Wie kann sich Europa im Ernstfall gegen Drohnen und Cyberangriffe verteidigen? Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, General Sean Clancy erklärt die gemeinsame Abwehrstrategie im Interview mit Euronews.
Will Europa sich verteidigen, so kann es sich im NATO-Bündnis mit den USA zusammentun oder die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten müssten aktiv werden. Eine gemeinsames Heer der Europäischen Union gibt es bisher nicht.
Wie können Europas Außengrenzen von mehr als 3.000 Kilometern Länge geschützt werden und welche Rolle spielt dabei die EU, die NATO und der russische Angriffskrieg in der Ukraine? Der Chef des EU-Militärausschusses gibt Antworten im Interview mit Euronews.
Zuletzt im Gespräch war eine gemeinsame Drohnenstrategie der EU-Mitgliedsländer. Doch dabei gehe es weder um Mauern noch um spezifische Grenzen, stellt der Chef des EU-Militärausschusses, General Clancy, klar. "Es geht vielmehr um eine paneuropäische Reaktion auf die hybriden Bedrohungen, die wir beobachten", so Clancy.
Hybride Bedrohungen auf europäischem Boden
Ein Faktor der hybriden Bedrohung ist der massive Einsatz von Drohnen geworden. In vielen Fällen konnte bisher nicht aufgeklärt werden, welche Akteure beispielsweise hinter den Drohnensichtungen über dem Münchener Flughafen oder über Kraftwerken und einer U-Bootwerft in Kiel.
Drohnen kommen auch im Krieg in der Ukraine sowohl an der Front als auch in den Hinterlandgebieten zum Einsatz. General Clancy erklärt die Drohnen im Gespräch mit Euronews zu Waffen und spricht die Drohnensichtungen in Dänemark, Belgien und Polen an. "Wir haben sie in vielen baltischen Staaten gesehen", ergänzt der Chef des EU-Militärausschusses. Es handle sich um ein gesamteuropäisches Problem. Das erfordere eine neue Verteidigungsstrategie.
Alle militärischen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen der EU müssten zur Verteidigung bereit sein. Zu diesem Zweck sollten die EU und das NATO-Bündnis enger zusammenarbeiten, so Clancy. "Die Kommando- und Kontrollstruktur der NATO und die Rolle der NATO in Bezug auf die Verteidigung und Abschreckung in Europa sind unantastbar", stellt Clancy trotzdem klar.
"Die Beziehungen zwischen der EU und der NATO müssen gestärkt werden. Es besteht ein Bedarf an Kohärenz. Es ist notwendig, Dopplungen in der Sicherheitsarbeit zu beseitigen, soweit dies praktisch möglich ist", so Clancy. Bei genauerer Betrachtung stehe im Vordergrund, Verbindungen zwischen allen betroffenen Parteien herzustellen, um Ressourcen zu sparen und sinnvoll einzusetzen, "sowohl finanziell, als auch hinsichtlich unserer Reaktionsfähigkeit".
Europas Drohnenabwehr-Initiative
Um besser auf hybride Bedrohungen reagieren zu können, habe die EU die Drohnenabwehrinitiative ins Leben gerufen, sagt Clancy. Sie zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit Europas gegenüber neuen militärischen und hybriden Bedrohungen zu stärken und gleichzeitig die strategische Autonomie und Einsatzbereitschaft zu verbessern.
"Bei der Initiative zur Drohnenabwehr geht es darum, eine größere Kohärenz zwischen der Zivilgesellschaft, dem Militär und den Verbündeten in diesem Fall zu schaffen", sagte er. Es müsse erkannt werden, welche Drohnen unbeabsichtigt ins Visier geraten und welche Drohnen gefährlich werden könnten, weil sie als Waffe eingesetzt werden sollen.
Die Initiative schafft ein mehrschichtiges Netzwerk, das feindliche Drohnen erkennen, verfolgen und neutralisieren kann und gleichzeitig Präzisionsangriffe durch fortschrittliche Drohnenplattformen ermöglicht. Sie stützt sich weitgehend auf die Erfahrungen der Ukraine im Kriegseinsatz und wird eng mit der geplanten Drohnenallianz mit der Ukraine verbunden sein.
Aufgrund seiner Doppelfunktion könnte die Drohnenabwehrinitiative auch in zivilen Bereichen wie Grenzschutz und Katastrophenhilfe eingesetzt werden. Es soll im Frühjahr 2026 eingeführt werden, bis Ende 2026 seine erste Einsatzfähigkeit erreichen und bis Ende 2027 voll funktionsfähig sein.
"Gesamteuropäisches Problem"
Die Erfahrungen im Ukrainekrieg sowie die vergangenen Vorfälle über Flughäfen und kritischer Infrastruktur müssen also gesamtheitlich betrachtet werden.
"Dies ist ein gesamteuropäisches Problem. Hybride Bedrohungen kennen keine Grenzen. Sie machen keinen Unterschied, wenn es um böswillige Akteure oder vorsätzliche Handlungen in diesem Bereich geht", so Clancy. "Es geht also darum, einen kohärenten Ansatz in ganz Europa zu schaffen". Er betonte allerdings auch, dass die erste Verantwortung natürlich weiterhin bei den einzelnen Mitgliedstaaten liege.
Der Krieg in der Ukraine habe zu einer Kombination aus Stellungskrieg und massiven Drohneneinsätzen geführt. Das habe eine bedeutende Vorwärtsbewegung der Front verhindert, sagt Clancy. "Wenn uns dieser Krieg etwas gelehrt hat, dann ist es, dass man niemals vorhersagen kann, wie der nächste Krieg aussehen wird", fügt er hinzu. Die Vorbereitung sei daher ganz essenziell.
"Wir müssen darüber nachdenken, was die nächste Innovation, die nächste Entwicklung des Konflikts sein wird. Hybride Bedrohungen setzen einzelne Mitgliedstaaten unter Druck und üben Druck auf verschiedene Aspekte wie die Wirtschaft, das Militär, die politischen Strukturen aus", so Clancy. Spionage und Informationskriegsführung seien Teil des Krieges in der Ukraine.
Deshalb müsse sich Europa auf die nächste Entwicklungsstufe des Krieges vorbereiten. Dabei müsse sichergestellt werden, dass die EU über die notwendigen Ressourcen für Forschung, Entwicklung und Innovation verfüge, fügte Clancy hinzu.