußen ist es noch stockdunkel. Doch Zetner muss, wie viele Öko-Landwirte, mit zwei Berufen jonglieren. Bis zum frühen Nachmittag arbeitet er als EDV-Experte in einer Bank in Wien. Dann steigt er um vom Bürostuhl auf den Sitz seines Traktors. Im Marchfeld, einer großen Schotterebene nahe der Hauptstadt, säht er an diesem Novembertag Leindotter.  

Das Marchfeld gilt als „Kornkammer Österreichs“, doch bei der Fahrt durch die schmucken Dörfer mit ihren kaisergelben Hausfassaden fällt auf, dass viele Felder sehr schmal sind, aneinandergelegt wie verschiedenfarbige Handtücher. Streifenwirtschaft nennt man das. Damit versuchen die Biobauern die Wunden, die frühere Monokulturen mit ihren Riesen-Äckern in die Landschaft geschlagen haben, zu heilen.  

Konventionelle Landwirtschaft spielte dem Marchfeld übel mit: Überdüngung, Übernutzung der Grundwasserreserven und fehlende Hecken führten zu massivem Artenschwund und zu Bodenerosion - bis hin zur Versteppung. Die Ebene überhitzte, trocknete aus - und um die Hauptstadt Wien weiterhin mit Gemüse beliefern zu können, griffen viele Bauern bedenkenlos zu Giftspritze und Kunstdünger. 

Doch jetzt hat ein Umdenken eingesetzt – auch in der Familie Zetner. „Früher habe ich mit Gift gespritzt, dauernd war ich krank“, erzählt Herbert. Mit dem Ableben des Vaters übernahmen Herbert und sein Bruder den Hof – und stellten um auf Bio-Anbau. Statt Fungizide und Chemie-Dünger verwendet Zetner einen selbst hergestellten Heu-Tee aus fermentierten Gräsern.

Ökolandbau bedeutet oft mehr Arbeit, sagt Zetner: “Früher, mit der konventionellen Bewirtschaftung, haben wir für unsere 74 Hektar Feld und Forst rund 500 Stunden gebraucht. Jetzt, bei der regenerativen Landwirtschaft, brauchen wir 1500 Stunden. Das heißt, wir haben den dreifachen Aufwand!” – Trotzdem wirkt Herbert mit sich und der Welt zufrieden. “Früher galt bio als exotisch, doch mittlerweile wissen die Leute, bio ist normal”, bringt er es auf den Punkt. 

Herbert baut 24 verschiedene Feldfrüchte an. Leindotter, Hafer, Dinkel, Gerste, Roggen, Kichererbsen, Kümmel, Türkischen Drachenkopf… die Liste ist lang! Der Nebenerwerbsbauer betreibt regenerative Landwirtschaft und ist seit fünf Jahren offiziell als Öko-Landwirt zertifiziert.

Derzeit läuft ein EU-weites Forschungsprojekt, bei dem herausgefunden werden soll, wie CO2 aus der Luft besser im Boden gebunden werden kann. Kohlenstoffwirtschaft bremst den Klimawandel - und die Bauern freuen sich über fruchtbaren Humus, auch Herbert Zetner. Stolz zeigt er mir ein kleines Pflänzchen, das er aus der lockeren Erde gezogen hat: “Da sieht man den Erdanhang an den Wurzeln. Das heißt, eine super Interaktion der Pflanze mit dem Boden. Der Humus ist schön durchwurzelt und feinkrümelig. So gefällt mir das!” 

Humusaufbau funktioniert mit Streifen-Anbau und Untersaaten (mehrere Feldfrüchte werden mit- und nebeneinander kultiviert), ein Gegenmodell zu Monokulturen und Riesenäckern. Um Klimawandel und Artensterben zu bremsen, hatte die Europäische Kommission geplant, dass alle Bauern vier Prozent ihrer Fläche brachliegen lassen müssen. Doch Proteste konventioneller Landwirte führten dazu, dass dies im Frühjahr (2024) gekippt wurde. Daher meine Frage an Zetner: “Brachland, Fruchtfolge und Blühstreifen – sollte das verpflichtend sein in der Europäischen Union oder freiwillig?” Während er die Sähmaschine über das Feld steuert, sagt Herbert Zetner in seinem bedächtigen, wohlüberlegten Tonfall: “Ich finde schon, dass das verpflichtend sein sollte.” 

Heute bringt Herbert die Wintersaat aus. Seine Felder sollen immer grün sein, egal zu welcher Jahreszeit. Auch das ist gut für die CO2-Bilanz. Von der EU wünscht er sich nicht nur schöne Worte sondern auch eine höhere Bioprämie – und eine finanzielle Entschädigung für seine vielen Öko-Arbeitsstunden: “Bauern, die auf den Humus-Aufbau achten, wollen ja etwas für die Natur machen. Das sollte sich auch finanziell lohnen. Ich binde CO2! Ich mache lauter gute Sachen! Das sollte von der EU anerkannt werden!” 

Internationale Koryphäen auf dem Gebiet der Biodiversitätsforschung, wie Professor Franz Essl von der Universität Wien, stimmen dem bei. Um Klimawandel, Artensterben, Bodenerosion und Versteppung zu bremsen, müsste die Landwirtschaft ihre Anbaumethoden ändern. Dafür braucht es finanzielle Anreize, meint Essl: “CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen, das kann die Landwirtschaft. Wenn man den Boden anders bewirtschaftet, dann bleibt mehr Humus im Boden und das sollte der Gesellschaft auch mehr wert sein als bisher.”  

Die Empfehlungen des weltweit anerkannten Experten an die Europäische Landwirtschaftspolitik sind eindeutig: Wiedervernässung trockengelegter Feuchtgebiete, Brachland-Wirtschaft (also die regelmäßige Stillegung einiger Äcker), Windschutzhecken, Humus-Aufbau… Die EU-Kommission sollte vor der mächtigen Großbauern-Lobby nicht einknicken, “sondern auf Linie bleiben”, meint Essl. 

Auch der Europäische Rechnungshof hat in einem jetzt veröffentlichten Sonderbericht die bisherigen “Aktionspläne” der EU zur Förderung des Öko-Landbaus unter die Lupe genommen und die Europäische Kommission heftig gerüffelt: Es fehle an einer Gesamtstrategie. Geld werde immer noch nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Und wenn die Europäische Union ihr selbstgestecktes Ziel von 25 Prozent landwirtschaftlicher Fläche im Öko-Anbau bis 2030 erreichen wolle, dann bräuchte es nicht nur bessere Vermarktungsstrategien für Bioprodukte, sondern insbesondere auch verpflichtende und “messbare Zielvorgaben”. 

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