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Zahlt Polen für Deutschlands Kriegsverbrechen? Was Tusk wirklich gesagt hat

Polens Ministerpräsident Donald Tusk, links, und Bundeskanzler Friedrich Merz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt in Berlin.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk, links, und Bundeskanzler Friedrich Merz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kanzleramt in Berlin. Copyright  AP Photo
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Von Tamsin Paternoster & Noa Schumann
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Im Streit um Reparationen für Deutschlands Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ist eine Debatte darüber entbrannt, was Polens Ministerpräsident Donald Tusk bei seinem Treffen mit Kanzler Friedrich Merz wirklich gesagt hat.

In einer Reihe von Beiträgen auf Facebook und X wird der polnische Ministerpräsident Donald Tusk beschuldigt, er habe nach seinen Gesprächen mit Bundeskanzler Friedrich Merz zum Thema der Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg zugestimmt, dass "Polen für die Deutschen bezahlen wird".

Laut einem Bericht von Res Futura, einer polnischen Nichtregierungsorganisation, die sich auf Informationssicherheit spezialisiert hat, taucht der Satz in Dutzenden von Beiträgen auf verschiedenen Plattformen auf und beherrscht das Narrativ in Online-Diskussionen.

Eine Überprüfung dessen, was Tusk auf der Pressekonferenz tatsächlich gesagt hat, legt nahe, dass mehrere der kursierenden Behauptungen irreführend sind.

The Cube, das Faktencheck-Team von Euronews, stellt neben der Analyse von Res Futura fest, dass sich die Online-Reaktionen oft auf einen kleinen Ausschnitt von Tusks Aussagen konzentrieren und den größeren Kontext ignorieren.

Was hat Tusk gesagt?

Auf der Pressekonferenz in Berlin am 1. Dezember 2025 forderte Tusk Deutschland auf, die Zahlungen für die rund 50.000 noch lebenden polnischen Opfer der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs zu beschleunigen.

Polens ehemalige Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verlangt seit Jahren von Deutschland Reparationszahlungen für die Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg. Damals wurde Warschau zerstört und etwa ein Fünftel der polnischen Vorkriegsbevölkerung getötet.

Die PiS hat den Betrag auf 6,2 Billionen Złoty (etwa 1,5 Billionen Euro nach heutigem Wechselkurs) berechnet. Tusk und seine Partei, die Bürgerplattform PO, verlangen nicht den vollen Betrag, sondern rufen Berlin dazu auf, andere Lösungen zu finden, darunter die Zahlung von Unterstützungsgeldern für Tausende polnischer Überlebender der Nazizeit.

Der polnische Regierungschef sagte am 1. Dezember, dass seit den ersten Gesprächen mindestens 10.000 Überlebende gestorben seien.

Als er Berlin aufforderte, die Zahlungen zu beschleunigen, erklärte Tusk, dass, wenn nicht schnell gezahlt werde, "ich erwäge, dass Polen diesen Bedarf aus eigenen Mitteln deckt".

Nach Angaben von Res Futura verbreitete sich Tusks Kommentar in den sozialen Medien unter der Formulierung "Polen zahlt für die Deutschen". Die meisten Beiträge stammten von Konten, die mit der PiS in Verbindung stehen, und waren oft losgelöst vom größeren Kontext der Äußerungen von Tusk.

Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros des ECFR (European Council on Foreign Relations), erklärte gegenüber The Cube, dass Tusks Bemerkung eher darauf abzielte, Druck auf Deutschland auszuüben, als zu suggerieren, dass Polen die Rechnungen Deutschlands bezahlen würde.

"Es geht darum, den Deutschen einen Vorwurf zu machen und nicht um das Versprechen, irgendetwas zu bezahlen", sagte Buras. "Es geht um 50.000 Menschen, die sehr alt sind. Wenn Deutschland nicht in der Lage ist, diesen symbolischen Betrag zu zahlen, wird sich Polen um seine eigenen Bürger kümmern."

Die Reparationsdebatte

Ein Rechtsexperte erklärte gegenüber The Cube, dass die Frage, ob Polen noch Reparationen verlangen kann, nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden kann.

Deutschland argumentiert, dass die Rechtsfrage zweimal geklärt wurde: zum einen 1953, als Polen in einem Abkommen mit der DDR auf seine Entschädigungsansprüche verzichtete, und zum anderen 1990, als Deutschland wiedervereinigt wurde und kein Anspruch gegen die neue Bundesrepublik erhoben wurde. Polen war kein Unterzeichner des Wiedervereinigungsvertrags.

Louis Le Hardy de Beaulieu, Professor für internationales Recht an der UCLouvain, sagte, dass "Deutschland von diesen beiden Standpunkten aus argumentiert, dass es keine Rechtsgrundlage gibt, um weiter zu gehen" und dass das Argument "glaubwürdige Elemente hat".

Polen hat jedoch behauptet, dass die Erklärung von 1953 ungültig sei, da sie abgegeben wurde, als das Land unter sowjetischer Kontrolle stand.

"Wenn wir dieses Argument akzeptieren würden, müssten wir jeden Vertrag überprüfen, der jemals unter einem anderen Regime als dem derzeit herrschenden unterzeichnet wurde", sagte Le Hardy de Beaulieu im Gespräch mit The Cube.

Nach Ansicht des ehemaligen polnischen Verteidigungsministers und unabhängigen Politikers Jan Parys hat Tusk einen vom polnischen Parlament fast einstimmig angenommenen Antrag ignoriert, wonach Deutschland die Reparationszahlungen in vollem Umfang leisten sollte.

Bundeskanzler Friedrich Merz mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk im Kanzleramt in Berlin
Bundeskanzler Friedrich Merz mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk im Kanzleramt in Berlin AP Photo

"Bei uns herrscht Konsens darüber, dass die Frage des Krieges nie wirklich geklärt wurde", so Parys zu The Cube. "Der deutsche Staat hat große Summen an Großbritannien, die USA und Frankreich gezahlt, aber in Polen haben wir nur einen minimalen Fonds für ehemalige KZ-Häftlinge erhalten."

"Tusk hat einen Beschluss vorgelegt, der dem Beschluss des polnischen Parlaments widerspricht", erklärte der ehemalige Verteidigungsminister Parys.

Abgesehen von rechtlichen Fragen - so Experte Buras - steht viel auf dem Spiel, denn Polen, das volle Reparationen von Deutschland fordert, würde eine politische Krise riskieren und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern gefährden.

"Das wäre das einzige Thema, das diese Beziehung dominieren würde", sagte Piotr Buras.

Ist Tusk "pro-deutsch"?

Res Futura zufolge wird Tusk in vielen der viralen Posts auf Facebook und X auch beschuldigt, ein "pro-deutscher Politiker" und ein "Verräter" zu sein - das sind Vorwürfe, die seit Jahren gegen Tusk erhoben werden.

"Diejenigen, die Tusk als deutschen Agenten und als jemanden, der polnische Interessen opfert, darstellen wollen, werden das tun, unabhängig davon, was seine Absicht ist, was seine Politik ist", sagte Piotr Buras.

"Deutschland steht in gewisser Weise für Westeuropa im polnischen Diskurs", erklärte der ECFR-Warschau-Leiter. "Und Tusk wird als pro-europäischer Politiker gesehen."

Jan Parys erkläuterte, dass diese Wahrnehmung in Tusks vergangenen Entscheidungen wurzelt, als er schon einmal Regierungschef war, einschließlich seiner engen Zusammenarbeit mit Angela Merkel und Meinungsverschiedenheiten über die Sicherheitspolitik.

"Polen ist gespalten", sagte Parys. "Die Opposition bevorzugt die Zusammenarbeit mit den USA, während die Regierung unter Donald Tusk die Zusammenarbeit mit Deutschland bevorzugt."

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