Behauptungen, bewaffnete Soldaten oder Polizisten gehen in Berlin von Tür zu Tür, um junge Männer zu rekrutieren, sind auf Social Media im Umlauf. Kann das wahr sein? Der Euronews-Fatencheck hat sich das Ganze genauer angesehen.
Ein auf X geteiltes Video zeigt angeblich schwer bewaffnete Polizeibeamte (die Männer könnten auch für Soldaten gehalten werden), die im Berliner Stadtteil Charlottenburg von Tür zu Tür gingen, um junge Männer für die deutsche Armee zu registrieren.
"Die Militärpolizei geht derzeit von Haus zu Haus und registriert alle jungen Männer zwischen 18 und 35 Jahren. Ich befinde mich nicht im Krieg mit Russland. Meinen Enkel kriegt ihr nicht", heißt es in der Bildunterschrift unter dem Video, das bereits mehr als 281.000 Mal geteilt wurde.
Doch die Behauptungen in dem Video sind falsch. Die Aufnahmen sind zwar echt, können aber nicht in Berlin, sondern in der niederländischen Stadt Leeuwarden zurückverfolgt werden.
Mehrere lokale Medienberichte bestätigen, dass bewaffnete Soldaten am 12. Dezember eine Patrouille im Stadtzentrum durchführten, die jedoch nicht mit der Einberufung in Verbindung gestanden habe.
Völlig anderer Zusammenhang - und anderer Ort
Die Regionalzeitung RB Nieuws berichtete, dass die Soldaten an einer so genannten Sozialen Patrouille teilnahmen, bei der sie bewusst den Kontakt mit der Öffentlichkeit suchten, um ihre Ansprechbarkeit zu demonstrieren.
The Cube, das Faktenchecking-Team von Euronews, ließ sich dies beim niederländischen Verteidigungsministerium bestätigen, das uns mitteilte, dass die Soldaten des 44. Panzergrenadierbataillons Prinz Johan Willem Friso Anfang Dezember im Stadtzentrum von Leeuwarden präsent gewesen seien.
Bei dem Einsatz handelte es sich um eine informelle, nicht-operative Runde in einem öffentlichen Raum, bei der die Soldaten Fragen beantworten und über ihre Arbeit ins Gespräch kommen sollten. Nach Angaben des Ministeriums werden solche Aktivitäten genutzt, um "die Verbindung zwischen dem Verteidigungsministerium und der Gesellschaft zu stärken".
Eine Bedrohung, Vollstreckung oder ein Einsatz im eigentlichen Sinne war damit nicht verbunden.
In den Niederlanden gibt es derzeit keine aktive Wehrpflicht. Nach Angaben der niederländischen Regierung ruft das Verteidigungsministerium keine Wehrpflichtigen zur Armee ein und hat auch nicht vor, dies zu tun.
Weder in Deutschland noch in den Niederlanden geht die Polizei von Tür zu Tür und sucht nach Wehrpflichtigen. In den Niederlanden erhalten Personen, die 17 Jahre alt werden, einen Brief von der Regierung. So bekommen sie die Gelegenheit, sich dem Militär im Rahmen eines Wehrdienstes anzuschließen - falls sie dies denn wünschen.
Wehrplicht in den Niederlanden ausgesetzt, in Deutschland freiwillig
Die Wehrpflicht in den Niederlanden wurde zwar nicht abgeschafft, doch ist sie seit dem Jahr 1997 ausgesetzt. Die niederländische Regierung sagt, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht "jahrelange Vorbereitungen" erfordern würde.
In Deutschland werden 18-jährige Männer nach einer Gesetzesänderung im August aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen. Dieses Verfahren wird online und nicht persönlich durchgeführt, und der Wehrdienst bleibt freiwillig.
Wehrdienst in Europa: Immer wieder falsche Behauptungen auf Social Media
Es ist nicht das erste Mal, dass im Internet falsche Behauptungen über den Wehrdienst in Deutschland kursieren, da das Land angesichts der anhaltenden geopolitischen Spannungen mit Russland seine Streitkräfte verstärken will.
Irreführende Behauptungen über die Wehrpflicht folgten bereits auf die Entscheidung der Bundesregierung, die Wehrpflicht zu modernisieren. Damals löste die Änderung eine Welle von Desinformationen in den sozialen Medien aus, insbesondere über die Frage, ob Frauen zum Dienst gezwungen würden, obwohl die deutsche Verfassung die Wehrpflicht nur für Männer vorsieht.
Derzeit gibt es nur in neun EU-Ländern eine Wehrpflicht, während Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich Reformen in Betracht ziehen, um mehr Freiwillige zu gewinnen.
In den EU-Ländern, in denen es eine Wehrpflicht gibt, wird diese durch Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgesetzt, in der Regel durch offizielle Briefe und Vorladungen, nicht durch bewaffnete Soldaten, die an die Türen der Menschen klopfen.