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Radikalere Migrationspolitik: Dänemark denkt um - Europa auch?

Dänemark hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen.
Dänemark hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Copyright  Euronews.
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Von Jorge Liboreiro
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Dänemark hat die Migrationsdebatte durch die Verabschiedung äußerst restriktiver Vorschriften neu gestaltet. Kopenhagen hofft nun, dass die anderen EU-Staaten dem Beispiel folgen werden.

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Wenn es um das Thema Migration geht, konnte die dänische Ministerpräsidentin ihre Genugtuung zuletzt kaum verbergen.

"Was in unserer Bevölkerung schon seit vielen Jahren Mainstream ist, ist nun auch für viele von uns Politikern Mainstream", sagte Regierungschefin Mette Frederiksen Anfang des Monats vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. "Endlich", so ergänzte sie

Ihr Minister für Einwanderung, Kaare Dybvad, äußerte sich ebenfalls zufrieden:

"Ich erinnere mich, als ich vor drei Jahren mein Amt antrat, war der österreichische Minister der einzige, der diese Ideen unterstützte", sagte Dybvad in einem Interview mit Euronews. Und weiter: "Jetzt scheint es, dass sich viel mehr Länder um die Idee geschart haben, dass wir eine demokratische Kontrolle über die Migrantenströme bekommen sollten."

Strengere Migrationspolitik - aber wie?

Jahrelang galt Dänemark mit Blick auf die Migrationspolitik als das schwarze Schaf der Europäischen Union. Nach der Migrationskrise in den Jahren 2015 bis 2016 begann das Land, zunehmend restriktive Regeln zu erlassen, um Ankommende abzuschrecken und den Zugang zu rechtlichen Garantien zu erschweren - eine Entscheidung, die durch die Opt-out-Klausel aus dem EU-Asylrahmen angetrieben worden war.

Im Jahr 2019 verabschiedete Dänemark ein Gesetz zum "Paradigmenwechsel", das den vorübergehenden Schutz für Flüchtlinge zur neuen Norm machte. Der Schwerpunkt wurde auf die Eigenständigkeit gelegt, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern und die Abhängigkeit von der Sozialhilfe zu verringern. Ein dauerhafter Aufenthalt war weiterhin möglich, unterlag aber strengen Kriterien.

Durch die Begrenzung der Asyldauer erleichterten die dänischen Behörden die Prüfung, ob die Schutzgründe noch gegeben sind und, falls nicht, ob eine Abschiebung möglich war.

Kopenhagen erklärte Teile Syriens für "sicher"

Als erstes europäisches Land erklärte Dänemark Teile Syriens für "sicher" und gab an, die Lage vor Ort habe sich "erheblich verbessert". Die Einstufung, bei der Hunderten von syrischen Flüchtlingen die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wurde, war damals äußerst umstritten und machte international Schlagzeilen.

Einen ähnlichen Aufschrei gab es im Jahr 2021, als Dänemark eine Absichtserklärung mit Ruanda unterzeichnete. Im Rahmen dieser Vereinbarung würde Dänemark Asylbewerber in ein Aufnahmezentrum in dem afrikanischen Land überstellen, um dort auf die Prüfung ihrer Anträge zu warten.

Es war das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedstaat offen eine Auslagerungsstrategie verfolgte. Die Europäische Kommission, die eine ähnliche Regelung zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda scharf kritisiert hatte, behielt sich vor, rechtliche Schritte einzuleiten.

"Die externe Bearbeitung von Asylanträgen wirft grundsätzliche Fragen auf, sowohl was den Zugang zu Asylverfahren als auch den effektiven Zugang zu Schutz im Einklang mit den Anforderungen des internationalen Rechts angeht", sagte ein Sprecher der Kommission im Jahr 2022.

Ein Jahr später verwarf Dänemark den Plan, behielt aber das Prinzip bei. Anstatt die Auslagerung auf nationaler Ebene zu verfolgen, würde das Land ein höheres Ziel verfolgen: die europäische Dimension.

Vom schwarzen Schaf zum Schafhirten

Damals verhandelte die EU über den Neuen Pakt für Migration und Asyl, eine umfassende Reform mit dem Ziel, gemeinsame, verlässliche Regeln für die Aufnahme und Verteilung von Asylbewerbern festzulegen. Die Gespräche verliefen intensiv und legten die alten Gräben zwischen dem Süden und dem Norden frei. Zeitweise schien der Pakt zum Scheitern verurteilt.

Schließlich erkannten die Mitgliedstaaten den Wert einer kollektiven Gesetzgebung zur Bewältigung einer grenzüberschreitenden Herausforderung wie der irregulären Migration. Die fünf miteinander verknüpften Gesetze des Pakts wurden am 14. Mai 2024 gegen die Stimmen von Polen und Ungarn angenommen.

Dieser Moment wurde unter Befürhwortern als historischer Durchbruch gefeiert.

Also doch Ruanda? Dänemark will Asylverfahren auslagern

Doch für Kopenhagen war das nicht genug. Zwei Tage nach der Abstimmung veröffentlichte Dänemark ein Schreiben, das auch von Österreich, Bulgarien, Zypern, der Tschechischen Republik, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, den Niederlanden, Polen und Rumänien unterzeichnet wurde.

In dem Dokument sprach sich die 15-köpfige Gruppe unmissverständlich für die Auslagerung von Asylverfahren aus, u. a. durch die Einrichtung eines "Rückführungszentrums", in das "Rückkehrer während des Wartens auf ihre endgültige Abschiebung gebracht werden könnten".

In dem Schreiben wurde insbesondere die Initiative Italiens erwähnt, in Albanien Zentren zur Bearbeitung von Asylanträgen von Migranten zu errichten, die auf hoher See gerettet wurden.

Es war eine Machtdemonstration und eine Absichtserklärung, die Brüssel nicht länger ignorieren konnte. Das Gespräch verlagerte sich schnell vom Pakt auf sogenannte "innovative Lösungen".

2015/16: Migrationskrise änderte Dänemarks Außenpolitik
2015/16: Migrationskrise änderte Dänemarks Außenpolitik Martin Lehmann /AP

Im Oktober machte sich die Lobbyarbeit bezahlt, als Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, die Idee befürwortete, Abschiebezentren auf fremdem Boden zu errichten - ein klarer Bruch mit dem traditionellen Denken der EU-Exekutive.

Kurz nach ihrer Wiederwahl legte die Kommission einen Verordnungsentwurf vor, der es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, mit Staaten außerhalb des Blocks Vereinbarungen über die Überstellung abgelehnter Asylbewerber gegen finanzielle Anreize zu treffen.

Fortschritte während Dänemarks EU-Ratspräsidentschaft?

Der Zufall will es, dass das Gesetz gerade während Dänemarks sechsmonatiger EU-Ratspräsidentschaft diskutiert wird. Das Land hat seine Absicht bekräftigt, noch vor Jahresende eine politische Einigung in dieser Angelegenheit zu erzielen.

Eine weitere Priorität ist die Überprüfung des Konzepts der "sicheren Drittstaaten", das die Umsiedlung von Asylbewerbern über die europäischen Grenzen hinaus erleichtern würde.

"Wir wollen die Migrationsagenda vorantreiben", sagte Lars Løkke Rasmussen, Dänemarks Außenminister, Anfang des Monats bei einem Briefing mit Journalisten in Aarhus.

"Es ist bekannt, dass wir eine ziemlich harte Politik gegenüber der illegalen Migration verfolgen, und wir haben uns als ziemlich erfolgreich erwiesen", fügte er hinzu.

Mehrheit der EU-Länder für Kurswechsel

Die Erfolgsaussichten für Kopenhagen sind mehr als gut: Die Gruppe der 15 Länder, die das Schreiben von 2024 unterstützt haben, ist im Laufe der Zeit gewachsen und verfügt heute über eine entscheidende Mehrheit. Deutschland ist kurz nach dem Amtsantritt seines neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz beigetreten. Merz hat die dänische Migrationspolitik als "wirklich vorbildlich" gelobt.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge entwickeln, hat humanitäre Organisationen alarmiert, die davor warnen, dass durch die Auslagerung Steuergelder verschwendet und menschliches Leid verstärkt wird.

"Dänemarks Modell der Migrationskontrolle wird als Goldstandard und nachahmenswert angepriesen, weil es darauf abzielt, Asylsuchende von der Einreise abzuhalten", so Céline Mias, EU-Direktorin beim Dänischen Flüchtlingsrat (DRC).

"Der derzeitige Trend der europäischen Staaten, sich auf Abschreckungsmechanismen zu konzentrieren und Asylverfahren auszulagern, ist nicht nur ethisch fragwürdig und verstößt oft gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung, sondern ist auch auf lange Sicht nachweislich ineffektiv."

Auslagerung von Asylverfahren: Italien hat Zentren in Albanien gebaut
Auslagerung von Asylverfahren: Italien hat Zentren in Albanien gebaut AP Photo

Details möglicher Auslagerung von Asylverfahren unklar

In jedem Fall bleibt die Auslagerung ein weitgehend abstraktes Konzept.

Weder Dänemark noch seine Verbündeten oder die Europäische Kommission haben bisher Einzelheiten dazu genannt, wie diese externen Einrichtungen in der Praxis aussehen könnten. Es gibt keine finanziellen Schätzungen, keinen logistischen Plan und vor allem keinen Vorschlag für den Bestimmungsort.

Das italienisch-albanische Protokoll, das Ursula von der Leyen als bahnbrechendes Modell anpries, aus dem die EU Lehren ziehen könnte, ist weit unter die ursprünglich angekündigte fünfstellige Zahl von Asylbewerbern gefallen. Die 74,2 Millionen Euro teuren Zentren beherbergen derzeit einige hundert Migranten, gegen die ein Abschiebungsbefehl vorliegt.

Dänische Beamte räumen ein, dass sie noch keine Bewertung durchgeführt haben, um das Projekt der "Rückführungszentren" zu konkretisieren, bestehen aber darauf, dass jede Vereinbarung mit einem Nicht-EU-Land als eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft konzipiert sein und mit dem Völkerrecht und den Grundrechten übereinstimmen sollte - ein hoher Standard, der den Auswahlprozess erschweren könnte.

Angesichts des spaltenden Charakters der Auslagerung wird erwartet, dass das System von einer "Koalition der Willigen" mit politischer und möglicherweise finanzieller Unterstützung aus Brüssel verfolgt wird.

Eine fortschrittliche Sichtweise?

Die dänische Ministerpräsidentin ist eine von drei Sozialdemokraten, die den jüngsten Rechtsruck überlebt haben und ihren Sitz im Europäischen Rat behalten konnten. Die anderen beiden sind der Malteser Robert Abela, der die Auslagerung befürwortet, und der Spanier Pedro Sánchez, der sie ablehnt.

"Wir müssen das Migrationsphänomen angehen, indem wir an die künftigen Generationen denken und nicht an künftige Wahlen", sagte Sánchez letztes Jahr und argumentierte, dass ein Willkommenskonzept notwendig sei, um Europas demografische Krise zu bewältigen und wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern.

Uneins in der Migrationspolitik: Mette Frederiksen und Pedro Sánchez
Uneins in der Migrationspolitik: Mette Frederiksen und Pedro Sánchez European Union, 2023.

Frederiksen und ihre Minister sind jedoch davon überzeugt, dass ihre Methode die einzige praktikable Option für Mitte-Links-Politiker ist, um an der Macht zu bleiben und den Vormarsch der rechtsextremen Kräfte abzuwehren, die eine direkte Bedrohung für ihre progressiven Überzeugungen darstellen.

Kaare Dybvad, Dänemarks Minister für Einwanderung, ist der Meinung, dass andere sozialdemokratische Parteien das brisante Thema neu fassen sollten, indem sie sich an Kopenhagen orientieren.

"Migration ist oft eine Belastung für die Wählerschaft. Die Arbeiterklasse hat den größten Teil der Aufgabe übernommen, die Menschen in die lokalen Gemeinschaften und den Arbeitsmarkt zu integrieren", so Dybvad gegenüber Euronews.

"Wenn man also eine Partei ist, die gering qualifizierte und schlecht bezahlte Menschen vertritt, sollte man bei der Zuwanderung ziemlich restriktiv sein."

Auf die Frage, ob er sich durch den europäischen Sinneswandel bestätigt fühle, sagte der Minister: "Ich bin einfach froh, dass wir viel mehr Diskussionen über diese Themen führen."

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