Der derzeitige Regulierungskurs der EU führt zum Scheitern der europäischen Lkw- und Bushersteller, argumentiert Christian Levin, Vorsitzender des Europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA) und CEO von Scania. Er fordert konkrete Ergebnisse des Strategischen Dialogs für den Automobilsektor.
Wenn Europa über die Zukunft seiner Automobilindustrie diskutiert, muss eine Tatsache im Vordergrund stehen: Lkw und Busse sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Jeden Tag liefern sie wichtige Waren und Dienstleistungen für Hunderte Millionen Bürger und Unternehmen. Sie sind auch das Herzstück der klimapolitischen Ambitionen unseres Kontinents.
Unsere Industrie hat bereits Milliarden in emissionsfreie Fahrzeuge (ZEVs) investiert. Heute können wir Lösungen für alle Verkehrsbedürfnisse anbieten.
Doch trotz der Bereitschaft der Branche birgt der derzeitige regulatorische Weg die Gefahr, dass wir scheitern. Der Grund dafür ist einfach: Die meisten der Voraussetzungen, die diesen Übergang ermöglichen würden, sind heute nicht gegeben.
Gemäß den aktuellen CO2-Zielen für 2030 muss der Marktanteil von ZEVs in weniger als fünf Jahren von heute etwa 3,5 % auf mindestens 35 % steigen. Dieser Sprung um das Zehnfache wäre unter allen Umständen ehrgeizig, aber er wird unmöglich sein ohne ein kritisches Maß an Infrastruktur und eine kohärente Politik, die den Übergang wirklich vorantreibt.
Angemessene Netzanschlüsse sind nach wie vor eine Herausforderung, wettbewerbsfähige Gebühren, CO2-basierte Straßenbenutzungsgebühren und gezielte Anreize werden entweder verzögert oder stehen unter enormem politischen Druck. Selbst wichtige Rechtsvorschriften, wie die Richtlinie über Gewichte und Abmessungen, stehen noch aus.
Konkrete und dringende Maßnahmen im Rahmen des Strategischen Dialogs erforderlich
Aus diesem Grund muss der Strategische Dialog der Europäischen Kommission konkrete und dringende Maßnahmen für die europäischen Nutzfahrzeughersteller bringen. Unser Sektor liefert bereits Fahrzeuge aus. Aber wenn die anderen Teile des Puzzles nicht zusammenpassen, werden wir die Ziele für 2030 verfehlen. Um es klar zu sagen: Das ist kein technisches Versagen, sondern ein Versagen der Politik.
Im Rahmen des europäischen Rechtsrahmens sind die Lkw- und Bushersteller die einzigen Akteure, die drakonischen Strafen bei Nichteinhaltung ausgesetzt sind, obwohl der Erfolg des Übergangs auch von so vielen anderen abhängt: von Energieversorgern, Infrastrukturbetreibern, Verladern und Verkehrsbetrieben und vor allem von den politischen Entscheidungsträgern.
Ohne rasche Verbesserungen riskieren wir überhöhte Strafen für Umstände, auf die wir keinen Einfluss haben. Das ist weder fair noch eine intelligente Industriestrategie.
Wir sind echte Weltmeister und Marktführer in den meisten Regionen der Welt. Wenn Europa den Übergang verzögert, riskiert es nicht nur seine Klimaneutralitätsziele, sondern untergräbt auch die globale Führungsrolle einer seiner wettbewerbsfähigsten Industrien.
Wir fordern daher die Europäische Kommission auf, jetzt zu handeln und:
- Die Überprüfung der HDV-CO2-Verordnung zu beschleunigen, und zwar nicht erst im Jahr 2027, sondern jetzt. Diese frühzeitige Überprüfung muss sicherstellen, dass die Interdependenzen in der gesamten Transport- und Logistikbranche in der Verordnung vollständig berücksichtigt werden.
- Eine solide Bewertung des Zustands der Rahmenbedingungen für den Sektor durchzuführen und eine realistische Einführung in allen Mitgliedstaaten: von der Lade- und Wasserstoffinfrastruktur bis hin zu Netzkapazitäten, ZEV-Kostenparität und gezielten nachfrageseitigen Anreizen.
- Mit uns in speziellen Arbeitsgruppen zusammenzuarbeiten, die sich auf die Umstellung unserer Branche konzentrieren, damit Lösungen auf die besonderen Herausforderungen zugeschnitten werden können und die europäischen Lkw- und Bushersteller ihre weltweite Führungsposition verteidigen können.
Wir sind fest entschlossen, den Übergang zur Klimaneutralität voranzutreiben und den Straßenverkehrssektor mit uns zu ziehen. Aber Engagement allein führt nicht zum Ziel, wenn wir nicht auch politische Maßnahmen ergreifen, die unserer Dringlichkeit und unserem Realismus entsprechen.
Die Welt beobachtet, ob Europa eine Vorreiterrolle im Bereich des nachhaltigen Verkehrs übernehmen und gleichzeitig seine Wettbewerbsfähigkeit wahren kann. Lassen Sie uns beweisen, dass wir es können, indem wir diesen Strategischen Dialog zu einem Wendepunkt machen.
Christian Levin ist CEO der Traton Group und der Scania AB sowie Vorsitzender des ACEA-Vorstands für Nutzfahrzeuge.